Mitarbeitersituation
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Mitarbeitersituation

„Wir sind flexibler, offensiver und kreativer geworden“

von Daniela Müller
Sonntag, 11.09.2022
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Als die Airports Unterstützung für ihren Mitarbeitermangel durch die Arbeitsagentur bekamen, haben Sie deutliche Worte gefunden und ebensolche Maßnahmen für die Hotellerie gefordert. Warum bewegt sich nichts?
Die Belastungen für die Hotellerie werden immer massiver. Personell sind wir am Anschlag unserer Möglichkeiten. Die unsichere Energieversorgung, die hohe Inflation, der Krieg in der Ukraine, die Auswirkungen der Lieferengpässe, die Kostenerhöhungen und die erneut schwammigen Pläne zum Infektionsschutzgesetz für den Herbst und Winter sorgen für Verunsicherung. Vor diesem Hintergrund und nach über zwei Jahren Auswirkungen der Pandemie stellt sich mir die Frage, warum immer noch keine klare politische Linie im Umgang mit Corona gefunden wurde. Nach wie vor wird die mit am härtesten getroffene Branche mit ihren berechtigten Anliegen nicht wahrgenommen. Das Thema Unterstützung für deutsche Airports ist ein Beispiel, das zeigt, wenn die Flughäfen in die Knie gehen und sich der Zorn der Reisenden medienwirksam entlädt, werden in kürzester Zeit Mitarbeiter aus einem Nicht-EU-Staat zugelassen. Aber wo bleibt die Hotellerie?

Welche Gründe sind für die Abwanderung der Mitarbeiter verantwortlich?
Es ist wichtig, nach den Ursachen des dramatischen Mitarbeitermangels zu fragen. Da haben wir erstens die Demografie mit der schier unüberwindbaren Lücke zwischen den sich in den Ruhestand verabschiedenden Babyboomern und den eher selteneren Mitgliedern der Generationen X, Y oder auch Z. Wer überdies durch Kurzarbeit lange Zeit nicht in dem Beruf, den er durchaus gern macht, arbeiten kann, orientiert sich neu. Darüber hinaus wurden viele Stellen abgebaut, sodass Bewerber zum Teil keine Angebote gefunden haben. Hinzu kommt, dass sich das Gastgewerbe nach wie vor mit den unreflektierten Aussagen zum Thema schlechte Bezahlung und miserable Arbeitszeiten konfrontiert sieht. Dieses Imageproblem hat sich durch Corona und die missachtende Behandlung durch die Politik noch verschärft, obwohl die pauschale Beurteilung nicht mehr der Realität entspricht. 

Die demografische Entwicklung in Deutschland ist seit Jahrzehnten bekannt. Trotzdem hat sich niemand auf den sich abzeichnenden Mitarbeitermangel eingestellt. 
Solange ein Problem nicht sichtbar ist, sondern lediglich auf dem Papier existiert, ist es nicht existent. Fakt ist aber: Bis 2030 gehen rund zehn Millionen Menschen in Rente. Wir werden zukünftig in Deutschland jährlich 400.000 neue Arbeitskräfte benötigen, um den Effekt des demografischen Wandels zu kompensieren. In diesem Zusammenhang ist es einmal mehr verwunderlich, dass die Politik die absehbare Entwicklung bisher nicht ernst genommen hat. 

Ohne Zuwanderung, auch aus Nicht-EU-Ländern, wird es nicht gehen

Ist Zuwanderung eine Lösung?
Ohne Zuwanderung, auch aus Nicht- EU-Ländern, wird es nicht gehen. Deutschland muss sich auch außerhalb der EU als attraktives Zuwandererland präsentieren. Die Ampel-Koalition reagiert erst jetzt, wenn das Kind schon fast in den Brunnen gefallen ist. Anfang Juli wurden Eckpunkte für eine Reform des Einwanderungsrechts vorgelegt. Die Einreise und die Anerkennung beruflicher Qualifikationen sollen demnach erleichtert werden. Das ist ein Anfang. Bürokratische Hürden müssen abgebaut werden, wir brauchen schnelle Genehmigungsverfahren. Das Thema Integration steht dann noch mal auf einem anderen Blatt.

Die Demografie, die Abwanderung in der Pandemie, das nach wie vor unbefriedigende Image der Branche. Wie muss die Hotellerie sich aufstellen, um dem Mitarbeiter-Problem erfolgreich zu begegnen?
Mitarbeiter aus dem Ausland sind nur ein Weg. Grundsätzlich sind perfekt flankierende politische Rahmenbedingungen unerlässlich. Dazu zählen finanzielle Entlastungen, Anreize für Investitionen, Förderung der Digitalisierung oder auch Bürokratieabbau. Selbst mit viel Engagement, Kraft und klugen Konzepten werden wir das Problem mit unseren eigenen Mitteln nicht vollständig lösen können. Die Hotellerie hat sich bereits gewandelt, ist flexibler, offensiver und kreativer geworden. Was bisher nicht möglich schien, wird nun kurzerhand umgesetzt: neue Wege im Recruiting, Vier-Tage-Woche, Kampagnen für potenzielle Mitarbeiter Ü50/60, Onboarding-Prämien, New Work-Strategien. Um Arbeitskräfte zurückzugewinnen, sehe ich Chancen, wenn wir uns in den Bereichen umsehen, in die sie abgewandert sind. Ich hoffe, dass mindestens 20 Prozent zurückkehren werden, weil sie im Grunde für die Hospitality brennen.

Die Zeiten, in denen Arbeitgeber den Bewerbungsprozess bestimmten, sind vorbei

Was kann konkret getan werden?
Eines steht unumstößlich fest: Die Zeiten, in denen Arbeitgeber den Bewerbungsprozess bestimmten, sind vorbei. Deshalb müssen wir unsere Recruiting-Wege und -Strategien ausweiten. Zielgruppengenaue Social- Media-Kampagnen spielen mittlerweile eine wesentliche Rolle. Wie sich zeigt, ist auch die Einbindung des Teams in das Recruiting ein guter Weg. Es geht darum, kreativ zu werden. Sicher sind es nicht unbedingt E-Bikes und neue Laufschuhe, die zum Erfolg führen, auch nicht überdurchschnittlich hohe Gehälter oder Prämien. Es geht um Wertschätzung, Zeitmanagement, Wohlfühlkultur, Flexibilität und Sinnhaftigkeit. 

Die Branche konzentriert sich nach wie vor auf die Ansprache junger Menschen. Welche Zielgruppen sehen Sie außerdem?
Wir dürfen unsere engagierten Mitarbeiter nicht vergessen und müssen sie weiter an uns binden und auf ihre Zufriedenheit achten. Sie sind geblieben, das sollten wir wahrnehmen, wertschätzen und belohnen. Auch hier sind flexible Arbeitszeiten, Anerkennung, Selbstbestimmung oder auch Perspektiven im Fokus. Relevant ist auch die Einbindung der Babyboomer, die Generation Ü 50/60. 38 Prozent der deutschen Bevölkerung sind 55 Jahre und älter. Viele dieser Menschen sind an Ruhestand im traditionellen Sinne nicht mehr unbedingt interessiert und wollen arbeiten. 

Sie sind General Manager im Park Inn by Radisson Berlin Alexanderplatz, dem zweitgrößten Hotel in Deutschland. Wie haben Sie sich auf die Mitarbeitersituation eingestellt?
Auch wir stellen fest, dass andere Werte in den Mittelpunkt rücken. Vertrauen, Freiraum, Selbstverantwortung, Eigenständigkeit und Einsatzbereitschaft sind unabdingbar und werden in unserem Hotel gelebt. Zu unseren Benefits zählen unter anderem Möglichkeiten, mobil zu arbeiten, Bonusprogramme für alle Abteilungen, Treueprämien, die Bereitstellung der Dienstkleidung samt Reinigung, Hotelübernachtungen zu Mitarbeiter-Raten, das Job-Ticket oder auch Gesundheitsprogramme. Zu unseren familienfreundlichen Angeboten zählt beispielsweise, dass Mütter oder Väter, die Kinder betreuen, in Service und Küche hauptsächlich im Frühdienst eingesetzt werden.

Ein Ausblick: Worauf wird es in Zukunft für die Hotellerie ankommen?
Die Hotellerie muss noch selbstbewusster werden und sich schneller wandeln, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Wir müssen gemeinsam energischer auftreten und die Weichen zur Verbesserung unseres Images passgenau stellen. Das geht nicht ohne eine aktive, zielgerichtete politische Lobbyarbeit. Jetzt haben wir die historische Chance, die Branche neu zu justieren. Von der Politik erwarte ich die Anerkennung, die das Gastgewerbe als entscheidender Wirtschaftsfaktor schon lange verdient. 

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