Wie kommt der Bock ins Bier?
Genießer können sich zwar das ganze Jahr über für Starkbiere erwärmen, doch die klassischen »Böcke« haben vor allem im Advent Hochsaison
von Clemens KriegelsteinFlüssiges bricht bekanntlich das Fasten nicht, und so haben einst die Mönche (Bierbrauen war lange Zeit das Privileg von Klöstern) vor Ostern und Weihnachten eben ein besonders starkes und nahrhaftes Bier eingebraut, um die karge Kost der Fastenzeit aufzubessern. Ferner besagt eine Legende, dass – die Ordensbrüder wollten auf Nummer sicher gehen – ein Fass eines solchen »Fastenbieres« nach Rom geschickt wurde, um den Segen des Papstes für diesen Biertypus zu erhalten. Bloß gab es im Mittelalter noch kein FedEx, und die Brennerautobahn hat ebenso noch auf sich warten lassen … So kam das Bierfass nach wochenlanger Reise über die Alpen durchgeschüttelt und von der mediterranen Sonne erwärmt in Rom an, war entsprechend sauer und ungenießbar, und folgerichtig fand der Papst, dass dieses Gebräu dem Seelenheil seiner Schäfchen nicht abträglich sei, womit die Verbreitung der Bockbiere vor Weihnachten und Ostern ihren Siegeszug antreten konnte.
Übrigens hat der Name »Bockbier« gar nichts mit dem gleichnamigen Tier zu tun. Vielmehr war bereits im 14. Jahrhundert die deutsche Stadt Einbeck in der Nähe von Hannover für ihre Starkbierbraukunst berühmt, sodass man auch andernorts bald ein Bier nach »ainpöckisch Art« herstellte. Aus diesem »ainpöckisch Bier« wurde im Laufe der Zeit umgangssprachlich eben »ein Bockbier«. Der klassische Weihnachtsbock ist ein untergäriges Bier mit etwa 6,5 bis 7,5 Vol.-% Alkohol. Und wer es etwas intensiver möchte, der greift eben zu Doppelbockbieren.
Doppelt schmeckt besser
Doppelbockbiere – das sind Biere mit einer Stammwürze von mindestens 18 °Plato und meist über 7,5 Vol.-% Alkohol – werden vor allem in Bayern gerne getrunken und haben dort oft Namen, die auf »-ator« enden, etwa »Salvator«, »Animator« oder »Triumphator«. Die Geschichte dahinter: Im 17. Jahrhundert brauten Mönche des heiligen Franz von Paula ein besonders starkes Fastenbier und nannten es zu Ehren ihres Ordensgründers »Sankt-Vaters-Bier«. Dieses Bier war ein so großer Erfolg, dass auch andere Brauereien begannen, diesen Biertypus zu brauen und den ursprünglichen Namen zu »Salvator« verballhornten. Doch diese Bezeichnung hatte sich eine Brauerei bereits schützen lassen. So mussten sich die anderen Braustätten Alternativen einfallen lassen, die eben in den verschiedenen Namen mit der Endung »-ator« endeten.
Gehaltvolle Bier-Spezialität
Stellt sich die Frage, wie viel Luft nach oben es beim Alkoholgehalt von Bieren gibt? Erstaunlicherweise jede Menge. Zwar ist (immer vorausgesetzt, die Stammwürze ist hoch genug und liefert der Hefe damit genügend Brennstoff) bei einem »klassischen« Bier irgendwo in der Gegend von 12 bis 14 Vol.-% Feierabend, weil die Hefe ab diesem Zeitpunkt beginnt abzusterben – sie vergiftet sich quasi selbst durch den von ihr produzierten Alkohol. Doch ein probates Mittel, um noch stärker zu werden, besteht darin, das Bier auf knapp unter null Grad Celsius abzukühlen. Die im Bier vorhandenen Wassermoleküle beginnen jetzt zu kristallisieren und lassen sich herausfiltern, wodurch das verbleibende Bier umso intensiver wird – der Eisbock ist geboren. Ein Vorgang, der sich durchaus mehrmals wiederholen lässt.
67,5 Umdrehungen
Wo liegt denn nun aber die Grenze? Die US-Brauerei Samuel Adams hat als eine der ersten mit ihrem »Utopias« ein besonderes Starkbier mit 28 Vol.-% Alkohol vermarktet, das heute noch eine gesuchte Rarität unter Liebhabern ist. In den letzten Jahren gab es dann einen kurzen Wettstreit um das stärkste Bier der Welt zwischen der bayrischen Brauerei Schorschbräu mit ihrem »Schorschbock« und der schottischen Kultbrauerei Brewdog, die mit ihrem »Sink the Bismarck« dagegenhielt. (Am Namen lässt sich bereits leicht erkennen, in welchem Land man den Gegner wähnte …) Doch während die Briten bei spritzigen 41 Prozent die weiße Flagge hissten, entwickelte Schorschbräu-Besitzer Georg Tscheuschner seinen Megabock weiter auf aktuell unfassbare 57 Vol.-% Alkohol. Leider reicht es aber selbst damit nur zum Titel »Deutscher Meister«. Denn der aktuelle Weltrekord wird wieder von Briten gehalten, diesmal von der schottischen Brauerei Brewmeister. Hatte ihr »Armageddon« schon stattliche 65 Vol.-%, haben sie kürzlich mit dem »Snake Venom« mit 67,5 Vol.-% Alkohol noch einen draufgesetzt. Die spinnen wirklich, die Briten!
Bier für das Schnapsglas
Doch wer jetzt glaubt, Biere dieser Alkoholkategorie seien picksüße Liköre ohne jede Kohlensäure, der liegt ziemlich falsch. Das »Sink the Bismarck« beispielsweise moussiert noch deutlich und hat intensive Zitrusaromen. Ein spannender und nicht alltäglicher Digestif! Dafür, dass man solche Biere trotzdem lieber aus dem Schnapsglas als dem Bierkrug genießt, sprechen aber neben dem Selbsterhaltungstrieb auch die Preise: Unter 50 Euro pro 0,33-l-Flasche tut sich in dieser Kategorie wenig, aber auch mehr als 100 Euro pro Flasche sind kein Problem.
Lange Haltbarkeit
Aber zurück in die irdischen Gefilde klassischer Starkbiere: Ganz nach dem Motto »schlankes Bier – schlankes Glas, kräftiges Bier – bauchiges Glas« genießt man Bockbiere idealerweise aus einem Pokal oder einem klassischen Krug. Als Speisenbegleitung passt eine Weihnachtsgans oder ein Braten ebenso gut dazu wie ein intensiver Hartkäse. Noch ein Tipp: Starkbiere sind lange haltbar, in der Regel sogar weit über das MHD hinaus. Das Aroma verändert sich dabei wie bei einem guten Wein meist zum Besseren.
»Böcke nicht wie Helles verkaufen«
Und wie bringt man Bock & Co. jetzt am besten an den Gast? Die Angst vor dem höheren Alkoholgehalt ist speziell bei Autofahrern oft vorhanden, dazu bedeuten mehr Stammwürze und mehr Alkohol auch mehr Kalorien. »Die angebotene Menge und die richtige Präsentation machen’s aus«, weiß etwa Sebastian Priller, Chef des Brauhauses Riegele in Augsburg und ehemaliger Diplombiersommelier-Weltmeister. »Wenn man einen Doppelbock wie ein Helles zum Durstlöschen trinkt, wird es schnell problematisch. Starkbiere eignen sich eher wie Wein zum Genießen. Deswegen bieten wir unsere Starkbiere auch in der 0,33-l- statt in der 0,5-l-Flasche an und schenken es im Weinglas statt im Bierkrug aus.« Doppelbock habe, wie Priller meint, aktuell eben nicht mehr die Funktion eines Nahrungsersatzes. Entscheidend sei heute eher die Frage, wozu ich ein Starkbier genieße. Einen Weizendoppelbock könne man etwa sehr gut als Getränkebegleitung zu einem Geflügelbraten empfehlen. Priller: »Auch wenn’s grad in Bayern eine gewisse Tradition hat: Den Doppelbock im Mass-Steinkrug auszuschenken, das kann kritisch werden, davon sollte man wegkommen. Abgesehen davon schließe ich damit praktisch 99 Prozent der Frauen als Konsumenten aus, obwohl gerade Bockbiere, weil sie meist weniger Bittere haben und eher süßlichere bis fruchtigere Aromen aufweisen, durchaus von Frauen gerne getrunken werden.«
Die Vielfalt macht’s aus
Wenig überraschend ist das beliebteste Starkbier der klassische helle, untergärige Bock. Doch es gibt Alternativen. Vier verschiedene Spezialitäten aus vier verschiedenen Ländern wollen wir hier vorstellen:
Aventinus Eisbock
Die auf Weizenbiere spezialisierte bayrische Privatbrauerei Schneider hat in ihrem umfangreichen Portfolio natürlich auch »starke Ware« zu bieten. Etwa diesen Eisbock mit 12 % Alkohol, bei dem die Alkoholkonzentration per »Ausfrieren« erreicht wird. Die Farbe ist dunkles Mahagoni, am Gaumen entwickeln sich Pflaumen-, Bananen- und Nelkenaromen. Fast ölige Konsistenz. Ideal als Digestif oder zu süßen Desserts.
Samichlaus Bier
Die Rezeptur stammt eigentlich von der Schweizer Brauerei Hürlimann, seit dem Jahr 2000 wird dieser Mega-Bock aber von der Salzburger Brauerei Schloss Eggenberg gebraut. Der Name ist ein Schweizer Dialekt für »St.-Nikolaus-Tag«, den 6. Dezember, den einzigen Tag im Jahr, an dem dieses Bier gebraut wird. Mit 14 % Alkohol ist es dabei eines der stärksten klassischen Lagerbiere der Welt. Das Bier ist rotbraun mit öliger Konsistenz, dazu Schokoladennoten und intensive Dörrpflaumen-Aromen. Traumkombination etwa zu kräftigen Blauschimmelkäsen.
Brewdog Hardcore IPA
IPAs sind durch die aktuelle Craft-Bier-Welle buchstäblich in aller Munde. Und natürlich gibt es von diesem Stil auch Hardcore-Varianten wie etwa dieses – nomen est omen – Hardcore IPA von den verrückten Boys der Brewdog-Brauerei mit 9,2 % Alkohol. Bernsteinfarben mit intensiven Zitrusaromen und massiver Hopfenbittere. Immerhin hat das Bier 125 Bittereinheiten. (Zum Vergleich: Ein klassisches Pils hat etwa 30–40 Bittereinheiten.) Ein Bier, das man eher für sich, ohne Speisenbegleitung genießt.
Chimay bleue
Gerade mal eine Handvoll Trappistenklöster darf die weltweit gefragten Trappistenbiere brauen, und das bekannteste davon ist vermutlich das in der Abtei Notre-Dame de Scourmont im belgischen Chimay produzierte gleichnamige obergärige Starkbier. Das hier vorgestellte Chimay bleue ist ein Ale mit 9 % Alkohol und damit die stärkste der vier produzierten Versionen. Es besticht durch seine dunkle rostbraune Farbe und seine Frucht-, Gewürz- und Karamellnoten. Der hohe Alkoholgehalt wird beim Trinken leicht übersehen.
Stachel im Bier
Um den Genuss von Bockbieren – noch besser: (dunklen) Doppelbockbieren – zu zelebrieren, bietet sich auch das »Stacheln« an. Bei dieser Prozedur taucht man einen heißen Metallstab kurz in das Bierglas und zieht es in einer Drehung wieder heraus. Durch die Hitze des Stachels karamellisiert der im Bier vorhandene Restzucker, der Schaum wird besonders cremig und erwärmt sich merkbar, während das Bier seine Temperatur kaum erhöht. Viel leichter – und aufsehenerregender – kann man bei seinen Gästen beim Thema Bier nicht Eindruck schinden.
Dieser Brauch kommt aus den alten Schmieden, wo im Winter ein glühender Metallhaken tatsächlich verwendet wurde, um das eiskalte Bier auf genusstaugliche Temperatur zu bringen. Bierstacheln samt Halterung und Bunsenbrenner sind heute im einschlägigen Fachhandel erhältlich.