Alleinverantwortlich durch die Nacht
Wir bringen Licht ins Dunkel – Berufsporträt Night Auditor
von Sebastian BütowVor dem Lindner Hotel Am Ku´damm tobt das Hauptstadtleben. Nebenan sitzen die Touristen im Café The Barn, das zuvor als Café Kranzler eine Westberliner Institution war. »Träumen Sie süß in der Stadt, die niemals schläft«, bewirbt das bestens gelegene Hotel seine 146 Zimmer und Suiten im Internet. Während die Gäste träumen (oder das Berliner Nachtleben genießen), hält einer die Stellung an der Rezeption: der Night Auditor Christian Kunert, 37. Er macht diesen Job hier schon seit 15 Jahren – und zwar sehr gerne!
Wer glaubt, dass dieser Beruf vor allem beinhalte, Spätheimkehrern den Schlüssel zu reichen, liegt falsch. In Hotels wie diesem hat ein Night Auditor richtig was zu tun. »Wenn das nicht so wäre, hätte ich nach einer Woche keine Lust mehr gehabt auf den Job. Ich weiß von Nighties, die fast nur präsent sein müssen und Bücher lesen. Ein volles Programm zu haben, ist mir viel lieber«, sagt der gelernte Hotelfachmann und klingt dabei sehr überzeugend.
Night Auditors kümmern sich um alle anfallenden Aufgaben im Front Office. Sie stellen sicher, dass Anfragen und Wünsche von Gästen nachts reibungslos abgewickelt werden. Kunerts Schicht beginnt um 23 Uhr mit der Übergabe.
Man sollte zwischen verschiedenen Aufgaben umswitchen können
Jede Nacht ist anders
»Ich verschaffe mir einen Überblick, bespreche mich mit dem Spätdienst, den ich ablöse. Ein Teil meiner Arbeit besteht daraus, die Buchungen zu checken. Wurde alles richtig gemacht bei den Stornierungen? Bei meinem Job ist viel Buchhaltung dabei, man braucht ein gutes Zahlenverständnis und sollte Excel beherrschen.« Manchmal bereitet Kunert auch Tagungen und Meetings vor, jede Nacht ist anders.
Weil die Nighties ganz allein die Stellung halten, müssen sie in Notsituationen schnell handeln und entscheiden – zum Beispiel im Falle eines Feueralarms. »Meistens handelt es sich dabei um Fehlalarme, aber einmal war wirklich etwas passiert in der fünften Etage. Ich eilte hoch, sah eine riesige Qualmwolke auf mich zukommen.« Kunert entschied blitzschnell, die Gäste zu evakuieren.
Kuriose Ereignisse? »Darüber könnte ich ein Buch schreiben«
»Wäre das tagsüber passiert, hätte die Direktion entschieden, was zu tun ist«, so Kunert. Während Polizei und Feuerwehr zum Einsatz eilten, lotste Kunert die Gäste zum Evakuierungsplatz. »Und dann hieß es: Beruhigen.« Wie sich später herausstellte, hatte jemand am Feuerlöscher herumgespielt. Spektakuläre, kuriose und unvergessliche Arbeitsnächte, davon habe es in den 15 Jahren so einige gegeben, erinnert er sich und muss schmunzeln. »Ganz ehrlich, da ist so vieles passiert, dass ich ein ganzes Buch damit füllen könnte.«
Mann rannte blutüberströmt durch die Lobby
In einer klirrend kalten Winternacht, das Thermometer zeigte minus 15 Grad an, rannte plötzlich ein Mann durch die Lobby – blutüberströmt und oben herum gänzlich unbekleidet. »Ich stand an der Rezeption, neben mir eine Auszubildende. Die habe ich erst mal in Sicherheit gebracht. Und dann die Security gerufen. Der Mann stand unter Drogen und war verwirrt. Schließlich hat sich die Polizei um ihn gekümmert«, erzählt Kunert.
Zwielichtige Personen, die mitten in der Nacht ein Zimmer haben möchten, gebe es hin und wieder mal. Mit den Jahren hat Kunert eine gewisse Menschenkenntnis entwickelt. Und ein Gespür dafür, wer Probleme bereiten könnte. »Klar möchte man Geld verdienen, für das Hotel das Beste herausholen. Manchmal kommen aber Gäste, die möchte man einfach nicht haben. Dann sage ich: Wir sind leider ausgebucht.«
In mehreren Kursen und Schulungen lernte Kunert, potenziell unangenehme oder gefährliche Situationen zu deeskalieren. »Dadurch wurde ich gut vorbereitet auf die verschiedensten Situationen.« Einmal hat eine Gruppe Halbstarker erst zwei junge weibliche Gäste im Hotel belästigt, dann wollten sie ein Zimmer und bauten sich aggressiv vor mir auf. Ich hatte die Hand schon am Notknopf, alarmierte dann die Security.« Die bösen Buben zischten wieder ab.
Als Direktor muss ich mich auf den Night Auditor voll und ganz verlassen können
Gäste, die nackt im Flur stehen
Wer nachts im Hotel arbeite, so Kunert, sollte besser kein Problem mit Nacktheit haben. »Ich habe wirklich schon sehr, sehr viele nackte Gäste gesehen«, sagt er. »Meine Theorie ist, dass vor allem Männer die Bad- mit der Zimmertür verwechseln, und wenn die Tür zuschnappt, steht man splitterfasernackt im Hotelflur.« Einige Gäste greifen dann zu dem Telefonhörer neben dem Etagenlift und rufen Hilfe. »Es kam aber schon vor, dass ich an der Rezeption jemanden eincheckte, und plötzlich kam ein nackter Gast dazu – unbedeckt.«
Das Wichtigste in seinem Job sei soziale Kompetenz, findet Kunert. Alles andere könnte man lernen. Ebenfalls wichtig: Flexibilität. »Wenn ich gerade am Computer etwas Buchhalterisches mache und ein Gast kommt, bin ich sofort für ihn da. Man sollte zwischen verschiedenen Aufgaben umswitchen können. Englischkenntnisse? Selbstverständlich. An diesem Standort unabdingbar. Kunert spricht auch Russisch. »Die Gäste freuen sich, wenn ich ihre Sprache spreche.«
Hoteliers müssen ihren Nighties vertrauen können
Welche Eigenschaften sollte ein Nighty noch mitbringen? »Als Direktor muss ich mich auf den Night Auditor voll und ganz verlassen können, da ich ihm allein das Haus und die Gäste anvertraue«, sagt Marc Eichenberger, Direktor des Grand Hotel Kronenhof im schweizerischen Pontresina. »Er sollte belastbar und loyal sein, sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen.«
Zuverlässige Night Auditors zu finden, das ist nicht immer leicht. Zumal viele Kandidaten es versuchen – und die Umstellung auf das nächtliche Arbeiten nicht verkraften.
Infokasten Night Auditor
Optimale Voraussetzung für diesen Beruf ist die Ausbildung zum Hotelfachmann. Weil die Aufgabengebiete der »Nighties« von Hotel zu Hotel unterschiedlich sind, werden Night Auditors individuell eingearbeitet. Ihr nächtlicher Einsatz wird mit einem Lohnzuschlag und mit steuerlichen Vorteilen belohnt.
Der Night Auditor besetzt die Rezeption eines Hotels in den Nachtstunden, ist verantwortlich für die Nachtruhe und Sicherheit der Gäste. Er kümmert sich allein um alle anfallenden Aufgaben und stellt sicher, dass Gästeanfragen auch nachts reibungslos abgewickelt werden. Eine weitere typische Funktion des Nachtportiers ist der Tagesabschluss. Er kümmert sich auch um nächtliche Check-ins und prüft ggf., ob die Buchungen von seinen Kollegen ordnungsgemäß erledigt wurden. Zudem vertritt er die Hoteldirektion in Notsituationen, die schnelles Handeln und Entscheiden erfordern.
»Es gibt durchaus eine Zielgruppe für diesen Beruf«
Einige Hotels, so auch das idyllisch gelegene Mawell Wellness Resort in Langenburg (Baden-Württemberg), beschäftigen Nighties über externe Sicherheits-Dienstleister. »Es gibt durchaus eine Zielgruppe für diesen Beruf«, sagt der stellvertretende Direktor Andreas Behl. »Aus meiner Zeit als Azubi, in der ich selbst Nachtdienste hatte, weiß ich, dass es Kollegen gibt, die gerne nachts an der Rezeption arbeiten. Die Nachtschicht wird besser bezahlt, man hat eine gewisse Verantwortung – und zeitlich mehr Luft.« In ländlichen Gefilden ist die Suche nach geeigneten Night Auditors natürlich schwieriger als in einer Metropole wie Berlin.
Zurück zu Christian Kunert, dessen Nachtschicht um 7.15 Uhr endet. Wenn der Frühdienst erscheint, wird erst mal viel geredet, denn: »Was ich im Nachtdienst ein wenig vermisse, ist die Kommunikation.« Er bleibt noch eine halbe Stunde, fährt eine ganze Stunde zu sich nach Hause. Er lebt »jwd«, wie die Berliner sagen – janz weit draußen. Richtung Osten, in Hönow, das liegt beinahe schon in Brandenburg. Schlafen geht er erst mittags. Der Wecker klingelt um 20.30 Uhr.
Mehr Lohn, weniger Steuern
Wie hoch ist der Preis, nachts zu arbeiten, wenn (fast) alle anderen Menschen schlafen? Das sieht Christian Kunert entspannt. »Schon bei meinem vorherigen Arbeitgeber hat mir das Arbeiten in der Nacht Spaß gemacht. Es gibt Kollegen, die eine einzige Nachtschicht machen und danach eine Woche lang durch sind. Mir persönlich fällt es leicht, und ich mag es, selbst Entscheidungen zu treffen.«
Der finanzielle Aspekt sei auch nicht zu verachten.« Kunert kassiert rund 25 Prozent mehr Lohn, zudem genießt er durch die nächtliche Arbeit steuerliche Vorteile. »Wenn das nicht so wäre, würde ich es auch nicht machen. Die körperliche Belastung ist groß, und man muss in vielen Dingen ganz schön zurückstecken.« Seine Partnerschaft stecke die nächtliche Arbeit allerdings gut weg. Man muss sich gut organisieren, dann geht das. Seine Partnerin, die tagsüber im Tierheim arbeitet, akzeptiere die zeitliche Besonderheit von Kunerts Job, zum Glück. Zuvor hatte Kunert eine Fernbeziehung mit einer US-Amerikanerin. »Wenn wir telefonierten, passte es wegen des Zeitunterschieds perfekt für beide«, erinnert er sich.