Sind wir schon da? Der digitale Wandel
Nach über einem Jahr »New Normal« ist es an der Zeit für eine Bestandsaufnahme.
von Michael EichhammerOb digitale Speisekarten, Reservierungs- und Buchungssysteme, die digitale Aufnahme der Gästedaten im Restaurant oder der elektronische Self-Check-in und Self-Check-out: Zahlreiche Gastbetriebe haben 2020 digitale Prozesse eingeführt und neue digitale Geschäftsideen auf den Weg gebracht«, so die Telekom über den Status quo im Gastgewerbe. Auch modernes Entertainment wie die digitale Gästemappe stehen hoch im Kurs. Kassensysteme erleichtern die interne Verwaltung – von der Bestellung über eine transparente Warenwirtschaft, die Koordination mit der Küche oder die Abrechnung und bargeldlose Bezahlung bis hin zur papierlosen Umsatzsteuervoranmeldung auf Knopfdruck.
Deutlicher denn je offenbarte sich in der Pandemie-Ära auch, wo die Unternehmen in Sachen Digitalisierung stehen und wo nachgebessert werden muss. Das beginnt bereits bei der Basis-Infrastruktur: »Mancher hat in der Zwischenzeit sein Wifi aktualisiert oder auch sein PMS gewechselt«, weiß Moritz von Petersdorff-Campen, Mitgründer und Geschäftsführer von SuitePad. »Stand heute haben 80 Prozent der Hotels ein Wifi, das dafür ausreicht. Da hat die Pandemie geholfen.«
Nur wer sich im Web nicht versteckt, wird gefunden
Aus Gastronomensicht wuchs die Erkenntnis, dass es unabdingbar ist, im Internet gefunden zu werden sowie Take-away oder Belieferung als weiteres Standbein anzubieten, um in Krisenzeiten eine Stabilität ins Geschäft zu bekommen. »Hinter der Entwicklung von Delivery- und Take-away-Angeboten stehen große Herausforderungen«, weiß Stephan von Bülow, Vorsitzender der Geschäftsführung der Block-Gruppe, zu der unter anderem die Block-House-Kette gehört. »In Restaurants, in denen Gästen eine hohe Essenqualität geboten wird, ist diese Qualität auch bei der Lieferung nach Hause zu gewährleisten.« Anders ausgedrückt heißt das: Der Gast erwartet, dass das Essen beim Gast zuhause so ankommt, wie er es im Restaurant serviert bekäme.
Neben der Darstellung des eigenen Restaurants im Web ist auch eine digitale Speisekarte elementar wichtig geworden. In Zeiten der gelockerten Maßnahmen, die Innen- oder zumindest Außengastronomie gestatten, ist zudem die digitale Reservierung inzwischen großer Branchentrend.
Digitale Helfer als Chance, sich auf die Wurzeln zu besinnen
Auch andere zentrale Prozesse, die man im Betrieb benötigt, werden zunehmend durch digitale Tools unterstützt – sei es Schichtplanung, das direkte Abrechnen der Mitarbeiter über das digitale Kassensystem oder die digitale Fiskalisierung, automatisch ans Finanzamt. Auch das moderne Bewerbermanagement wurde innerhalb der Pandemie vorangetrieben, ebenso die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern via E-Learning. Digitale Events als Alternative zu Präsenzveranstaltungen werden ebenfalls bleiben – unter anderem, weil sie Zeit und Geld sparen, wenn es gilt, dass ein Zusammenkommen vieler Menschen an einem Ort zustande kommt.
Auch der digitale Check-in im Hotel ist eine Vision, die bleibt. »Das Drucken des Meldescheins, die Programmierung der Zimmerkarte, all die Einstellungen im Zimmerverwaltungsprogramm – all dies kann problemlos maschinell gemacht werden, sobald der anreisende Gast sich identifiziert hat«, weiß Andreas Meier, General Manager des Radisson Blu Hotels Reussen in Andermatt in den Schweizer Alpen. »Dafür sind unsere Mitarbeiter mehr auf die Person fokussiert als auf den Prozess. Durch solche Effizienzsteigerungen wären wir in der Lage, kompetitivere Löhne zu zahlen, da weniger Mitarbeiter dieselbe Wertschöpfung erzielen, und gleichzeitig über motiviertere Mitarbeiter die Qualität zu steigern.« Aus der eigenen Erfahrung in der Corona-Phase berichtet Andreas Meier: »Das Tool, welches uns am besten assistiert hat, ist die digitale Warteschlange. Als Hotelier ist man es nicht gewohnt, Gäste warten zu lassen, daher existieren auch keine dafür gedachten Flächen wie in einem Bahnhof. Das Aufsetzen einer digitalen Registrierung, welche die ›Zeit absitzt‹, lässt den Kunden seinen Tag besser planen, vermeidet unnötige Zeit beim Anstehen und – nun ganz besonders wichtig – Menschenansammlungen.«
Big Data
Wie überall sonst ist auch unsere Branche auf den Geschmack gekommen, was einen weiteren Aspekt der Digitalisierung angeht: Das Credo »Daten sind das neue Gold« spielt zunehmend auch hier eine Rolle. Die Gästeregistrierung zur Kontaktnachverfolgung ist ein fester Bestandteil in vielen Restaurants geworden. Unter anderem hat sich hierfür die Luca-App durchgesetzt. Digitale Tools unterstützen das Sammeln und Auswerten von Daten immens. Was schätzen die eigenen Kunden, wann sind sie da, was sind beliebte Produkte, was sind Ladenhüter und mit welchen Speisen ist meine Gewinn-Marge am höchsten? Antworten auf diese und andere Fragen rund um den Betriebsalltag und das Kundenverhalten helfen dem Betreiber, den eigenen Betrieb besser zu verstehen und damit, effizienter zu steuern und bessere Entscheidungen zu fällen. Nur wer weiß, was seine Kunden wollen, kann auch unter erschwerten Bedingungen und starkem Wettbewerbsdruck eine gute Marge erwirtschaften. Wenn ich anhand der Daten weiß, was in meinem Restaurant los ist, kann ich auch beim Einkauf effizienter sein und habe weniger Ausschuss.
Auch Start-ups hilft die detaillierte Datenanalyse, die vor der Digitalisierung nicht möglich war. Besser als je zuvor können Visionäre mit Hilfe moderner Technik vor dem Sprung ins kalte Wasser prüfen, ob die eigene Idee eine Zukunft hat und herausfinden, wo aktuell die Wertschöpfungsketten für Restaurantbesitzer liegen. Hier stimmt also der Spruch von der Krise als Chance!
Was bleibt als »New Normal«?
Not macht erfinderisch – dieser Sinnspruch prägte die Herausforderungen, vor die unsere Branche durch Corona gestellt wurde. Viele sind beim Testen digitaler Tools auf den Geschmack gekommen und werden die entdeckten Vorzüge auch nach der Krise nutzen. »Es gibt einige neue Standards, wie zum Beispiel den digitalen, kontakt-minimierten Check-in- und Check-out-Prozess mit digitalem Zimmerschlüssel für das Handy«, berichtet Rob Hornman, Managing Director Flemings Hotels. »Unsere Gäste können nun überall bargeldlos bezahlen oder QR-Codes für Tischreservierungen, Speisekarten oder Kontaktdatenübermittlung nutzen. Zudem kommunizieren wir nun zusätzlich auch via Chat mit den Gästen.« Doch soll der Kunde die Wahl haben: »Uns ist wichtig, dass die Kunden selbst entscheiden können, wie viel persönlichen Kontakt sie bei den Flemings Hotels wünschen. Der komplette Aufenthalt kann digital gesteuert laufen. Wer aber den persönlichen Kontakt sucht, kann unsere sehr gut ausgebildeten Mitarbeiter ansprechen, die sich um alle Anliegen kümmern.«
Die Umsetzung und Akzeptanz des bargeldlosen Bezahlens hat zugenommen. Eine Entwicklung, die sicher von Dauer ist – egal ob per EC- oder Kreditkarte oder mit neuen Alternativen wie PayPal. Auch das Thema Tischreservierung wird bleiben, da der Nutzen auf der Hand liegt: »Mithilfe eines digitalen Tischreservierungssystems kann der Gastronom seine Kapazitäten optimal und bequem planen«, so Andreas Jonderko, Geschäftsführer von Gastronovi. »Der Gastronom spart damit nicht nur Zeit, sondern kann mit der digitalen Tischreservierung auch die Sicherheits- und Hygieneauflagen bestmöglich erfüllen – und sich stressfrei auf die Bedienung seiner Gäste konzentrieren.«
Die Investition in digitale Tools hilft zudem bei der Problematik des Fachkräftemangels, der durch Corona noch deutlicher wurde: »Durch Corona haben viele Branchenmitarbeiter ihre Betriebe verlassen. In sehr vielen Fällen sogar komplett die Branche«, weiß Johannes Ossana, Avisio-Gründer und -Geschäftsführer. »Digitale Lösungen im operativen Bereich, die Zeit und Mitarbeiter sparen, sind und werden entscheidend sein.«
Und Morgen? Ein Blick in die Kristallkugel
Und was bringt die Zukunft? Ein weiterer Schritt wird mittelfristig der Einsatz von künstlicher Intelligenz sein – ein selbstlernendes System, das datenbasierte Handlungsempfehlungen für die Praxis liefern kann, so die Vision von Trendsettern wie Gastronovi. Ähnlich sieht das von Moritz Dietl, Geschäftsführender Gesellschafter der Treugast Solutions Group: »Auch im Backoffice wird die Digitalisierung in Zukunft noch stärker Einzug halten. Manuelle Prozesse bspw. in der Buchhaltung oder dem Dokumentenmanagement können durch digitale Anwendungen auch unter Einsatz von KI beschleunigt und vereinfacht werden.«
Geht es nach Firmen wie Robotise werden Roboter bald nicht nur in Science-Fiction-Filmen eine wichtige Rolle spielen, sondern zunehmend auch im Gastgewerbe. Der Service-Roboter Jeeves zum Beispiel liefert Getränke, Snacks und andere Artikel direkt und kontaktlos an die Zimmertür. »Der Einsatz eines Serviceroboters kann darüber hinaus ein bedeutender Faktor sein, um vor allem den technikaffinen Nachwuchs für den eigenen Betrieb zu gewinnen«, so die Überzeugung von Sarah Bretzler, Head of Sales & Marketing bei Robotise.
Das Fazit von Gastro-MIS CMO und CSO Stefanie Milcke: »Neben den ›Kopf-in-den-Sand-Steckern‹ haben sich im letzten Jahr auch einige Überlebenskämpfer entwickelt und den Sprung ins kalte Wasser gewagt.« Diese stünden nun vor der Wahl: »Zurück ins alte Offline-Dasein oder die Chance ergreifen und die neuen Services mit dem Inhouse-Geschäft verzahnen«, so Milcke. Moritz von Petersdorff-Campen, Geschäftsführer von SuitePad, bringt einen wichtigen Gedanken treffend auf den Punkt: »Hotels und Zulieferer sollten nicht den Fehler machen, selbst definieren zu wollen, was new normal ist. Das entscheidet alleine der Gast, nämlich dadurch, das er etwas tatsächlich dauerhaft verwendet.«
Nachgefragt: Dr. Volker Glaeser
Dr. Volker Glaeser ist CEO der Metro-Tochter Hospitality Digital. Mit derzeit 18 digitalen Anwendungen für 16 Märkte ist das Unternehmen Weltmarktführer hinsichtlich digitaler Anwendungen für Restaurateure.
Wie entwickelt sich die Digitalisierung der Branche?
Die HoReCa-Branche war im Vergleich zu anderen Branchen unterdigitalisiert. Jetzt nimmt die Digitalisierung auch hier Fahrt auf. Mehr als 200.000 Restaurants sind bei uns angeschlossen und der Hunger, digital zu werden, ist eindeutig sichtbar. Das ist gut, denn es hilft der Branche dabei, sparsamer, planungssicherer und nachhaltiger zu werden.
Wie wichtig ist seit Corona die Möglichkeit, online zu bestellen, für einen Gastro-Betrieb?
Wie eine Bestellung reinkommt, wird zunehmend »Multikanal« sein und ist es teils schon heute: Es spielt keine Rolle mehr, ob per Telefon, Mail, WhatsApp, mit speziellen Tools … Diese Kanäle wachsen mit hoher Geschwindigkeit zusammen.
Wie wichtig ist das Thema Online-Reservierung?
Online-Reservierungen waren schon während der Pandemie wichtig, als geöffnet werden durfte – und das Thema gewinnt gerade wieder an Bedeutung. Restaurateure verstehen, dass die Online-Reservierung bleiben wird. Nicht nur weil vorgeschrieben ist, dass Kunden sich registrieren, sondern weil sie erkannt haben, dass man mit so einem digitalen Tool sehr einfach planen kann. Ich kann Nachrichten an meine Kunden schicken und Kunden können mich in der digitalen Welt erreichen. Im Lockdown konnte ich, wenn ich keine Webseite oder ein anderes digitales Tool hatte, meine Kunden gar nicht erreichen.
Welche weiteren Trends zeichnen sich ab?
Neben der eigenen Webseite und Online-Reservierungen ist Pick-up und Delivery das dritte große Thema. Diese drei Trends sind der Treibstoff für die Digitalisierung der Branche. In Phasen, in denen der Gastraum nicht aufgesperrt werden darf und nur Abholen oder Beliefern möglich ist, ist dies auch als digitaler Baustein für Gastronomen wichtig. Das ist eine echte Chance, noch digitaler zu werden und mit meinem Endkunden digital in Verbindung zu treten.
Wie kann eine digitale Speisekarte den finanziellen Erfolg fördern?
Digitale Speisekarte ist hier vielleicht zu kurz gegriffen. Die Frage, die ich mir als Gastronom stellen muss ist: Ist meine Speisekarte eigentlich profitabel oder nicht? Das Tool MenuKit optimiert die Speisekarte nach Geschäftszielen. Als wir dieses Tool 2017 in der Branche diskutiert haben, war die Begeisterung groß, aber die Nutzung gering. Das hat sich seit dem letzten Jahr enorm geändert – auch notgedrungen, weil die Branche seit der Pandemie noch genauer hingucken muss, was Kostensituation und Mittelknappheit angeht. Das MenuKit ist bei etwa 3.000 Restauranteuren in zehn Ländern im Einsatz. Es ermöglicht, die Einkaufskosten pro Produkt, pro Zutat zu managen und gleichzeitig auch den Blick auf die gesamte Speisekarte. Man sieht: Wie teuer ist das Produkt und wie hoch oder gering ist meine Marge?