Es wird würzig
Warum Kümmel, Pfeffer & Co. mehr als das Salz in der Suppe sind
von Gabriele GugetzerErinnern Sie sich an den Aufreger des Frühjahrs? Die Marke Ankerkraut, angetreten als kleine, feine Gewürzmanufaktur mit wortgewaltiger Werterückbesinnung, erlebte einen riesigen Erfolg im LEH und ließ sich prompt von Nestlé aufkaufen. Es rauschte im Blätterwald, es donnerte in den sozialen Medien. Ausgerechnet Ankerkraut! Fans fielen ins Bodenlose. Natürlich ließe sich mutmaßen, dass so ein Aufkauf das erklärte Ziel war; ist halt nicht beweisbar. Was damit aber einwandfrei bewiesen wurde: Gewürze sind mehr als das Salz in der Suppe. In Zahlen: Eine Milliarde Euro ließen sich die Deutschen im Jahr 2020 ihre Liebe zu Gewürzen kosten. Besonders beliebt sind Bioprodukte.
Self-Care in der Küche
In einer aktuellen Umfrage ermittelte der globale Pharmakonzern GSK, dass die Pandemie das Gesundheitsbewusstsein der Bürger gestärkt habe. Self-Care heißt das auf Neudeutsch, es gibt sogar einen internationalen Self-Care Day (24. Juli). Ja, das klingt erst mal nach Frauenzeitschrift. Aber für die Gastronomie ist das keineswegs uninteressant, bedeutet es nämlich auch, dass sich Gäste zunehmend Gedanken darüber machen, welche Produkte sie gesünder machen könnten. Kurkuma und Ingwer bleiben gesetzt. Zitrusfrüchte sind im Kommen; Yuzu und Kumquat geben den neuen Dreh.
Eigenmarken sind angesagt
Johannes King, der für den Sylter »Söl’ring Hof« zwei Sterne erkochte, bevor er sich zur Koch-Ruhe setzte, Koch und Berater Heiko Antoniewicz (den wir gleich noch zum Thema Umami befragen), Harald Rüssel, Yotam Ottolenghi, die Regionalgemeinschaft Mein Elbtaler ... sie haben alle eins gemein, die Produktion und den Vertrieb von Eigenmarken. Schnöde Salz- und Pfeffergebinde sind natürlich nicht Teil der Produktrange. »Gemüse-Doping« nennt King beispielsweise ein Produkt auf Basis der indischen Gewürzmischung Vadouvan, mit dem Gemüsemuffel zu Gemüsefans gemacht werden sollen.
Single-Origin-
Gewürze sollen
eine höhere Qualität aufweisen, da sie nur aus einem
spezifischen Anbaugebiet stammen und bei der Ernte nur die qualitativ hochwertigsten Pflanzenteile verwendet werden. Ich denke aber, für den Normal-verbraucher spielt diese Kennzeichnung noch keine ausschlaggebende Rolle für den Kauf
Mein Elbtaler, die auf die sechs Regionen an der Elbe fokussieren, dort erzeugte Produkte vermarkten und den Fokus auch auf ökologische Erzeugung legen, haben ein besonderes Gewürz für Kartoffeln am Start. Yotam Ottolenghi vermarktet Gewürze aus dem Nahen Osten, die er auch in seinen Erfolgsbüchern verwendet. Michelin-Urgestein Harald Rüssel aus dem Trierer Raum, der in seinem gleichnamigen Restaurant und Landhaus auch viele Gäste aus dem grenznahen Ausland bewirtet, hat sich schnöden Senf vorgeknöpft. Drei Sorten, Waldsenf, Rieslingsenf und Preiselbeersenf, hat er entwickelt, die Senfmanufaktur Laux stellt her.
Im letzten Jahr ist auch Transgourmet in diesem Feld aktiv geworden. Sie haben sich mit der internationalen Eigenmarke Natura gleich in zwei Trendsektoren platziert. Mit Aromen wie Kurkuma und Zimt wird der oben bereits angesprochene Wellness-Aspekt bedient, mit der EU-Öko-Zertifizierung dem Wunsch nach Gesundheit des Planeten entsprochen. Ohne Geschmacksverstärker, chemisch-synthetische Behandlung oder Konservierungsstoffe hergestellt, sollen die in größeren Gebinden erhältlichen Gewürze höchste Produktsicherheit und Lebensmittelqualität garantieren.
Regionaler Genuss dank regionaler Förderung
Die Genussakademie am Kompetenzzentrum für Ernährung (KErn) wurde vom bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ins Leben gerufen – und zwar für hochwertige bayerische Lebensmittel. »Die kulinarischen Spezialitäten Bayerns sind oft unverwechselbar und haben einen hohen Genussfaktor sowie einen besonderen kulturellen Mehrwert«, erklärt Sprecher Dr. Simon Reitmeier. Um solches Wissen an Gäste und Kunden weiterzugeben, bietet die Akademie für Fachkräfte der Ernährung Genusssommelier-Schulungen an.
Vielseitigkeit und Rückbesinnung sind Themen, Reitmeier verweist auf Gewürze, die man in Bayern vorrangig zum Backen nutzt, die aber auch anderweitig eingesetzt werden können, beispielsweise Anissamen zu Fisch oder Kalb. Oder auf Kümmel. Ähm, der braucht einen Sommelier? »Kümmel kann man innovativ einsetzen, in flüssiger Form als ‚Münchener Kümmel‘ war er fast vergessen und erlebt jetzt eine Renaissance als Spezialität mit geschützter Herkunftsangabe.« Gewürze im Schnaps? Geht auch, weiß Reitmeiter: »Die bayerischen Brenner sind ohnehin sehr kreativ ... jetzt gibt es Gewürzspirituosen wie Birnenbrand mit Kardamom oder Marillenbrand mit Szechuan-Pfeffer, auch zum Mixen geeignet.«
Würzen statt reisen
Ob es das 9-Euro-Ticket ist oder die langen Schlangen an den Flughafenterminals ... viele Gäste bleiben in diesem Urlaub in der Region. Da kommen zwei Bücher mit Fernweharomatik wie gerufen: Nik Sharmas sehr gutes, interessant fotografiertes Buch »Zauber der Gewürze« (bei Unimedia, leider schlecht übersetzt aus der amerikanischen Originalausgabe »Season: Big Flavors«) und »Curry: Die 120 besten Rezepte von Indien bis Afrika« (Dorling Kindersley). Darin sind Rezepte der besten britischen Asiaköche versammelt, von Vivek Singh, der in London ein kleines Indien-Imperium leitet, der Indonesienkennerin Sri Owen und dem ultimativen Thai-Experten David Thompson.
Auch exotisch ist das indische Vulkansalz Kala Namak, dessen prägnanter Geschmack durch den natürlich im Gestein des Himalaja vorkommenden Schwefel entsteht. Hierzulande als Aromat in der veganen Küche entdeckt (zaubert aus gerührtem Tofu geschmacklich ein echtes Rührei, denn das Salz schmeckt nach Ei), kam dann die Frage auf, ob es wegen des hohen Schwefelgehalts gesundheitsbedenklich ist. Das Lebensmittelinstitut gab Entwarnung.