Deutschland – ein Schlemmermärchen
von Kristina PresserModerne Essgewohnheiten erobern allmählich auch Fußballarenen mit ihren Imbiss-Klassikern. Verdrängen neue Geschmacksrichtungen vielleicht sogar bald das klassische Bier-Bratwurst-Menü?
Fans nennen ihn nur »den Tempel«. Der Signal Iduna Park in Dortmund, Heimstätte des Bundesligisten BVB, ist mit 81.365 Zuschauerplätzen Deutschlands größtes Fußballstadion. Pro Spiel füllen über 75.000 Besucher die Blöcke und Tribünen – der höchste Schnitt in Europa. Wer in den Signal Iduna Park kommt, der freut sich aber nicht nur darauf, Borussia Dortmund spielen zu sehen. »Im Ruhrgebiet, und speziell in Dortmund, bedeutet Fußball grundsätzlich Bier und Bratwurst«, sagt Arne Brügmann, Geschäftsführer der BVB Event & Catering GmbH und zuständig für alle gastronomischen Bereiche sowie das Payment im Stadion. Fußball(schauen) ohne Essen und Trinken – quasi undenkbar. Das Stadion, ein Ort voller Emotionen und Spielerverehrung, ist gewissermaßen also auch eine Art Genuss-Tempel.
Tempo als Schlüssel zur Kundenzufriedenheit
Von andächtiger Essensausgabe allerdings keine Spur. »Es geht uns darum, den Gast schnell zu versorgen, mit kalten Getränken und warmen Speisen, das ist unsere Kernaufgabe«, beschreibt sie Brügmann, – »dass wir unsere Fans glücklich machen.« Die maximale Zahl an Menschen in möglichst kurzer Zeit zu verpflegen, es ist die große logistische Herausforderung des Stadion-Caterers. Lange warten will nämlich keiner, schließlich ist die Halbzeitpause knapp. Dass ausgabentechnisch dann auch alles reibungslos verläuft, dafür sorgt in Dortmund bei jedem Spiel ein gut organisiertes Team aus durchschnittlich 1.200 Mitarbeitern, verteilt auf alle Bereiche. 107 davon sind fest angestellt, der Großteil wird über Personaldienstleister bezogen.
Einsatzort ist unter anderem der Public-Bereich. Der BVB-Caterer unterhält dort 40 Kioske und 120 mobile Verkaufsstände, an denen es so ziemlich alles gibt, was das (schwarz-gelbe) Herz begehrt. Neben Imbiss-Klassikern, wie besagter Bratwurst, Currywurst und Schnitzelbrötchen, sind das auch vegan-vegetarische Angebote, die inzwischen gerne angenommen werden – produziert wird alles in den Kiosken. Fevzi Düzgün betreibt außerdem sieben Döner-Stände auf dem Stadion-areal – und das aus gutem Grund, wie Brügmann verrät: »Unser türkischer Partner macht einen Döner einfach besser als ich. Daraus ist eine Zusammenarbeit entstanden, die Freude macht.« Nicht der einzige Partner des BVB, wenn es um kulinarische Spezialitäten geht.
Vielfältig, aber schlank
Zusammen mit dem Wein-Hersteller Velis Vineyards hat das Catering-Unternehmen zwei exklusive Stadion-Weißweinschorlen entwickelt, die nun neben der herkömmlichen Softdrink-Range angeboten werden. Denn die Zahl weiblicher Stadionbesucher steigt, und die tendieren nicht zwangsläufig zu Bier. Insgesamt versuche man, das Produktportfolio zwar qualitativ hochwertig und vielfältig, aber trotzdem schlank zu halten. »Wenn zu viele Produkte am Kiosk zu erwerben sind, dann verlieren wir wieder Zeit«, erklärt Brügmann. Um das zu gewährleisten, investiere man laufend in die Kioske, Kühl- und Zapftechnik. Ein Beispiel ist der Beer-Jet. Das Zapfgerät füllt in sechs Sekunden sechs Bierbecher – äußerst effizient für das Zeitmanagement.
Zeitersparnis bringt auch das Bezahlsystem im Signal Iduna Park. Der BVB-Stadiondeckel ist das flächendeckende Zahlungsmittel im Public-Bereich, über den 80 Prozent des gesamten Payments im Stadion läuft. Die Karte lässt sich mit der Kreditkarte verbinden oder online mit einer PayPal-Funktion hinterlegen. Also kein Anstellen zum Aufladen, sondern direkt zum Kiosk und bezahlen. Wer sich lieber auf Bargeld oder die EC-Karte verlässt, der findet auf jeder Tribüne einen Multifunktionszahlungskiosk.
Teambesprechung in der Küche
Ein bisschen anders, wenn auch ähnlich herausfordernd, was Logistik und gastronomische Verpflegung betrifft, geht es in den acht VIP-Bereichen und 20 Logen zu. Bis zu 4.400 VIP-Gäste haben dort Platz. Neben allseits präsenter Brat- und Currywurst wählen Gäste hier zwischen mehreren Vorspeisen, Snacks, zwei, drei Hauptgängen und Desserts. Die Speisepläne werden nach saisonalem Kalender zusammengestellt – und nach Marktpreisen, die Arne Brügmann bei so großen Einkaufsmengen natürlich auch im Blick haben muss. Das Wichtigste sei aber immer die Qualität, wie er betont. Vor jeder Spiel-Saison setzt sich das gesamte Küchenteam zusammen und bespricht die Vorplanung. Drei bis vier Wochen vor den einzelnen Begegnungen geht es in die Detailplanung, danach folgt der Einkauf. Zubereitet werden die Speisen im Stadion in zwei Produktionsküchen, einer kalten und einer warmen, sowie in drei Satellitenküchen.
Wer das Kochen liebt und den BVB dazu, aufgepasst: BVB Event & Catering bildet auch Köche aus – und Veranstaltungskaufleute. Außerhalb der Spieltage finden nämlich jedes Jahr rund 600 Events im Stadion statt. Tagungen, Messen, Feiern – für all das kann man die Räumlichkeiten mieten. Selbst heiraten ist möglich, da der Signal Iduna Park ein eingetragenes Standesamt ist. Bei allen Veranstaltungen kümmert sich Arne Brügmann mit seinem Team um FullService für die Gäste, inklusive persönlichen Wünschen bei der kulinarischen Verpflegung. »Nur eine Sache tun wir nicht«, gibt er zu – »unser Rasen gehört den Fußballern, da wird Fußball gespielt, sonst nichts.«
Titelkampf um den »Veggie-Meister«
Fußball spielt man professionell bekanntlich auch in Gelsenkirchen, keine 28 Kilometer Luftlinie von Dortmund entfernt – ebenso leidenschaftlich, ebenso emotional. Das Interessante: Beim blau-weißen Heimatverein Schalke 04 ist man, neben sportlichen Auszeichnungen, auch auf einen kulinarischen Titel stolz: Zum dritten Mal in Folge wurde Schalke 2019 »Veggie-Meister« – und die Veltins-Arena mit ihren 62.271 Zuschauerplätzen von der Tierschutzorganisation PETA zum vegan-freundlichsten Stadion der Bundesliga gekürt. Das mag dem »eingefleischten« Fußball-Fan erst mal ungewöhnlich vorkommen, ist allerdings schlicht Ausdruck konsequenter Kundenorientierung, denn: »Das Konsumverhalten hat sich in den letzten drei bis vier Jahren verändert«, weiß Guido Kabacher, Geschäftsführer der FC Schalke 04 Arena Management GmbH, der das Stadion-Catering samt Bezahlsystem verantwortet.
Die Geschmackstrend-Welle, auf der Veganer und Vegetarier aktuell reiten, schwappt also auch auf die Hochburgen der Imbiss-Klassiker über. »Grundsätzlich ist zu beobachten, dass relativ viele Gäste nach veganen oder vegetarischen Produkten fragen«, fasst Kabacher zusammen. Dementsprechend hätten sie das Produktangebot in den letzten Jahren an acht der insgesamt 32 Arena-Kioske im Public-Bereich umgestellt. Aktuell gibt es dort zum Beispiel Falafelbällchen, Wraps, Salate und Smoothies. Um kulinarisch am Ball zu bleiben, wird das Angebot jährlich geändert. Seit kurzem umfasst es nun auch vegane Schnitzel und Süßkartoffel-Pommes im Familien-Block. Und wie werden Bami Goreng, Chili sin Carne, Tofu-Currywurst, Gemüseburger, Risi-Bisi und ein veganer Double-Choc-Muffin demnächst ankommen? Man ist gespannt.Signal Iduna Park, Dortmund
Heimatverein: Borussia Dortmund (mit Vereinsfarben Schwarz-Gelb)
Zuschauerplätze: 81.365, davon 4.400 VIPs
Kioske im Public-Bereich: 40 und 120 mobile Verkaufsstände
VIP-Bereich: 8 VIP-Bereiche und 20 Logen
Durchschnittliche Mitarbeiterzahl pro Spiel: 1.200
Bezahlsystem: BVB-Stadiondeckel
Kulinarische Highlights: »Beer-Jet«; zwei eigene Wein-schorlen für den exklusiven Stadion-Verkauf
Beliebtestes Gericht: Bier, Bratwurst, Currywurst
Stadion-Highlights: größtes Stadion in Deutschland und Europas höchster Zuschauerschnitt pro SpielVeltins-Arena, Gelsenkirchen
Heimatverein: FC Schalke 04 (mit Vereinsfarben Blau-Weiß)
Zuschauerplätze: 62.271, davon 4.500 VIPs
Kioske im Public-Bereich: 32 und 7 mobile Verkaufsstände
Hospitality-Bereich: 7 Hospitality-Bereiche und 81 Logen
Durchschnittliche Mitarbeiterzahl pro Spiel: 550
Bezahlsystem: Knappenkarte
Kulinarische Highlights: »Veggie-Meister« (2017, 2018 und 2019 Auszeichnung zum vegan-freundlichsten Stadion Deutschlands)
Beliebtestes Gericht: Bier, Bratwurst, Currywurst
Stadion-Highlights: herausfahrbares Rasenfeld und 5.000-Meter-Bierpipeline durch die Arena
Pommes blau-weiß
»Wir versuchen, mit unserem Angebot schon ein Stück weit ein kleines Aushängeschild in der Fußballbundesliga zu sein«, erklärt Kabacher. Bei aller Orientierung an Essenstrends kann man die Lage Gelsenkirchens aber nicht leugnen: mitten im Ruhrgebiet. Und damit stehen die Kiosk-Schlager fest, wie der Catering-Experte bestätigt: »Wenn ich im Stadion Pommes, Bratwurst oder Currywurst rausnehmen würde, kann ich die Uhr danach stellen, wann die ersten Leute zu mir kommen und fragen, was sie denn jetzt essen sollen.« Dass der Kunde das Stadion zufrieden verlässt, unabhängig von der sportlichen Situation, dass alles reibungslos verläuft – es ist die größte Herausforderung für den Caterer, und darin sind wohl alle Stadien gleich. »In dem Moment, wo es lange dauert, der Kunde lange auf sein Essen oder Getränk warten muss, verliert man natürlich auch Einnahmen.«
Investiert wird im Public-Bereich daher nicht nur in die Angebotsvielfalt. Ständig werden neue mobile Verkaufsstände zu den bisherigen sieben auf dem Areal akquiriert und die Kioske digital ausgebaut. Bezahlt wird im gesamten Public-Bereich übrigens bargeldlos mit der Knappenkarte. Die ist seit 2017 RFID-basiert, ermöglicht also schnelles, kontaktloses Zahlen, und über die Schalke-App mittels PayPal oder Kreditkarte aufladbar.
Wenn der Gegner die Speisekarte bestimmt
Für die bis zu 4.500 Gäste der sieben Hospitality-Bereiche und 81 Logen sind Speisen und Getränke dagegen im Ticketpreis inbegriffen. Pro Spiel gibt es eine eigene Speisekarte, die von saisonalen Produkten geprägt ist – und von der Herkunft des Gegners. Kommen die Münchner nach Gelsenkirchen, landen also auch gerne mal Weißwürste im Topf. Je nach Hospitality-Bereich wird ein Drei-Gang-Menü serviert oder ein Büfett aus kleinen, auf Tellern angerichteten Portionen, um Speiseabfälle gering zu halten. In jedem Fall soll es frisch sein. Produktionsbeginn ist ein bis zwei Tage vor »Match-Day«. Gekocht wird in der stadioneigenen warmen Hauptküche und zwei kleineren Küchen, einer warmen und einer kalten.
Wie viele Speisen im Stadion produziert werden und Getränke vorhanden sein müssen, berechnet Guido Kabacher anhand von Matrixen. Kriterien dabei sind, wer der Gegner ist, an welchem Tag gespielt wird und zu welcher Uhrzeit. Auch das Wetter spielt eine Rolle. »Man vergleicht auch ähnliche Begegnungen, schaut sich an, wie Umsatz bzw. Konsum beim letzten Mal waren, als man gegeneinander gespielt hat«, erklärt er. »Das Schlimmste wäre, wenn wir in der Arena kein Bier mehr hätten.« Das kommt in der Veltins-Arena übrigens aus einer 5.000 Meter langen Bierpipeline, die Kioske und alle gastronomischen Bereiche mit Veltins versorgt. 52.000 Liter Bier können dafür in den Arena-Katakomben gelagert werden.
Das Stadion – eine Eventlocation
Die notwendige Manpower für Lieferantensteuerung, Kioskbestückung und gastronomische Betreuung bilden rund 30 Festangestellte, drei Koch-Azubis und mehr als 960 eigene Aushilfen, die Schalke-Catering derzeit beschäftigt. Wenn es sehr knapp wird, stockt man über eine Personalfirma auf. Im Schnitt sind rund 550 Mitarbeiter im Einsatz. Viel los ist aber nicht nur bei Spielen. »Wenn mal kein Fußball ist, ist die Veltins-Arena eine hochbegehrte und viel gebuchte Veranstaltungs- und Tagungslocation«, sagt Kabacher. Kongresse, Messen, private und Firmen-Feiern – alles kann man in die Arena verlegen. Vor allem Konzerte, dank herausfahrbarem Rasenfeld. Die individuelle kulinarische Versorgung übernimmt natürlich das Schalke-Catering, das vor den Events inzwischen vermehrt Anfragen zum Speisenangebot erhält. Die Gastronomie ist also nicht nur essenzieller Bestandteil im Stadion, sie rückt auch immer mehr in den Vordergrund.
Der Original-Text aus dem Magazin wurde für die Online-Version evtl. gekürzt bzw. angepasst.