Currywurst vs. Fleischfrei
Jahrzehntelang war die Currywurst der Renner in einer Wolfsburger Volkswagen-Kantine. Vorbei!
von Sebastian BütowPRO
»Es ist eine Frage der Zeit, bis weitere Unternehmen und öffentliche Einrichtungen auf pflanzliche Gerichte setzen«
Currywurst, ade – die Umstellung bei VW sorgte für Aufruhr. Mit Blick auf die Entwicklung der letzten Jahre ist es nicht verwunderlich, dass immer mehr Unternehmen klar Stellung zum Klimaschutz und zur Gesundheit ihrer Mitarbeiter beziehen und sich für ein pflanzliches Essensangebot entscheiden.
Immerhin sorgen Milch- und Fleischwirtschaft weltweit für 14,5 Prozent der Treibhausgasemissionen und 80 Prozent der illegalen Entwaldungen im Amazonas-Gebiet. Den meisten Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Diabetes Typ 2 und Herz-Kreislauf-Erkrankungen kann mit einer pflanzenbetonten Ernährung wirksam vorgebeugt werden.
Das öffentliche Bewusstsein steigt: Etwa 40 Prozent der Deutschen bezeichnen sich als Flexitarier und reduzieren ihren Fleischkonsum. Gerade bei Menschen unter 40 sind pflanzliche Speisen besonders beliebt. An Berliner Hochschulen sollen Gerichte mit Fleisch und Fisch ab dem Wintersemester 21/22 nur noch vier Prozent des Speiseplans ausmachen. In anderen Mensen gehören vegane Speisen selbstverständlich zum Angebot.
Stefanie Heutling
Senior Consultant bei ProVeg Food Services. Sie berät führende Akteure des Außer-Haus-Markts, um sie auf ihrem Weg in eine pflanzliche Zukunft zu unterstützen.
Der Außer-Haus-Markt wird sich seiner Hebelwirkung bewusst. Mit der Menülinie »Powered by Plants« hat Deutschlands größter Betriebscaterer Eurest ein Zeichen gesetzt: Eine pflanzliche Betriebsgastronomie ist zeitgemäß, lecker und für alle Tischgäste attraktiv. Am Hauptstandort des IT-Giganten SAP werden nach eigener Aussage derzeit 40 Prozent des Umsatzes mit »Powered by Plants« erzielt. Bei der diesjährigen Internorga wurde das vegane Pop-up-Foodkonzept Bananaleaf preisgekrönt. Dean&David und Le Crobag eröffneten neulich ihre ersten rein pflanzlichen Filialen.
Während viele Länderküchen und vegane Rezepte aus Omas Zeiten ganz ohne Veggie-Würstchen auskommen, werden die pflanzlichen Alternativen immer hochwertiger. Viele Hersteller legen Wert auf Clean Label und verwenden regionale Rohstoffe wie Hafer, Erbse und Lupine. Auch die Produkte auf Sojabasis stammen aus österreichischem, niederländischem oder gar deutschem Anbau. Und lediglich zwei Prozent der weltweiten Sojaernte dienen dem menschlichen Verzehr – ca. 80 Prozent werden als Futtermittel für die sogenannten Nutztiere verwendet.
Fazit: Ein fleischreduzierter oder -freier Speiseplan mag für viele noch ungewohnt sein. Es ist lediglich eine Frage der Zeit, bis weitere Unternehmen und öffentliche Einrichtungen auf pflanzliche Gerichte setzen. Die ökologischen Grenzen unseres Planeten und die Wünsche der Tischgäste werden diesen Wandel in Zukunft noch stärker vorantreiben. Wer dies erkennt und sich positioniert, kann sich im Wettbewerb als modernes, verantwortungsbewusstes Unternehmen klar behaupten.
Die Angaben in diesem Beitrag basieren auf verschiedenen Studien.
CONTRA
»Fleisch gehört zu einer ausgewogenen Ernährung. In diesem Sinne gilt natürlich: essen und genießen mit Maß und Ziel«
Selbstbestimmte Ernährung ist ein hohes Gut. VW bevormundet seine Mitarbeiter, wenn in der Kantine nur noch vegane oder vegetarische Gerichte angeboten werden und damit jede Auswahl genommen wird.
Die Werbestrategen von VW wollen mit dieser Schlagzeile vermutlich ihr Image aufbessern und sich als Klimaschützer darstellen. Das ist aus unserer Sicht Populismus und bedient nur den Mainstream. Die Landwirtschaft arbeitet mit und in der Natur. Sicher können auch da noch Klimagase vermieden werden. Aber bei natürlichen Prozessen ist das Reduktions-Potenzial begrenzt und Klimagase technisch viel schwerer zu verhindern. Im Übrigen nutzen die Kulturpflanzen und der Wald Kohlendioxid zum Aufbau der Biomasse, das dann wieder teilweise freigesetzt wird.
Autos brauchen ständig Energie von außen, bisher fast ausschließlich fossile Energieträger. Auch die Herstellung von Fahrzeugen ist energieintensiv. Der Umstieg vom Verbrenner zum E-Auto bedeutet noch keine Verbesserung des Klimaschutzes. Erst recht nicht, wenn die Fahrzeuge immer größer und schwerer werden, und erst recht nicht, bis der Strom tatsächlich nachhaltig erzeugt wird. VW sollte seine Hausaufgaben machen und sich nicht zulasten der Landwirtschaft besser darstellen, als er im Verkehrssektor wirkt.
Stefan Köhler
Präsident des Bayerischen Bauernverbands, Bezirksverband Unterfranken. Er betreibt eine sog. Mutterkuhhaltung im Hochspessart, verkauft sein Fleisch auch an gastronomische Betriebe.
Fleisch gehört zu einer ausgewogenen Ernährung. Auf der Internetseite der Verbraucherzentrale finden Leser gute Argumente, die Fleisch zu einem wichtigen Lebensmittel machen. Fleisch hat einen hohen Gehalt an wichtigen Nährstoffen, wie Eiweiß, B-Vitaminen und Mineralstoffen, insbesondere Eisen und Zink. Diese Nährstoffe liegen oft in einer für den Körper hohen Qualität und leichten Verfügbarkeit vor. Wie für alle Lebens- und Genussmittel gilt im Sinne einer ausgewogenen Ernährung natürlich: essen und genießen mit Maß und Ziel.
Fleischverzicht ist nicht per se nachhaltiger. Grünland und Ackerfutter-bau wie etwa Klee, Luzerne und Erbsen sind wichtige Elemente der Kulturlandschaft und über unsere Nutztiere Teil unserer Ernährung. Aber auch Nebenprodukte, die durch unsere Lebensmittelproduktion (Backgetreide) entstehen, weil die Qualität oder die Korngröße nicht passt, oder die ausgepressten Pflanzenteile aus der Pflanzenöl- und Biokraftstoffproduktion finden als hochwertiges Tierfutter eine sinnvolle Verwertung und schließen Nährstoffkreisläufe gerade auch im ökologischen Anbau.
Fazit: Ohne Nutzung des Grünlandes oder Abfälle aus der Lebensmittelproduktion und tierische Lebensmittel wird sich die Menschheit kaum ernähren können. Ohne Autos könnten wir notfalls eher leben.