Bitte mal nach vorne kommen!
Beilagen – die Stars im Hintergrund…
von Gabriele GugetzerSeit 15 Jahren hält Achim Schwekendiek in der tiefsten Provinz einen Michelin-Stern. Im Gourmet-Restaurant des wunderschönen Schlosshotels Münchhausen bei Hameln serviert er französische Kochkunst. Hier wird teuer geheiratet, werden Jubiläen gefeiert, es gibt einen Golfplatz und viel Platz für Firmenevents. Genuss auf höchstem Niveau also, aber Schwekendiek, der um die Ecke aufgewachsen ist, bevor es ihn dann in die kulinarische große weite Welt trieb, hat die Bodenständigkeit seiner niedersächsischen Heimat nie abstreifen wollen. Neben Edelfischen, Kalbsbries und Schwarzfederhuhn ist ihm die schnöde Kartoffel wichtig (siehe auch Kasten: Sterne-Tipps für den richtigen Umgang mit Kartoffeln). »Sie waren schon immer meine liebste Sättigungsbeilage, wegen des Geschmacks, der Vielfältigkeit, der Gesundheit.« Aber die Kartoffel kann ja noch viel mehr. Sie liegt, regional, saisonal, glutenfrei, sehr zeitgemäß im Trend.
Der Wachstums-trend bei Kartoffeln: Appetizer und Fingerfood
Weg vom Dickmacher, hin zum Trend
Die tollen Knollen, wie sie in den Neunzigerjahren flächendeckend tituliert wurden, verdienen in der Tat einen neuen Blick. Sie sind – gut, das ist keine Leistung, aber man sollte es den Gästen vielleicht trotzdem sagen – ganz natürlich glutenfrei. Auch die Kästchen vegetarisch und vegan (siehe auch »Indien ist Kartoffelland«) lassen sich mit ihnen anklicken. Ihr falscher Ruf als Dickmacher kommt aus einer Zeit, als sie ohne deutsche Tunke nicht denkbar waren. Tatsächlich haben gekochte Kartoffeln unter achtzig Kilokalorien auf einhundert Gramm, sind dank der Ballaststoffe und des Eiweißgehalts nachhaltig sättigend und liefern dem Körper Vitamin C, andere Vitamine und Mineralstoffe. Die Vielseitigkeit macht vor dem Hauptgericht nicht halt, Gratin, Rösti, Ofenkartoffeln sind gelernt, Gnocchi ... Moment mal! Was ist eigentlich mit Gnocchi?
Von Italien lernen: Gnocchi warten auf ihre Renaissance
In Italien sind Gnocchi ein Hauptgericht oder ein erster Gang anstelle der Pasta. Hierzulande hat man Gnocchi noch nicht so (wieder) auf dem Schirm. Aber die Convenience hat sich längst hervorragende Rezepturen erarbeitet, was früher ja nicht so der Fall war, als die Dinger dem Gast wie Betonpoller im Magen lagen. Das Grundprodukt lässt sich mit Tomatensauce und Mozzarella, einer Mascarponesauce oder Blauschimmelwürfeln (oder gleich beidem), mit Sommerkräutern und selbst mit frittiertem frischem Salbei sehr italienisch und vor allen Dingen individualisiert auftischen. Bei Sander setzt man in der diesjährigen Gnocchi-Thematik einerseits auf Saisonalität, andererseits auf einen spätherbstlichen, leuchtenden Wald. Pesto, Pilze und bunte Möhren werden jahreszeitlich angerichtet, und Rote Bete gibt die knallige Farbe, wenn man mit Süßkartoffeln – auch die eignen sich für Gnocchi – weniger anfangen kann. Ganz klar: Sander sieht den Trend, Kartoffeln vom Beilagenzwang zu befreien.
Keep on truckin’: Kartoffeln und Tapas
Aber lange Zeit war die Kartoffel nun mal im eher spießigen Sinne deutsch; dass sie lässigen, internationalen Genuss signalisiert, war gar nicht so vorstellbar. Aber dass Foodtrucks mal eine kulinarische Bedeutung erringen würden, war ihnen hierzulande ebenso wenig in die Wiege gelegt. Genau an dieser Kreuzung holt Aviko die Gastronomieab. Sie haben in diesem Winter die Kartoffel an vorderster Front im »Wachstumstrend Appetizer und Fingerfood« ausgemacht, wie Stefan von Raben sagt.
Da wären einerseits die Pommes frites, denen ein handgemachter neuer Look (auf Neudeutsch Pure & Rustic) verpasst wurde. Ein weiteres USA-Kartoffelprodukt sind die ausgehöhlten Ofenkartoffeln (nochmal Neudeutsch: Potato Skins), die Aviko mit diversen Füllungen anbietet. Da jede Kartoffel von Hand ausgehöhlt wird, handelt es sich hier schon um eine Premium-Convenience, befüllt mit unterschiedlichsten Fleisch-, Fisch- und Gemüsezubereitungen, serviert mit Dips und Saucen.
Der Sharing-Trend zeigt ebenfalls keine Ermüdungserscheinungen. Bei Aviko hat man sich vor der Produktneuentwicklung mit einer Umfrage abgesichert. Unter den Befragten wünschen sich sechsundvierzig Prozent eine größere Auswahl an Fingerfood, sogar fünfundsiebzig Prozent teilen sich Fingerfood- und Tapas-Teller in größerer Gruppe (Quelle: Toluna Germany, April 2019). Aviko hat da, ebenfalls kartoffelig beeinflusst, neue Happen am Start
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Und mal ganz was anderes?
Geht ebenso, besonders wenn man zur klassischen Kartoffel auch die Süßkartoffel zählt. Das wäre botanisch zwar falsch, denn sie ist ein Windengewächs und die Kartoffel ein Nachtschattengewächs. Aber beide sind mehrheitstauglich, machen satt, sind schnell zubereitet. Die Aromatik der Süßkartoffel, ihre appetitliche Farbe und diese coole, junge, internationale Lässigkeit haben ihr zu einem erstaunlichen Durchbruch in Deutschland verholfen, vor allen Dingen im Catering, in der GV, am Truck.
Bei Sander wird die Süßkartoffel als vegane Variante gehandelt, bei Schne-frost rüscht sie eine Neuentwicklung auf, nämlich das Kartoffel-Risotto (ab Dezember lieferbar). Dieses Schummel-Reisgericht lässt sich als Beilage servieren, aber auch als vegetarisches Hauptgericht, verbindet die Cremigkeit der Kartoffel mit einem zarten Biss, der an Reis erinnert. Dafür wurden die Kartoffeln in winzige Stücke mit fünf Millimeter Kantenlänge geschnitten. Abwandlungen in oldschool mit einer Schmandsauce, Gewürzen und Hartkäse für die GV sind möglich, ebenso Veredelungen mit gerösteten Pinienkernen, Garnelen oder Lachs. Bei Sander sieht man das Kartoffelrisotto auch als Beilage zu hochwertigen Fleischcuts, die immer stärker im Kommen sind.
Indien ist Kartoffelland
Kartoffeln sind nicht nur das wichtigste Grundnahrungsmittel der Welt, sondern ein Basisprodukt in fast allen indischen Regionalküchen. Sie helfen, die vegane Ernährung in vielen Teilen des Subkontinents nicht zu einer Mangelernährung werden zu lassen, sind preiswert und lassen sich zwischen cremig, knusprig, scharf wunderbar variieren. Hier einige Klassiker, die sich ohne großen Aufwand umsetzen lassen:
Aloo Paratha: Weizenfladen mit herzhafter Kartoffelfüllung und Pickles
Aloo Tikki: Knusprige Kartoffelfladen mit Tamarindenchutney, Kartoffelcurry
(Fertigprodukt von Sander)
Korma: Kartoffeln in Kokosnussmilch mit Cashews und Erbsen, Tikka Masala
(veganes Fertigprodukt von Sander, scharf)
Und was ist mit Pasta?
Der Gast, der keine Pasta mag, müsste wohl noch geboren werden. Die Liebe zur Nudel geht quer durch alle Einkommensschichten. Andreas Gfrerer ist das beste Beispiel. Er betreibt eine Institution, eines der bekanntesten und schönsten Hotels mit angeschlossenen Restaurants in ganz Österreich: Klar, die Rede ist von der Blauen Gans in Salzburg. Salzburg ist eine ganzjährige Touristenattraktion, Hotelund Restaurants ständig ausgebucht, die Blaue Gans also ein Selbstläufer... Aber nein, prompt hat Gfrerer mit dem sehr hübsch gestalteten kleinen Hotelgeschäft Nudl und Sprudl (Letzteres steht für Prickelndes) einen ganz neuen Akzent gesetzt.
»Täglich werden Teigwaren von Hand frisch hergestellt«, plaudert er, »die Gäste sind auch eingeladen und können dem Koch über die Schulter blicken«, was natürlich absolut im Trend liegt. Man isst die Nudeln vor Ort – zwei bis drei Pastagerichte stehen eigentlich immer auf der Karte, dazu natürlich auch saisonale Saucen. Oder man nimmt sie getrocknet mit nach Hause; ein perfektes Mitbringsel! Gut gedacht ist auch die Produkteinbindung. Der Du-rumgrieß kommt gleich vor Ort, aus der Stifts- und Salzachmühle St. Peter, überdies werden Bio-Freilandeier verarbeitet. »Regional« soll es sein, sagt Gfrerer, obwohl Pasta ja nun eindeutig südlichere Wurzeln hat. Dass man das auch auf Sylt macht, davon gleich noch mehr.
Alexandro Papes Nudelmanufaktur
Er war mal Zweisterner auf Sylt, aber hat sich früh genug aus dem nicht einfachen Michelinsterne-Business der Insel zurückgezogen. Jetzt macht Alexandro Pape (der Name verrät’s, er hat italienische Wurzeln) Sylter Meersalz und Sylter Pasta. Ähnlich wie in der Blauen Gans ist das reine Handarbeit, wird sehr geschmackvoll verpackt und orientiert sich mit Sorten, die nicht im Supermarkt stehen, an einem ebenso exklusiven Kundenkreis wie Gfrerer. Das Kondensat aus dem Nordseewasser für die Salzproduktion verwendet Pape für die Herstellung der Nudeln, die zwischen Strozzapreti, Gnocchi sardi und Mafaldine schon beim Einkauf in seiner kleinen Manufaktur den Nudelkenner ausweisen.
Maultaschen mit Mehrwert
Bei Bürger, dem beeindruckend innovativen Mittelständler für Nudelspezialitäten, ist das ganz neue Thema Maultaschen mit Mehrwert. Denn mit dem Produkt Huhn und Hahn setzt man ein eindeutiges Zeichen gegen das Kükentöten in der Legehennenhaltung. Die Maultaschen sind überdies kalorienleichter als herkömmliche schwäbische Maultaschen. Der Zusatzwert für Gastronomen ist ein doppelter: Hier wird Tierwohl nicht gepredigt, sondern realisiert, ohne dass der Gast dabei die Taille verliert. Praktisch zu handhaben sind die im 3x1-Kilogramm-Gebinde angebotenen TK-Maultaschen ebenso.
Was für’s Auge
Der Schweizer Claudio Del Principe ist Blogger, und Buchautor ist er auch. Auf den ersten Blick kein Profi, aber er gehört zu den wenigen Kochbuchautoren (hochdekoriert), die von der Gastroszene wahr- und ernstgenommen werden. Sein neues Buch »a mano« (AT Verlag) ist gerade erschienen. Es widmet sich der Pasta, gelernt hat er das bei der Oma und ist aus Überzeugung dabei. »Nach dem Sauerteigbrot ist die handgemachte Nudel das nächste Craft-Thema der Foodszene.« Die Optik des Buches ist wunderbar, die Rezepte sind lecker und professionell und bedienen sich vor allen Dingen in der süditalienischen Küche, Apulien, Sardinien, Sizilien. Er schätzt frische Pasta auch, weil sie sich einige Tage im Kühlschrank aufbewahren lässt, ist ein Fan der schlichten Hartweizenmehl-Produkte und hält selbstgemachte Nudeln für ein perfektes Geschenk.
Außerdem können Nudeln stimmungsaufhellend wirken: »Orecchiette mit Brokkoli ist mein klassisches Soulfood«, sagt er, und tatsächlich ist das so ungefähr die einzige Kombination, mit der man Italiener zum Genuss von – zugegeben gesundem – Brokkoli verführen kann. Die guten Dinge können also einfach sein.
Sterne-Tipps für den richtigen Umgang mit Kartoffeln
- Achim Schwekendiek schätzt saisonal die Annabelle, sonst Belana oder Linda. Alle Kartoffeln bezieht er vom Marienhof in Esperde.
- Kühl, trocken und vor allen Dingen dunkel lagern, damit sie nicht austreiben.
- Frühkartoffeln lassen sich schlecht roh braten, werden schnell dunkel und trotzdem nicht kross. Im Mai und Juni fahndet Schwekendiek deshalb nach Lagerkartoffeln.
- Kartoffeln passen ins Fingerfood, zu Vorspeisen, Suppen, Fisch und Fleisch, ins Brot oder als Bindemittel.
Adressbox
www.schlosshotel-muenchhausen.com
Achim Schwekendiek:
www.gourmetkoch.de
www.bayerische-kartoffel.de
www.blauegans.at
Alexandro Pape:
www.sylter-meersalz.de
Claudio Del Principe:
www.anonymekoeche.net