Die Miesmuschel im Exklusiv- Interview
Jetzt rede ich!
von Sebastian BütowLaut Volksmund haben Sie Saison in den kälteren Monaten, die mit »r« enden, also von September bis Februar. Gilt das heutzutage eigentlich noch?
Ach, vergessen Sie das! Manche Falschinformationen halten sich hartnäckig, so auch diese. Wenn es der Volksmund sagt, dann scheint diese Regel auch lange her zu sein und in Zeiten zurückzureichen, in denen es mit Hygiene und Kühlmöglichkeiten nicht so einfach war wie heute. Es hat sich aber nichts daran geändert, dass ich leicht verderblich bin. Mich genießt man am besten frisch! Aus diesem Qualitätsanspruch heraus ist mancherorts auch die Tradition geblieben, in den warmen Monaten auf meine Wenigkeit zu verzichten.
Am schleswig-holsteinischen Wattenmeer etwa haben Sie jährlich vom 15. April bis zum 1. Juli eine Schonzeit, um Ihre Aufzucht zu sichern.
Yep. In Spanien, Frankreich oder Italien verzichten meine Fans dann nicht auf den Genuss, was ich auch sehr gut nachvollziehen kann! Ein Sommerurlaub ohne mich? Das ist doch unvorstellbar! Das wäre wie Paris ohne den Eiffelturm.
In den wärmeren Monaten sind Sie aber anfälliger für Belastungen durch Algen.
Das ist richtig! Blaualgen sind für euch Menschen unsichtbar – und hochgiftig. Da ich meine Nahrung mit meinen Kiemen aus dem Wasser filtere, nehme ich leider auch Schadstoffe auf.
Der Ernährungswissenschaftler Dr. Dr. Michael Despeghel ist überzeugt, dass Sie krank machen können. Er rät, nur zwei bis dreimal im Jahr von Ihnen zu kosten.
Tja. Wir Muscheln haben es auch nicht so leicht, werden nicht umsonst als »Kläranlagen der Meere« bezeichnet. Wenn es dem Meer schlecht geht, haben auch wir darunter zu leiden, die anderen Meeresnachbarn natürlich auch. Aber Sie können sicher sein, dass wir dementsprechend streng kontrolliert werden. In Deutschland etwa werden wir zweimal im Jahr auf Schwermetalle wie Blei, Cadmium oder Pestizide und die Giftstoffe von Algen untersucht, bevor wir verzehrt werden dürfen. In den Zuchtgebieten greifen heutzutage Frühwarnsysteme, wenn Vergiftungen drohen.
Wann ist eine Miesmuschel ideal?
Wenn wir nach Meer und Algen duften, beide Schalenhälften fest verschlossen sind. Sollten sie leicht geöffnet sein, müssen sie bei leichtem Klopfen sofort zuklappen. Wenn sie das nicht tun, dann sind wir ungenießbar. Und wenn wir uns beim Kochen nicht öffnen, solltet ihr uns wegschmeißen!
Warum eigentlich »mies«?
Nicht, weil wir schlecht gelaunt sind oder irgendwelche Mängel haben! Dieser Name hat seinen Ursprung in dem altdeutschen Wort »Mies«, das »Moos« bedeutet. An den Fäden, mit denen wir uns an Pfählen oder am Meeresgrund festhalten, setzen sich immer auch Algen fest, und diese erinnern farblich ein wenig an Moos.
Mittlerweile sind auch Ihre vermeintlich lästigen Schalen gefragt.
Darauf bin ich besonders stolz! In der Nähe von La Rochelle, dem französischen Muschelzentrum am Atlantik, werden meine Schalen weiterverarbeitet als Zutat für Peeling-Cremes oder als Kunststoffmaterial für 3-D-Drucker. Wer glaubt, ich sei altmodisch, irrt sich gewaltig!
Wo gibt’s eigentlich die leckersten Miesmuscheln?
Fans lieben uns besonders, wenn wir aus dem spanischen Galicien stammen. Da sind wir meist größer, kräftig orangefarben und würziger im Geschmack. Meine spanischen Verwandten sind das erste Meeresprodukt, das sich mit einer geschützten Ursprungsbezeichnung der EU schmücken darf.
Muschel, wir danken Ihnen für das Gespräch.