Im Bistro nach den Sternen greifen
von Clemens KriegelsteinFakt ist jedenfalls, dass der von französischen Starköchen »erfundene« Trend zum günstigeren Zweitlokal auch bei uns immer mehr Anhänger findet.
Die französischen 3-Sterne-Köche Alain Ducasse und Anne-Sophie Pic haben es vorgemacht, ebenso die britischen Star-Chefs Heston Blumenthal oder Gordon Ramsay. Und auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz finden immer mehr Top-Köche Gefallen an einer etwas preisgünstigeren Dependance, mit der sich nicht nur auch, sondern bisweilen sogar einfacher Geld verdienen lässt als mit dem hauben- und sternegeschmückten Hauptrestaurant.
Die Vorteile liegen dabei auf der Hand: So kann man einerseits dem Gast den Nimbus eines bekannten Namens bieten, ohne aber dreistellige Menüpreise aufzurufen. Dadurch lässt der Rahmen der Kreditkarte im Bistro des großen Meisters vielleicht einmal im Monat einen Besuch zu und nicht wie im Haupthaus einmal im Jahr.
Das funktioniert, indem man einerseits zwar – man hat ja einen Ruf zu verlieren – selbstverständlich beste Qualität serviert, andererseits aber eher mit bodenständigen Zutaten statt den teuersten Edelteilen arbeitet. Und vor allem durch das Weglassen von unnötigem Chichi: keine exklusive Designer-Einrichtung, keine drei Grüße aus der Küche, kein teures Geschirr und auch keine Stoffserviette, die nach jedem Toilettengang ausgetauscht wird. Und auch in der Küche wird die Anzahl der Mitarbeiter in Relation zu den Gästen wieder auf ein vernünftiges Maß heruntergeschraubt.
In Frankreich sind die Zweiggeschäfte großer Häuser inzwischen so verbreitet, dass eigene Führer die besten von ihnen auflisten.
Von wegen »Lage, Lage und nochmals Lage«
Einer der diesbezüglichen Pioniere in Österreich ist etwa Steirereck-Patron Heinz Reitbauer sen. Mit seinem Wiener Restaurant, dem ersten 4-Hauben-Lokal Österreichs, hat er eine Art gastronomischen Mythos geschaffen, den inzwischen sein Sohn mindestens ebenso erfolgreich weiterführt. Doch schon 1996 sanierte Reitbauer in seiner steirischen Heimat am Pogusch, einem kleinen Bergpass, auf dem sich buchstäblich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, ein altes Bauernhaus und eröffnete es unter dem Namen »Wirtshaus Steirereck«.
Allen Unternehmensberatern, denen bei einem Restaurantkonzept als Grundvoraussetzung immer nur die drei Punkte »Lage, Lage und nochmals Lage« einfallen, sei ein Besuch dort empfohlen. Rund eine Autostunde von Graz entfernt und eineinhalb Stunden von Wien ist man auch nach 23 Jahren zumindest an den Wochenenden fast immer ausgebucht. Beinahe vom Start weg mit zwei Gault&Millau-Hauben gekrönt, hat sich das Konzept zu einer Mischung aus bodenständigem Wirtshaus und gehobener Landhausküche mit gewissem Promifaktor entwickelt. Ob der Name Reitbauer dabei hilft, an diesem entlegenen Standort ein Lokal dieser Größe zu betreiben? Reitbauer: »Ja, aber nur beim ersten Mal. Wenn die Leistung nicht passt, kommen die Leute einmal und nie wieder.«
Einer der Hauptgründe für die Eröffnung dieser Dependance sei die Überlegung gewesen, für das Wiener Restaurant eigene Tiere zu züchten und Kooperationen mit örtlichen Bauern einzugehen. Bloß habe man in einem 2-Sterne-Lokal eben hauptsächlich für die Edelteile eines Tieres Verwendung. Und entweder man kauft ausschließlich die zu einem sehr hohen Preis ein, oder man verwertet das ganze Tier samt den Innereien – und dafür eignet sich eben ein Zweitlokal hervorragend. Überhaupt sei diese Möglichkeit der Nose-to-Tail-Verarbeitung einer der wichtigsten Gründe für Spitzenköche, ein Bistro als Zweitlokal zu eröffnen.
Zeit war noch nicht reif
Doch manchen Gastronomen ist nicht mal ein Zweitlokal genug, und so eröffnete Reitbauer im Jahr 2005, kurz nachdem er mit seinem Haupt-Restaurant an eine neue Adresse im Wiener Stadtpark gezogen ist, im dortigen Souterrain die »Meierei im Stadtpark«. Anfangs wirklich noch auf Käse und andere Milchprodukte fokussiert, kocht man dort inzwischen solide klassische Gerichte, vom Beef-Tatar über diverse Fische bis zum Kaiserschmarrn – all das ebenfalls auf Zwei-Hauben-Niveau. Und wer will, kann dort ab acht Uhr sogar schon frühstücken.
Reitbauer: »Damals habe ich mich tatsächlich ein wenig verschätzt und dachte, die Zeit sei in Wien reif für ein echtes Milch- und vor allem Käselokal. War sie aber nicht, wie ich bald bemerken musste, also haben wir das Konzept umgestellt und seitdem läuft es auch da sehr gut. Auch hier kommen dann mitunter Produkte zur Verwendung, die zwar qualitativ hervorragend sind, aber aus irgendeinem Grund vielleicht den Kriterien einer Küche mit vier Hauben bzw. zwei Sternen nicht entsprechen.«
Neue Kundenschichten ansprechen
Ein anderer, der die Vorteile eines Zweitlokals inzwischen zu schätzen weiß, ist Kirill Kinfelt, der seit 2013 das mit 16 Gault&Millau-Punkten und einem Michelin-Stern ausgezeichnete Restaurant »Trüffelschwein« in Hamburg-Winterhude führt. Im August 2018 eröffnete er zusätzlich das »Kinfelts Kitchen & Wine« in der Hamburger Hafencity. Kinfelt: »Ich wollte einfach zusätzlich zum Sterne-Restaurant noch ein Lokal aufmachen, in dem zwar alles auch frisch gekocht wird, das aber einfacher gestrickt und damit auch für mehr Gäste zugänglich ist.«
Wogegen auch er sich wehrt, ist die landläufige Meinung, mit einem Bistro einfacher Geld verdienen zu können als mit einem Sterne-Restaurant. »In Hamburg haben wir über 5.000 Lokale. Das ist harte Konkurrenz. Einfach ist da gar nichts. Und natürlich müssen sich beide Konzepte unabhängig voneinander rechnen. Ganz sicher kann man nicht das eine Lokal mit dem anderen querfinanzieren. Aber ich kann mit dem Bistro-Konzept mehr Leute ansprechen – da fällt für viele eine Schwellenangst weg.«
Angenehmer Nebeneffekt: Auch im Stammhaus ist seit der Bistro-Eröffnung die Auslastung leicht angestiegen, weil manche Leute, die um ein Sterne-Restaurant bisher einen Bogen gemacht haben, nach einem Besuch im Kitchen & Wine beschließen, dem Trüffelschwein doch mal eine Chance geben zu wollen.
Auch Kinfelt weiß die Synergien zu nutzen, die sich mit zwei unterschiedlichen Konzepten beim Einkauf ergeben, sprich: Man kann leichter ganze Tiere verwerten und dadurch günstiger einkaufen. Wobei Kinfelt betont, ganz bewusst auch im Trüffelschwein nicht ausschließlich mit Filet und Rücken zu arbeiten. »Dafür haben wir schließlich den Koch-Beruf erlernt, um auch mit anderen Fleischteilen tolle Ergebnisse zaubern zu können.«
Kein Sparen an der Qualität der Zutaten
Der Unterschied zwischen dem Trüffelschwein und dem Kitchen & Wine liege demnach in erster Linie im Aufwand bei der Zubereitung der Gerichte und weniger in der Qualität der Zutaten. Da käme dann eben nicht noch eine Trüffelscheibe oder ein Löffel Kaviar auf den Teller, sondern das seien einfach gute Basics. Und dann werde halt noch an Dingen wie der Tischwäsche gespart. Ausnahme: Stoffservietten finden Gäste auch im Kitchen & Wine vor. Kinfelt: »Es sind viele kleine Kostenschrauben, an denen wir dort drehen, die sich aber letztlich doch bezahlt machen. Nur an der Qualität der Zutaten sparen wir nie.«
Wenn man Kirill Kinfelt persönlich antreffen möchte, hat man die größten Chancen nach wie vor in seinem Stammhaus, auch wenn er speziell in den ersten Monaten nach der Eröffnung im Kitchen & Wine viel Zeit verbracht hat, bis die dortige Mannschaft seine Küchenphilosophie verinnerlicht hatte. »Es macht mir noch immer viel Spaß, zwischendurch mal dort zu kochen, auch weil es ein À-la-carte-Konzept ist, im Unterschied zum Trüffelschwein, wo ich nur mit Menüs arbeite. Das sind zwei verschiedene Welten.« Zum Vergleich: Auf Wunsch bekommt man auch im Kitchen & Wine ein Menü angeboten, drei bis fünf Gänge um 49 bis 69 Euro. Im Trüffelschwein geht’s bei fünf Gängen um 99 Euro erst los und reicht bis zum Neungänger um 139 Euro.
Kulinarische Befruchtung
Zurück in Wien fährt auch Konstantin Filippou sehr erfolgreich auf der Zwei-Konzepte-Schiene: Einmal mit seinem Restaurant »Konstantin Filippou« (2 Sterne, 4 Hauben) und einmal mit seinem Edel-Bistro »O boufés«, das mittlerweile auch schon mit zwei Hauben ausgezeichnet ist und das er gleich neben seinem Stammbetrieb 2015 eröffnet hat. Bei den Speisen setzt man im Bistro auf mediterran inspirierte Hausmannskost, bei den Weinen auf Naturweine. »Für mich war es immer schon ein Wunschtraum, ein Bistro zu betreiben, und als die Location neben dem Restaurant frei geworden ist, war das natürlich eine tolle Chance«, so der Sternekoch.
Durch die unmittelbare räumliche Nähe sei es auch einfacher, bei Bedarf Personal dort einzusetzen, wo jeweils Not am Mann herrscht. Wichtig sind Filippou allerdings zwei getrennte Küchen: »Die Restaurantküche soll sich wirklich auf das Restaurant konzentrieren können.« Allerdings käme es laufend vor, dass ein Gericht – vielleicht in etwas abgewandelter Form – aus dem Restaurant im Bistro landen würde oder umgekehrt. Gegenseitige kulinarische Befruchtung also.
Beim Zielpublikum käme es durchaus zu Überschneidungen, also Gäste, die etwa zum Geburtstag ins Restaurant gingen und zwischendurch ins O boufés. In jedem Fall wehrt sich der in Graz geborene Sohn eines griechischen Vaters gegen die Unterstellung, Sterneköche würden Bistros eröffnen, »damit sie endlich mal Geld verdienen«. Das sei zumindest bei ihm nie das Kriterium gewesen, beide Betriebe würden unabhängig voneinander gut laufen.
Der Original-Text aus dem Magazin wurde für die Online-Version evtl. gekürzt bzw. angepasst.