Die Weintraube im Exklusiv-Interview
von Sebastian BütowJeder kennt das Bild aus »Asterix«-Comics: Beleibte Herrscher im Alten Rom, die genussvoll von oben herab Weintrauben in den Mund gleiten lassen. Verkörpern Sie auch heute noch eine gewisse Dekadenz?
Neulich habe ich gelesen, dass die Japaner eine Sorte namens »Ruby Roman« züchten, von denen kürzlich ein Strauch für 9.800 Euro versteigert wurde. Das ist sicherlich dekadent – aber die Ausnahme. Zu 85 Prozent wird Wein aus mir gemacht, einige dieser Tropfen sind ja bekanntlich nicht ganz billig. Sagen wir mal so: Ich bin für alle da, in jedem Supermarkt zu haben, jetzt sogar aus der Region. Aber wer Luxus will, kann auf mich zählen! (Lacht.)Was geschieht mit den restlichen 15 Prozent ihrer Ernte?
Fünf Prozent werden getrocknet und als Rosinen verkauft. Nur ein ganz kleiner Teil wird zu Traubensaft, aus den Kernen wird ein – ziemlich hochwertiges! – Speiseöl. Gerade mal ein Zehntel landet als Tafeltrauben auf den Frischmarkt.
Bleiben wir bei den Tafeltrauben. Welche Ihrer vielen Sorten können Sie am meisten empfehlen?
Puh, das ist eine gemeine Frage, weil ich mehr als 8.000 Sorten im Portfolio habe. Was ich Ihnen sicher sagen kann: Fast zwei Drittel meiner Fans in Deutschland, Österreich und der Schweiz genießen mich lieber kernlos. Und mich »bio« zu kaufen, ist keine schlechte Idee, da ich dann deutlich weniger Pestizide enthalte. Aktuelle Untersuchungen sprechen da eine sehr deutliche Sprache.
Ein griechischer Philosoph schrieb einst: »Der Wein ist unter den Getränken das Nützlichste, unter den Arzneien die Schmackhafteste, und unter den Nahrungsmitteln das Angenehmste.« Was genau macht Sie zum Top-Obst?
Recht hat der gute Mann! Ich enthalte viel Kalium, das wichtig für Körperzellen, Muskulatur und Nerven ist. Mein Kalzium stärkt Knochen und Zähne. Das Phosphat ist top für den Energiestoffwechsel. Auch Folsäure macht Weintrauben gesund: Sie unterstützt den Stoffwechsel. Dass ich Ballaststoffe drin habe, ist eh klar. Mit mir kann man wunderbar entschlacken. Es gibt Leute, die mehrere Tage lang zwei Kilo essen und sich dadurch wie neugeboren fühlen.
Ihr Vitamin C-Gehalt ist aber relativ gering.
Mag sein, aber ein Treibstoff fürs Immunsystem bin ich trotzdem! Auch weil ich eine ziemlich anständige Menge des Pflanzenstoffs OPC enthalte. Das ist ein Zellschutz-Booster, der Vitamin C und Co. locker in die Tasche steckt.
In Spanien sind Sie besonders zu Silvester heißbegehrt – Sie stehen dort als »uvas de la suerte« (Glückstrauben) auf jeder Gästeliste. Wie haben Sie das geschafft?
Toll, nicht? Tatsächlich bin ich dort der Star eines großartigen Brauchtums, das Glück bringen soll. Die Menschen in Spanien schieben sich bei jedem Glockenschlag um Mitternacht eine Weintraube in den Mund und wünschen sich dabei etwas. Erst nach der letzten Traube und mit der ersten Sekunde des neuen Jahres darf endlich laut gejohlt, umarmt und geprostet werden. Probieren Sie es mal! Das ist gar nicht so einfach. (Lacht).
Und Hand auf ’s Herz – bringen Sie wirklich Glück?
(Lacht noch lauter). Nun ja, wenn Sie sich dabei nicht verschlucken, haben Sie definitiv viel Glück gehabt! Ob ich daran beteiligt bin? Nun ja…. (räuspert sich). Tatsächlich, so heißt es, sei der Brauch pfiffigen Festland-Winzern zu verdanken, die nach einer üppigen Ernte von mir im Jahr 1909 die zwölf Glückstrauben einführten, schließlich sollte ich nicht verderben.
Worauf sollte man achten, wenn man Sie kauft?
So richtig frisch bin ich, wenn ich eine Wachsschicht auf der Schale habe – das ist der sogenannte Duftfilm. Der entsteht durch den Wechsel von warmer Luft am Tag und der Luftfeuchtigkeit nachts. Sind meine Rispen welk: Finger weg! Dann wurde ich zu lange oder schlecht gelagert und schmecke fad. Ich bin eine Frucht, die nicht nachreift. Also muss ich nach der Ernte recht zackig verkauft werden. Es kommt immer mal wieder vor, dass ich zu sauer angeboten werde. Wenn möglich, probieren Sie mich vor dem Kauf.
Der Original-Text aus dem Magazin wurde für die Online-Version evtl. gekürzt bzw. angepasst.
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