Gib dem Leben einen GIN
von Clemens KriegelsteinDenn kaum eine Spirituose bietet so viele Variationsmöglichkeiten, wie uns die »New Western Style Gins« zeigen. Manche Bestellungen können in Arbeit ausarten. So lange ist es noch nicht her, da wurde »ein Gin Tonic« bestellt – und auch serviert. So wie man auch »ein Bier« bestellt und bekommen hat.
Doch analog zur Craft-Bierwelle (»Wir hätten da ein Imperial-IPA aus einer Hausbrauerei im Norden Schottlands …«) hat sich auch der Zugang zum Gin entwickelt: Welcher Gin, welches Tonic, mit oder ohne Gurke, Zitrone, Eis etc.? Doch der Hype hat auch etwas Gutes, schließlich wurde die Traditions-Spirituose dadurch von dem leichten Fusel-Image befreit, das dem Gin lange anhaftete – ungeachtet der Tatsache, dass die »Queen Mum« sich bis zu ihrem Tod mit über 100 Jahren täglich den einen oder anderen Gin genehmigt haben soll.
Gin zu trinken, war – egal ob pur oder als Longdrink – plötzlich jedenfalls wieder schick. Und analog zur Craft-Bierwelle explodierte auch beim Gin plötzlich die verfügbare Produktvielfalt. Denn im Gegensatz zu anderen Standard-Spirituosen wie Rum, Whisky oder Wodka wird Gin eben nicht bloß aus einer Grundsubstanz gewonnen. Wacholderbeeren müssen zwar enthalten sein und sollten geschmacklich (zumindest beim klassischen London Dry Gin) im Vordergrund stehen, doch aromatisieren lässt sich Gin mit diversen Produkten, von Früchten und Samen über Kräuter und Gewürze bis hin zu Rinden oder Wurzeln.
Entsprechend vielfältig im Geschmack sind die Ergebnisse, die heutzutage erhältlich sind. Spätestens wenn dann der Wacholder-Geschmack gegenüber den »Botanicals« genannten Aromen völlig in den Hintergrund tritt, spricht man von einem »New Western Style Gin«, also tatsächlich dem Pendant zu einem Craft-Bier.
Revival der Klassiker
Diese Vielfalt, sowohl beim Geschmack wie auch bei den Einsatzmöglichkeiten, ist etwa auch für Ally Martin, Global Brand Ambassador von Hendrick’s Gin, der Grund für den aktuellen Hype: »Es gibt so viele Stile, und jeder hat seine Berechtigung.« Dadurch lasse sich auch schwer beantworten, wie man einen Gin stilvoll genießt: »Es gibt in der Gin-Range so viele unterschiedliche Geschmacksnuancen. Dieses abwechslungsreiche Angebot ist toll für den Konsumenten, und jeder Destillateur hat seine Servierempfehlung, wie wir etwa unseren Hendrick’s Gin mit Gurke offerieren. Aber grundsätzlich darf man alles, der individuelle Geschmack hat hier Vorrang.«
Auch die Kombination von Gin mit Tonic & Co. sieht Martin entspannt und keineswegs als Sünde: »Gin Tonic ist ein Klassiker und liegt voll im Trend. Die klassischen Drinks erleben gerade ein totales Revival. Ich persönlich bin überzeugt, ein guter Gin Tonic wird immer gefragt bleiben und nie aus der Mode kommen.«
Zu große Auswahl überfordert Gäste
Ähnlich sieht es auch Stefan Bauer, Barchef im Wiener Park Hyatt Hotel: »Als Hype würde ich Gin bzw. Gin Tonic nicht mehr bezeichnen, aber die Nachfrage ist ungebrochen hoch. Es kommen allerdings jetzt nicht mehr so viele neue Produkte auf den Ginmarkt wie noch vor zwei Jahren – was mir auch die Arbeit erleichtert.« (lacht)
Mit zu großer Auswahl würde man die Gäste leicht überfordern. Wichtig sei ein ausgewogenes Angebot an bekannten Marken und dem ein oder anderen New Western Style oder anderen ausgefallenen Produkten. Bauer: »Ich denke da z.B. an den Tinto Gin aus Portugal, der zwar ein Gin ist, geschmacklich aber eher in Richtung Bitterlikör geht. Mit solchen Produkten lassen sich tolle Drinks kreieren. Dazu noch ein oder zwei Gins aus einer regionalen Craft-Brennerei, die sich geschmacklich aber vom Mainstream-Gin unterscheiden müssen. Dann ist man bei dem Thema gut aufgestellt.« Bei den Tonicwaters zum Mixen achtet Bauer darauf, dass sie weniger Zucker und mehr Chininanteil bieten, wodurch der Gin besser in den Vordergrund tritt als bei einem sehr süßen Tonic.
Geschichte des Gins
Der Name »Gin« stammt von einem niederländischen Wacholderschnaps namens »Genever« ab, dessen Bezeichnung wieder auf »Jenever«, das niederländische Wort für »Wacholder«, zurückzuführen ist. Nach England kam er Ende des 17. Jahrhunderts, als Wilhelm III. von Oranien-Nassau den englischen Thron bestieg, dabei den Genever aus seiner Heimat mitbrachte und gleichzeitig dessen Produktion steuerfrei stellte – was der Beliebtheit der Spirituose unter den Briten nicht
gerade abträglich war. Denn unbekannt war der Gin vielen Engländern damals nicht mehr. Schon wenige Jahrzehnte zuvor hatten heimkehrende englische Soldaten, die auf Seiten der Holländer im Spanisch-Niederländischen Krieg gekämpft hatten, diesen mit nach Hause gebracht.
Dry Martini Cocktail
Der zweite klassische Gin-Drink neben einem Gin Tonic ist der Dry Martini Cocktail. Standardmäßig mit 6 cl Gin und 1 cl Wermut. Beides in ein Glas mit Eiswürfeln geben, 30 Sekunden rühren, Flüssigkeit in ein vorgekühltes Martiniglas ohne die Eiswürfel abseihen, mit einer Olive garnieren. Wobei das Gin-Wermut-Verhältnis je nach Vorliebe variieren kann. Einige Puristen mit robuster Leber bevorzugen einen »Montgomery« mit einem Teil Wermut und gleich 15 Teilen Gin, benannt nach dem englischen General, der angeblich den Feind am liebsten nur bei einer 15:1-Übermacht bekämpft hat. Bei manchen »extra dry«-Bestellungen soll es sogar genügen, »nur den Schatten einer Wermutflasche auf das Mixglas fallen zu lassen« oder alternativ »beim Eingießen eine Wermutflasche anzusehen« …