Die neue Lust auf Gutes
Nach dem Lockdown kam der Appetit auf Qualität
von Gabriele GugetzerMitte März war es rührend anzuschauen, wer sich, dokumentiert in den sozialen Medien, an Sauerteigbrot, Kirschmichel und selbst gemachten Spätzle versuchte. Geschmacksknospen, angeknipst in Kindertagen, wurden befeuert. Obwohl das mit dem Shoppen nicht so einfach war. Erst ging den Endverbrauchern das Mehl aus, danach das Backpulver. Nicht nur der Einzelhandel schüttelte den Kopf. Doch das ist schon einige Monate her. Ist es verfrüht, zu fragen, ob in unserer aktuellen Corona-Krise auch eine Restaurant-Chance liegt?
Pasta, Pasta und kein Ende ... oder?
Pasta ist wohl eines der mehrheitsfähigsten Nahrungsmittel. Aber als nach den Einschränkungen der letzten Monate die Restaurants wieder öffneten, hatte sich die häusliche Nudelverliebtheit zum veritablen Lagerkoller entwickelt. Restaurantgäste wollten was anderes. »Meine Gourmetmenüs waren dieses Jahr als Erstes ausverkauft, dabei liegen sie preislich im gehobenen Segment«, sagt Wolfgang Pade, der im niedersächsischen Verden das »Pades« betreibt. So äußern sich durch die Bank die Gastronomen, mit denen wir gesprochen haben, selbst wenn sie unbesternt sind. (Das »Pades« hält einen Stern.) Ist das wirklich so überraschend?
Das Kaufverhalten hat sich verändert
Anbieter wie das Frischeparadies bedienen sowohl den Endkunden als auch die Gastronomie. Da muss man einerseits wirklich ein Gespür für Ernährungstrends haben und andererseits mit dem spitzen Stift kalkulieren können. Sollte man meinen ... »Wir haben in der Leipziger Niederlassung während des Lockdowns mehr männliche Kunden als zuvor verzeichnet«, sagt Thorsten Reichel, Betriebsleiter in Leipzig. Und wenn Sie jetzt ahnen, was kommt, liegen Sie richtig. Denn dank dieser Klientel wurde »stets zum größeren, etwas teureren Fleischzuschnitt oder ganzen Fisch gegriffen.« Schon überraschend, die Sache mit dem ganzen Fisch, der jenseits der Gastronomie einst als unverkaufbar galt. Reichel setzt noch einen drauf: »Die Kunden kaufen auch insgesamt breiter ein, also nicht nur Fleisch, Fisch und einfache, bekannte Zutaten, sondern Spezielles für schnelle, frische asiatische oder auch orientalische Gerichte. Da wird eher das Tuna Tataki auf Gemüse gekocht als ein aufwendiger Schmorbraten.«
Zu wissen,
wo es herkommt, zieht nach
wie vor
Kurzarbeit oder gar keine Arbeit – über Monate hatten viele Leute mehr Zeit als üblich. Zeit, sich mit Essen zu beschäftigen. Da waren es einerseits hochwertige Produkte, andererseits rückten mit den Stichworten Nachhaltigkeit, Tierwohl, Herkunft Themen flächendeckend ins Bewusstsein, die vorher vorrangig in Großstädten angesiedelt waren. Sind das Trends, die gekommen sind, um zu bleiben? »Im nächsten Jahr wird sich zeigen, ob Gäste auch im Restaurant genauer nach Herkunft und Qualität fragen«, sagt Reichel. »Dann wird auch der Gastronom teurer einkaufen, aber dieser Prozess geht nicht so schnell.«
Eine weitere interessante Tatsache: Wir reden hier von Leipzig, nicht Frankfurt oder Berlin. Wenn die Provinz anders einkauft, geht sie nach Corona auch anders essen? Ja, sagt Wolfgang Pade.
Ländlich, gepflegt, regional – geht das nur in Oberbayern?
Mit seinem Standort in der Kleinstadt Verden profitiert Wolfgang Pade einerseits von der geringen Dichte gastronomischen Qualitätsstrebens im Umfeld. Nach Corona profitiert er überdies von einem qualitätvollen Produzentennetz. »Vor Corona haben wir internationale Produkte verarbeitet, nach Corona komplett auf regional umgestellt«, erklärt er. Und das klappt im konservativen, ländlichen Niedersachsen? Nun, die Gäste kommen auch aus dem Umland; das Einzugsgebiet geht bis nach Bremen. Aber alle, freut sich Pade, »gehen die Konzeptänderung begeistert mit, loben die neue Transparenz«. Ebenso begeistert er sich über die vielen engagierten tollen Erzeuger und deren »Ehrgeiz, besondere Produkte zu schaffen«. Vor Corona hatten sie keine Menüs, jetzt können sich die Gäste 3, 4 oder 5 Gänge aus der normalen Abendkarte zusammenstellen. Das würde sehr gut angenommen, berichtet Pade; bei einem viergängigen Menü sei der Pro-Kopf-Verzehr höher und es würde etwas mehr getrunken.
»Die reduzierte Mehrwertsteuer auf Speisen muss bleiben. Wir müssen europäische Gerechtigkeit walten lassen, es kann nicht sein, dass Länder wie Österreich weniger zur Kasse gebeten werden. Es ist die historisch größte Chance für Langfristigkeit in der Gastronomie und auf höhere Löhne.«
Kurz nach Wiedereröffnung habe ihm ein Stammgast fünf selbst gebackene Croissants vorbeigebracht, erzählt Jens Rittmeyer, der in Buxtehude sein gleichnamiges Sternerestaurant betreibt und außerdem eine Online-Linie hat, mit Saucen, Fonds u.v.m. Der Gast wollte wissen, wie es ihm geht. »Die Wertschätzung der Gäste für das, was wir tun, ist nur noch größer geworden«, sagt er. Sein Gästeeinzugsbereich ist vorrangig der kühle Norden, »genuss-orientiert sind sie und vertrauen darauf, dass wir dank sehr guten Kontakten zu Erzeugern und Landwirten wissen, wo alles herkommt«. Das sei ein wichtiger USP. Der andere die Suche nach dem Besonderen. »Das Einerlei vieler Restaurants« würde bei seinen Gästen zusehends für Unlust sorgen.
Am Wasser gebaut ist überdies ein Tipp von Rittmeyer, die Regenbogenforelle. »Letztens drei Kilogramm schwer, weil zu Corona-Zeiten davon wenig verkauft wurde und die Tiere stark zu‑
nahmen.« Außerdem hat er, der in der Ländlichkeit eine gewisse positive Exklusivität sieht, sein Interesse für Gemüse intensiviert, das eben nicht jeder kennt oder schnell besorgen kann ... Haferwurzel, Kerbelwurzel, Palmkohl, Bremer Scheerkohl.
Ist es doch Fine statt Casual Dining?
Noch im letzten Jahr war Plate-Sharing in aller Munde. Jetzt? Alexander Herrmann, Zweisterner und TV-Koch (unter anderem), sieht in der Corona-Krise eine große Chance für die gehobene Gastronomie. »Angeblich ist Fine Dining tot und Casual Dining kommt. Das hörte man seit Jahren. Aber nach Corona ist es genau andersherum. Und das hat mich sehr gefreut. Wobei es gar nicht nur darum geht, dass man schönes Geschirr und gutes Essen hat. Nein, es geht darum: Die Branche kann es. Gute Restaurants symbolisieren Hygiene, denn die Abstände sind sowieso größer zwischen den einzelnen Tischen, und die Mitarbeiter sind ausgebildet. Das müssen wir uns immer vor Augen führen. Die Gäste wissen das instinktiv, davon bin ich überzeugt.« Bei ihm – im Hotel, seinem Zweisterner und seinen Nürnberger Restaurants Imperial und Fränk’ness – stand das Hygienekonzept binnen 24 Stunden, das sei auch kein Hexenwerk.
Kochkurse: Jetzt mal in richtig
So wirklich ernsthaft waren Gäste oft nicht dabei, auch, weil die Kursgröße ungeeignet war für das Mitmachen. Lieber ließ man sich, vom TV gelernt, mit dem Glas in der Hand unterhalten. Das könnte sich ändern. Viele Gastronomen besinnen sich darauf, dass man mehr im Kochkurs machen kann als einmal Händeschütteln für teuer Geld mit dem tollen Koch. Denn ebenso wie die gehobene Gastronomie Hygiene signalisiert, signalisiert sie auch Können. Bei Rittmeyer »liefen die Kochkurse schon immer sehr gut, vor allem der Saucenkochkurs (299 Euro), aber auch die Spezialthemen wie Sea-food (399 Euro) und Trüffel und Pilze (399 Euro) haben jetzt schon eine Warteliste. Selbst unser zweitägiger Saucenkochkurs (699 Euro) war ausgebucht.« Auch Kochkurse, die Exkursionen zu Produzenten beinhalten, sind begehrt.
Sich fast täglich neu erfinden
Fabio Haebel kocht auf St. Pauli, in der bei Touristen und Einheimischen gleichermaßen angesagten Location in der Paul-Roosen-Straße. Während der Sommermonate hatte sein kleines Juwel geschlossen, da es auch in normalen Zeiten nur 18 Gäste bewirten kann. In der XO Seafoodbar legt er »Wert auf eine moderne Fischküche, mit Nachhaltigkeit und einer Vollverwertung aller Zutaten von Flora und Fauna.« Preiswert nennt Haebel das. Nicht billig, sondern eben seinen Preis wert. Dauerbrenner sind Spinat, Schwertmuschel und Steinchampignon. Er nennt solches Kochen »einfach«, ebenso Zutaten wie Petermännchen, Rotbarbe, Zackenbarsch vom Grill. »Aber eben modern, von höchster Qualität – und das kostet nun mal sein Geld.« Neben der Qualität ist es aber auch die Rolle des Gastgebers, der durchaus mal »ein bisschen wie der Hofnarr« agiert, die aktuell gefragt sei, findet Fabio Haebel und legt entsprechend den Fokus auch auf Events. Bei ihm wurde Private Dining zu einem solchen. Er ging in die Privatküchen. »Wir bieten eine kreative Küche an, die man sich zu Hause nicht zubereitet, weil das Know-how fehlt. Wir bieten das als Komplettpaket mit Wein an und hinterlassen die Küche hinterher sauberer als vorgefunden.«
Keine Touristen? Das hat seine Vorteile
Eigentlich sind es bei Tim Raue »die internationalen Gourmet-Touristen aus aller Welt, die besonders experimentierfreudig bezüglich ausgefallener Weine und der Kombination mit unseren Aromenwelten sind«, beschreibt Marie-Anne Raue, Eigentümerin und Geschäftsführerin des Restaurants, die Klientel. Nur waren solche Gäste in den vergangenen Monaten in Berlin nicht zu finden. Ohne sie hatten viele Berliner Gastronomen (von der notorisch schwierigen Hotelszenerie ganz zu schweigen) zu knapsen. Nicht so bei Raue. Zu ihm kamen vermehrt die Locals, teilweise auch zum ersten Mal, und gönnten sich einen Abend mit Menü und Weinbegleitung.
So viel Wagyu wie in letzter Zeit habe ich noch nie verkauft
Ähnlich erging es Carmelo Greco. Der gebürtige Sizilianer führt seit einem Jahrzehnt das gleichnamige Restaurant im schicken Frankfurt-Sachsenhausen, mit einem Stern und 17 Punkten im Gault&Millau. »Ganz massiv« fehlte ihm das internationale Publikum, vor allen Dingen werktags, denn da ist die gehobene Frankfurter Gastronomie dank der Messen und Kongresse normalerweise schon sehr gut frequentiert. Jedoch kamen auch zu ihm, wie zu Raue, die Einheimischen und die privaten Gäste. »Statt alle zwei Monate gönnt man sich den Besuch bei uns alle drei Wochen ... vor allen Dingen ältere Gäste.« Und er bestätigt die aktuelle Gastro-Benchmark: »Teure Produkte wie Wagyu für 60 Euro habe ich früher nur schwer verkauft. Aktuell ist das so, als sei es Schnitzel.«
Upscale beim Wein?
Auch beim Wein langen Grecos Gäste jetzt ausgiebiger hin. »Ich habe lange nicht so viele teure und hochwertige Weine ausgeschenkt«, sagt Carmelo Greco, der für seine Weinkarte bekannt ist. Auf der steht auch ein Lugana (von Fausto Bulgarini), den er für 49 Euro einpreist. So etwas hört das Konsortium Lugana DOC gerne. Die wollten schon länger weg vom Image des leichten, billigen Süffelweins, den nur die Deutschen (in Prozent: 40) trinken. Und jetzt scheint das zu klappen. Andrea Bottarel, Vorstand des Konsortiums, erklärt: »Deutschland war bislang eher ein konservativer Markt, stets orientiert auf hohen Wert und günstige Preise, doch in letzter Zeit registrieren wir auch hier einen steigenden Trend für ehrgeizigere und an den Verbraucher gerichtete Marken, die in den sozialen Medien beworben und über E-Commerce-Portale verkauft werden.« Das Konsortium traf sich Anfang September in Hamburg, München und Wien eine Woche lang mit Journalisten und Weininteressierten. Steffen Maus und Christian Bauer, ihres Zeichens Kenner der italienischen Weinszene, veranstalteten Blindverkostungen und zeigten die Bandbreite bis zum Riserva. Preise und Qualität haben hier nichts mehr mit den Discounter-Angeboten zu tun, sondern sind eindeutig im Upmarket-Bereich angesiedelt.