Alles Käse?
Vom Wandel der Käsekultur
von Gabriele GugetzerAlles Käse« war der Titel eines Films mit den hinreißenden englischen Zeichentrickfiguren Wallace, seines Zeichens käsesüchtig, und Gromit, seines Zeichens treu ergebener Hund. Viele Engländer sind wie Wallace käsesüchtig, auch wenn’s nur Cheddar aus dem Supermarkt ist. Aber auf der Insel dürfte der aktuelle Hype um Qualitätskäse seine Wurzeln haben, dank einer Band namens Blur ... Sie wissen schon, »Song 2«. Der Blur-Bassist Alex James bezog irgendwann einen 100 Hektar großen Milchbauernhof, gründete eine Familie und wollte mal was mit Käse machen, anfangs unter tosendem Gelächter, versteht sich. Doch selbst die prächtigen Food Halls des Kaufhauses Harrod’s verkaufen seine sechs Käsesorten nun. Mehr noch: Auch in den schmallippigen Corona-Zeiten lief das von ihm gegründete Festival Beastival auf seiner Farm weiter. Dort stehen Bands und Köche nebeneinander auf der Bühne und sind Käseverkostungen aus obskuren bis winzigen Käsereien ein Muss. Auch wenn jüngere Festivalgeher eher zur veganen Klientel gerechnet werden dürften, sucht man Käseersatz in diesem Line-up vergeblich. (Nächster Termin: 26.–28. August 2022)
Käse machen in der Gastronomie
In England und den USA liegen aktuell Käsemachkurse ganz weit vorn, die sich nicht nur an die Sauerteigbrot-Fraktion und deren erstaunlich ausgestattete Amateurküchen wenden, sondern an Profiköche. Ricotta, Feta, Halloumi, Paneer laufen neben dem Restaurantbetrieb her. Und machen optisch viel her, wie Colin Wood zeigt. Vor einem Jahr landete der gebürtige Australier, eigentlich in New York kochend, covidbedingt daheim. Und auch noch bei Mutti! In der Nähe graste eine Herde Guernsey-Kühe, weltberühmt für ihre Milchqualität bei der Käseherstellung. Colin Wood interessierte sich schon lange fürs Käsemachen. Damit ihm die Decke nicht vollends auf den Kopf fiel, gab’s nur eine Frage zu beantworten: wann, wenn nicht jetzt?
Das Ergebnis war ein knusprig frittierter, in-nen cremiger goldgelber Frischkäse, unglaublich lecker fotografiert – ein Instant-Instagram-Darling. Colin Wood gehört einer neuen Generation von Käsern an, die nicht mehr vom Bauernhof kommen, sondern aus dem Restaurantgewerbe. Und für sie, so das Branchenblatt »Good Food«, geht’s beim Käsen nicht um eine flauschige Nebenbeschäftigung während des Ruhetags. Sie mögen das Käserad nicht neu erfinden, aber immerhin reift bei einem Kollegen ein dem Roquefort vergleichbarer Blauschimmel in Feigenblättern, beim anderen ein klassischer Cheddar in Wildbret-Schmalz oder geben fermentierte Kastanien einem Standard-Schnittkäse mehr Komplexität am Gaumen. Da das Kerngeschäft der Köche die Küche ist und nicht das Käsemachen, auch nicht dessen Weiterverkauf, dürfen sie sich getrost etwas austoben.
Fünf Ideen mit Ricottakäse
- als Füllung für Filoteigpäckchen
- als Bruschetta-Aufstrich mit Nduja
- als Fritatta mit weniger Eiern
- als Käsekuchenfüllung
- als Sandkuchen mit Mohn
Handgemachter Look ist in
Der handgemachte Look ist bei der Vermarktung auf der Speisekarte nicht hoch genug einzuschätzen. Wenn die Milch dann wortwörtlich aus einem guten Stall kommt, mit einem hohen Eiweiß- und Fettgehalt und einer schon fast üppigen Cremigkeit, ist auch die Einpreisung sehr reizvoll.
Paul Thomas, gebürtiger Engländer, studierter Biochemiker und langjähriger Käser, ist Mitgründer des Unternehmens Urstrom Kaese. Über das Käsen hat er einen sehr guten Ratgeber (»Home Made Cheese«, 2016 erschienen, über Amazon) verfasst, der von Einsteigerrezepten bis zu Hartkäse und Blauschimmel die ganze Bandbreite an einfachen bis zu sehr komplexen Produkten umfasst. Außerdem ist er als Berater im Käsebusiness unterwegs.
Bergkäse und Veltlinersekt
Was macht Österreich? In den letzten Jahren hat sich käsetechnisch zwischen Kleinwalsertal, Achensee und Bregenzerwald viel getan. Hermann Haller von Hallers Genießerhotel im Kleinwalsertal fokussiert einerseits auf Aktivurlaub und Erholung, andererseits auf Haubenküche. »Als Hotelier ist unsere Lage im unberührten Tal privilegiert«, sagt er, »und da die heimische Landwirtschaft von der Milchproduktion geprägt ist, haben wir hier ein echtes Stück Heimat. Kulinarisch ist das bei uns der Bergkäse, den ich am liebsten unverfälscht in verschiedenen Reifestufen von sechs Monaten bis zu drei Jahren anbiete.« Auch Ziegenkäse ist eine Spezialität aus dem Tal. Da die regionalen Produkte sehr fair eingepreist erhältlich seien, bedeute das auch: »Das Zusammenspiel zwischen Gastwirt und Landwirt wird bestens gelebt.« Am liebsten zeigt er Bergkäse zu Grünem Veltliner und Ziegenfrischkäse zu einem trockenen Veltlinersekt. Auf diese Weise bleibt es auch beim Wine-Pairing regional.
Das Genießerhotel Alpin am Achensee ist ein kleines Hotel mit 48 Zimmern, einem traditionellen Wirtshaus und einem gehobenen Stüberl, dessen Koch unter den 100 Best Chefs Austria ist und beim Gault-Millau 16 Punkte hält. Milch und Joghurt, sagt Hotelboss Alexander Gründler, seien inmitten des veganen Trends sehr wichtig. »Die bekommen wir von einer einheimischen Bäuerin, die Käse zum großen Teil von Tiroler Sennereien.« Und er betont, dass eine Käsekarte auch in Bezug auf Zusatzverkauf ein großer Gewinn sei. Die Küche macht Frischkäse und Topfen selbst – beides würde gerne bestellt – und sieht einen Trend zu Ziegen- und Schafskäse.
Reifung im eigenen Käsekeller
Das Schiff im Bregenzerwald kann auf 180 Jahre Geschichte zurückblicken, betreibt ein Gourmetrestaurant und eine Ladenwirtschaft im Haus und hat Gäste, die Kultur, erlebbares Handwerk und Brauchtum schätzen, vor allem aber Genuss. Auch hier wird auf regionale Milchprodukte zurückgegriffen, überdies auf untypischere Käsesorten wie Camembert und Weichkäse, die noch keine lange Tradition haben. Das Schiff verfügt sogar über eigene Käsekeller für die Reifung, bis die Käse dann in der Küche affiniert werden.
Eine reine Käsekarte habe man nicht, das sei auch nicht notwendig, da Käse in der Hotelküche quasi überall vorhanden ist, als Hobelkäse über Nudeln und Salaten, Bergkäsetörtchen als Beilage, Milcheis und Joghurtmousse oder natürlich überall in der traditionellen Küche. Aber auch pikanter Kaiserschmarrn ist sehr beliebt. Und Hof-besuche sind im Hotel gesetzt.
Da war doch noch was mit Milch?
Es gab Bestrebungen seitens der EU, Erzeugnisse, die nicht aus Tiermilch stammen, zur besseren Abgrenzung auch durch eine andere Begrifflichkeit zu kennzeichnen. Hafermilch, so die Argumentation, sei ja beispielsweise keine Milch im ursprünglichen Sinne, da sie nicht vom Tier komme. In rigoroseren Umweltschützerkreisen wurden diese Bestrebungen als Zensur verstanden, obwohl sie ja eigentlich dem aktuellen Trend zur Rückverfolgbarkeit und Authentizität von Produkten entgegenkommen. Und der Vorstoß wurde abgeschmettert. Produkte auf Basis von Hafer, Soja, Nuss & Co. dürfen nun den Zusatz Milch, Sahne, Käse usw. führen. Das Argument der Gegenseite, dass solche Produkte in der Regel industriell hergestellt werden, also eher wenig echte Natur enthalten, verfing nicht: Umweltschützer werteten die Entscheidung aus Brüssel als Sieg.
Unpolitisch und ohne Tiermilch? Da käme Kaya wie gerufen. Diese Creme hat eine Konsistenz wie Nutella, wird aber gewonnen aus Eiern, Zucker, Kokosmilch und Kokossahne. Und wenn es ein Milchersatzprodukt gibt, das flächendeckend ganz natürlich in ganz Südostasien beheimatet ist, dann sind es Kokosmilch und Kokossahne. Die Zubereitung ist denkbar einfach, die Produkte werden wie eine Marmelade eingekocht und das Ergebnis ist gut haltbar. Auf zwei Scheiben frisch getoastetes Brot verstrichen, mit einer Scheibe eiskalter Butter als Füllung und schnöde zusammengeklappt, ist Kaya Toast in Singapur das Lieblingsfrühstück für alle, die es gern süß mögen. So süß, dass dazu nur heißer, ungesüßter Kaffee passt. Aber das weckt die Lebensgeister!