Willkommen im Landgasthof 2.0!
von Gabriele Gugetzer
Andreas Döllerer und Thomas Dorfer bilden die Speerspitze der neuen ländlichen Kulinarik. Ländliches Feeling, gemixt mit optischer Zurückhaltung und guten Kontakten zu Qualitätsproduzenten vor Ort – das ist gerade sehr modern. Serviert werden Wirtshausküche und Gehobenes. Einheimische Tropfen leuchten in hingehauchten Kristallgläsern. Die Dirndl der Gäste dürften auch ein paar Taler gekostet haben. Alles sieht rasend schön aus und wirkt trotzdem echt. Aber die wenigsten Gastronomen können ein solches Umfeld finanziell stemmen. Die gute Nachricht: Authentizität hat nicht unbedingt etwas mit Geld zu tun.
Der typische Landgasthof wird nicht überleben
Jein. Wenn typisch gleichbedeutend ist mit hohem Convenience-Einsatz und der Bierlieferant den Wein praktischerweise gleich mitliefert, dürfte es in der Tat ein Konzept mit geringen Zukunftsaussichten sein.
Aber: Der Traum vom Land ist ungebrochen. Ein Blick ins Kioskregal offeriert unzählige Zeitschriften mit dem Wort Land im Titel und mit hohen Reichweiten, die darauf hindeuten, dass sie von mehreren Personen gelesen und aufbewahrt werden.
Tipp: Gucken Sie auf die Rezepte in diesen Zeitschriften. Der Tenor ist gleich: frisch gekocht, mit regionalem Dreh, handwerklich tadellos.
Location, Location, Location …
Jein. Thilo Bischoff kommt aus der Sternegastronomie und kocht jetzt im Ähndl in Murnau mit Traumblick auf den Staffelsee. Er zitiert Paul Bocuse: »Zwanzig Prozent macht das Essen, den Rest macht die Atmosphäre.« Auch Rolf Fuchs vom Panoramarestaurant Hartlisberg oberhalb des Thuner Sees sagt: »Ohne Lage geht nichts.«
Aber da gibt es eben auch Gegenbeispiele. Im tiefsten Bayerischen Wald liegt der Gidibauer, ein Naturhotel mit kleinem Restaurant, für das Chefkoch Alois Ertl im aktuellen Falstaff-Ranking 86 Punkte holte und das auch Tagungen kann. Ebenso wenig stehen die Widmanns, Lokalmatadoren auf der Schwäbischen Ostalb, in puncto Ausblick und unvergleichlicher Lage auf dem Siegertreppchen. Trotzdem ist beiden die Umstrukturierung erfolgreich gelungen.
Tipp: Nicht nur neidvoll nach Oberbayern schielen. Klar ist die Natur da die halbe Miete. Dafür sind die Mieten horrend.
Zwei Generationen – wichtig und nicht einfach
Ja. »Ohne Familie«, sagt Thilo Bischoff, »ist der traditionelle Landgasthof finanziell nicht mehr attraktiv.« Es braucht die Arbeitskraft, denn Personal ist schwer zu bekommen. Überdies hat ein eingeführter Betrieb etwas, das seltener ist als Goldstaub: Stammgäste. »Würde ich jetzt in einer Schweizer City einfach so ein Restaurant aufmachen,« sagt Rolf Fuchs, »wäre das sehr schwierig.«
Im Alltag kann’s zwicken, denn Loslassen, das wissen nicht nur Esoteriker, ist nun mal nicht einfach. Jeder der Gastronomen, mit denen wir sprachen, hat da seine eigene Geschichte parat. Rolf Fuchs hatte nur eine kurze Lehrzeit, als die Mutter plötzlich verstarb. Als 20-jähriger Autodidakt musste er in die Küche, weil der Vater, eigentlich der Koch, nun das »Front of House« machte. Bei den Döllerers in Golling bei Salzburg steht zwar eine riesige Familie hinter dem Projekt, dafür gibt es aber auch Gründe, dass die Aufgabenteilung militärisch strikt ist. Alois Ertl ließ der Vater einfach machen (»Ich war der einzige Koch in der Familie«), während Andreas Widmann den Vierertrupp aus Vater, Mutter, Ehefrau und ihm so beschreibt: »Jeder muss seine Rolle im Führungsteam finden.«
Tipp: Die Ausrichtung gemeinsam festzurren.
Die Landjugend geht ja sowieso nicht mehr aus
Nein. Klar, ein Teil der Landjugend sitzt vor der Xbox und geht deswegen nicht mehr in die Gastronomie. Aber: »Wir haben sehr viel junges Publikum und wir denken, dass unsere Gäste die Qualität zu schätzen wissen,« setzt Stefanie Neugebauer dagegen. Sie hat mit ihrem Mann Lothar Kring den Landgasthof Neugebauer in Lölling in Mittelkärnten von ihren Eltern übernommen. Beim Neugebauer werden aktuelle Themen umgesetzt. »Wir kochen eine kreative Landhausküche, bodenständig, regional, mit internationalen Einflüssen. Nachhaltigkeit ist bei uns ein großes Thema, wir arbeiten hauptsächlich mit heimischen Produkten.«
Auch beim Gidibauer funktioniert das: »Wir haben Jung und Alt in unserem Haus«, sagt Alois Ertl. Über Nacht gelang das jedoch nicht. Erst »im Laufe der Zeit konnten wir Akzeptanz und sehr guten Zulauf aus unserer Region aufbauen.« Eine Sache ließ Ertl dabei völlig außen vor, den Versuch nämlich, trendig zu sein. »Das klappt nur so lange, bis man trendige Gäste an noch trendigere Neueröffnungen verliert.«
Tipp: Erschwingliches bieten. Das Panoramarestaurant Hartlisberg hat eine – hochgelobte – Bistrokarte, die von der Preisleistung mit deutschen Karten vergleichbar ist. »Dann kommen Jüngere auch mehrmals im Jahr«, erklärt Fuchs.
Was das bloß alles kostet!
Kommt drauf an. Ohne Eigenkapital, sagt Thilo Bischoff, hätte er sich nicht ins Projekt Ähndl geworfen. Die Investition sollte im Verhältnis zum erzielten Umsatz stehen, ist seine Faustformel, die sicher jeder Bankberater bejahen würde. Beim Gidibauer war es der Senior, gelernter Bankkaufmann, der Erfahrung und Kontakte mitbrachte. Aber man muss nicht gleich alles erneuern. Ein gutes Beispiel ist Trendgeschirr. Sie erinnern sich noch an Steelite und Serax? Vor einigen Jahren musste das plötzlich jeder haben, es war neu, anders, supercool, ist jetzt aber überall zu sehen und verlor damit seinen USP. Rolf Fuchs machte beispielsweise aus der Geldnot eine Tugend und frischte sein mit altmodischem (nicht antikem) Holz bestuhltes Bistro mit selbst gemalten Bildern auf. Das kam bei den Gästen gut an.
Auch ein Architekt kann nützlich sein, Alois Ertl hat sogar kleinere Investitionen mit Profis durchgesprochen. Aber Vorsicht! Architekten neigen dazu, zu viel verändern zu wollen, und müssen womöglich geschmacklich und sicherlich finanziell im Zaum gehalten werden.
Tipp: Kleiner denken. Alois Ertl hat das denkmalgeschützte Haus nach achtjähriger Sanierung und Umbau (in Eigenregie) eröffnet, anfangs mit acht Zimmern und 50 Sitzplätzen, ohne Festangestellte. Er in der Küche, die Mama im Service, der Vater in der Bank.
Jetzt wird’s aber auch Zeit für eine ganz neue Speisekarte
Bloß nicht. »Wenn wir das Backhendl von der Speisekarte nähmen, gäbe es eine Revolution«, erklären die Neugebauers. Ihre Mutter, die für das Restaurant 13 Punkte im Gault-Millau erkochte, setzte es vor 50 Jahren erstmals auf die Speisekarte. Die Hühner kommen aus dem Umland, die Rezeptur ist unverändert. »Unser Restaurant ohne Chateaubriand, das wäre nicht möglich«, hat Rolf Fuchs ein ähnliches Beispiel parat. Und wer wie die Widmanns auf der Schwäbischen Ostalb kocht, sollte tunlichst Spätzle, Maultaschen und Lemberger Kutteln auf der Karte lassen.
Die grobe Linie muss stimmig sein und beibehalten werden. Aktionswochen kommen gut und binden Stammgäste.
Tipp: Innereien scheinen ein Comeback zu feiern.
Die Getränkekarte überdenken
Ja. Natürlich kann, wer einen Vertrag mit der Brauerei hat, nicht plötzlich Craft-Bier aus dem Einmannbetrieb im Nachbarort anbieten. Und nicht jeder hat das Publikum, das wie im Bistro der Fischerei am Tegernsee in Bad Wiessee zum Räucherfisch Champagnerflaschen bestellt. Aber etwas anderes ist wichtig geworden in unserer hektischen Zeit, dass dem Gastronomen sogar Geld spart: Übersicht. Überlassen Sie die viele Hundert Posten umfassende Weinkarte der Sternegastronomie und machen Sie es dem Gast leicht. Treffen Sie für ihn aus der großen Vielfalt eine Auswahl, auch preislich, und verkleinern Sie die Karte.
Tipp: Das »Waterkant« im Hamburger Empire Riverside Hotel sortiert die Weine ganz übersichtlich nach Rebsorten.
Jetzt gleich auch die Lieferanten wechseln?
Könnte sich anbieten. Auf jeden Fall ist eine Generationsübergabe eine gute Begründung für die Überprüfung von Geschäftsbeziehungen, ohne es sich gleich mit der ganzen Region zu verscherzen. Stefanie Neugebauer kennt auch aus Österreich den Preisdruck und Gasthäuser, die es mit der Regionalität nicht so ernst nehmen. Sie weiß aber auch, »dass vor allem wir, die Jungen, umdenken müssen. Wenn wir regional kaufen, wissen wir, woher das Produkt kommt«. Bei den Widmanns ist aus dem vormals regionalen Thema nun gleich das lokale Thema geworden. Lieferanten hätten sie, sagt der Junior, bewusst gewechselt, um durch die von ihnen ins Leben gerufene »Genuss bewusst«-Initiative mit den lokalen Erzeugern arbeiten zu können.
Tipp: Die Widmanns bieten Kochkurse mit lokalen Produkten an.
Auslandserfahrung in der Landgastronomie?
Why not? Frank Widmann gehört der Vereinigung der Meisterköche an und lernte noch bei der Mutter das Kochen. Sein Sohn holte sich den letzten Schliff in Neuseeland und die Ehefrau aus Österreich. Auch die Neugebauers haben sich im Ausland in der Küche kennengelernt und profitieren ihrer Meinung nach sehr davon, dass sie dank mehrjähriger Michelin-Erfahrung das nötige Know-how für den internationalen Schwung einerseits und die mehrgängigen Degustationsmenüs andererseits mitbringen.
Tipp: Wenn für längere Auslandsaufenthalte keine Zeit war, Kurztrips für die Inspiration einlegen.
Personal ist kaum zu kriegen
Ja. Es empfiehlt sich schon aus diesem Grund, dass zwei Generationen an einem Strang ziehen (s. o.). Einen ganz neuen Weg beschreitet das Münchner Edelrestaurant Tantris. Ab Januar 2018 ist es nur noch an vier Tagen in der Woche geöffnet. Das verbessert die Work-Life-Balance der Brigade. Die bedeutet dem Nachwuchs viel.
Tipp: Vielleicht können Sie bei der erschwinglichen Unterbringung von Mitarbeitern Hilfestellung leisten.
Adressbox
Döllerers Genusswelten
www.doellerer.at
Landhaus Bacher
www.landhaus-bacher.at
Gaststätte Ähndl
www.aehndl.de
Panoramarestaurant Hartlisberg
www.panorama-hartlisberg.ch
Naturhotel Gidibauer Hof
www.gidibauer.de
Widmann’s Löwen
www.loewen-zang.de
Landgasthof Neugebauer
www.landgasthof-neugebauer.at
Der Original-Text aus dem Magazin wurde für die Online-Version evtl. gekürzt bzw. angepasst.
Fotos v.o.n.u.: iStockphoto; Thilo Bischoff; Widmanns Alb.Leben; Elias Jerusalem