Sperrstunde für die Après-Ski-Szene
Skifahren ohne Party: Um den Wintertourismus nicht zu gefährden, sollen die einschlägigen Lokale in Österreichs Bergen nur mit einem anderen Konzept aufsperren dürfen
von Clemens KriegelsteinWas vor über 100 Jahren mit ein paar Gläsern Bier oder Wein in geselliger Runde nach einem kalten Tag in den Bergen begonnen hat, ist in den letzten Jahren zu einem florierenden Wirtschaftszweig in den Alpen geworden: das Après-Ski-Geschäft. Vor allem Ischgl hat mit seiner einschlägigen Lokalszene in Kombination mit einem suboptimal abgelaufenen Krisenmanagement im letzten März Corona-bedingt die internationalen Blicke auf sich gezogen. »Ballermann der Alpen« – so lautet nicht erst seit vergangenem Winter der wenig schmeichelhafte Kosename des Tiroler Ortes, in dem 10.000 Gäste-betten auf rund 1.600 Einwohner kommen.
Tausende Touristen behaupten inzwischen, sich damals in Ischgl angesteckt zu haben, von den Einwohnern des Orts hatte laut einer Innsbrucker Studie am Ende rund jeder Dritte Antikörper, also zumindest Kontakt mit dem Erreger. »Das ist nicht auf der Piste geschehen, sondern in der damaligen Kultur des Après-Ski ein Thema gewesen«, betont Österreichs Gesundheitsminister Rudolf Anschober.
»Ski-Vergnügen ja, aber ohne Après-Ski«
Um ähnliche Probleme zu verhindern, will die Alpenrepublik dem Après-Ski in der bisherigen Form in diesem Winter einen Riegel vorschieben. Damit soll verhindert werden, dass es zu
Massenansteckungen mit dem Corona-Virus kommt. Gedrängtes Stehen soll es in Bars und auf Terrassen nicht mehr geben, Essen und Getränke dürfen nur noch im Sitzen konsumiert werden. »Ski-Vergnügen ja, aber ohne Après-Ski«, wie es Bundeskanzler Sebastian Kurz bei der Vorstellung der Maßnahmen, die einen sicheren Wintertourismus garantieren sollen, formulierte. Diese Strategie soll den Wintertourismus retten, der gerade für den Westen Österreichs überlebenswichtig ist. In der Wintersaison 2018/2019 zählte Österreich 73 Millionen Übernachtungen und einen Umsatz von 15 Milliarden Euro. 675.000 Vollzeitjobs hängen in Österreich direkt am Tourismus oder indirekt in einer davon abhängigen Branche.
Neben dem Verbot des Ausschanks für stehende Gäste, das schon seit längerer Zeit für alle Gastronomiebetriebe in Österreich gilt, muss außerdem etwa beim Anstehen für Seilbahnen ein Meter Abstand gehalten und ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden, und auch in Gondeln herrscht Maskenpflicht. Skischulen wird empfohlen, höchstens zehn Schüler pro Gruppe zu unterrichten und die Gruppen nicht zu mischen. Außerdem sollen auch Skilehrer und Reiseleiter kostenfrei auf das Virus getestet werden können, wie seit dem Sommer bereits Hotelmitarbeiter.
Maßnahmen über behördliche Vorgaben hinaus
Auch die Wintersportgebiete selbst reagieren ihrerseits auf die existenzi-elle Bedrohung eines »zweiten Ischgl«, das sich mittlerweile als geflügeltes Wort durchgesetzt hat, etwa mit längeren Liftöffnungszeiten und mehr Parkplätzen und Skibussen. Ischgl selbst will laut Verantwortlichen über die behördlichen Vorgaben hinausgehen: Mitarbeiter sollen noch vor Saisonstart getestet werden. Gästen werde empfohlen, beim Einchecken einen negativen Corona-Test vorzuweisen oder sich freiwillig am Ort testen zu lassen.
Der örtliche Tourismuschef, Andreas Steibl, sieht die politischen Maßnahmen jedenfalls gelassen, und auch ein Ischgl ohne Après-Ski schreckt ihn nicht: »Wir begrüßen die Entscheidung, diesen Winter kein Après-Ski anzubieten, denn das ist ein sensibles Thema und die Gesundheit unserer Mitarbeiter und Gäste hat natürlich oberste Priorität. Es stimmt zwar, dass die Après-Ski-Kultur Teil der Ischgl-DNA ist, gleichzeitig ist das aber nur eine von mehreren Erlebniswelten, die die Marke Ischgl ausmachen. Da gehören ebenso das riesige, moderne, schneesichere Skigebiet, die vielen Haubenlokale, die hohe Dichte an Top-Hotels und weitere Angebote dazu.«
Back to the Roots
Natürlich werde die kommende Saison eine große Herausforderung, konkrete Buchungsentscheidungen würden wohl extrem kurzfristig getroffen werden und für die Betreiber gäbe es keinerlei Planungssicherheit. Zuversichtlich zeigte sich Steibl, dass noch vor Beginn der Wintersaison die Reisewarnung für Tirol wieder aufgehoben werde: »Da setzen Politik und Tourismus alles dran, dass die Zahl der Infizierten wieder sinkt. In Ischgl gibt es z.B. jetzt, Anfang Oktober, keinen einzigen Corona-Fall.« Geplant sei jedenfalls, dass alle Hotels und Lokale, auch die Après-Ski-Bars, öffnen werden. Bei Letzteren wird es halt keine Party geben, sondern die Gäste können gemütlich an einem Tisch sitzen und das eine oder andere Glas Wein oder Bier trinken. Steibl: »Dass es kein Après-Ski gibt, bedeutet ja nicht, dass der Gast sofort nach dem Skifahren auf sein Zimmer im Hotel gehen muss. Das könnte ein ›Back to the Roots‹ werden, also eine besinnliche Art des Après-Skis, wie in vergangenen Zeiten. Sowas kann ich mir sehr gut vorstellen.«
Angst vor einem generellen Imageschaden von Ischgl hat Steibl indes nicht, auch sieht er keinen Grund für eine künftige komplette Neuausrichtung des Angebotes oder der Kommunikation. »Wir sprechen von einer der bekanntesten Marken im deutschen Sprachraum überhaupt, bis 2019 haben wir jedes Jahr Steigerungen erzielt. Die letzte Saison war bis 13. März ein absoluter Rekordwinter, also die Marke Ischgl wird mit Sicherheit weiter bestehen bleiben und auch weiterhin nachgefragt werden.« Man werde künftig vielleicht die Qualität des Angebotes, der Pisten, Hotels und Restaurants noch stärker kommunizieren, aber wenn die Nachfrage nach Après-Ski künftig wieder steigt, dann werde das Angebot und auch die Inszenierung dieses Themas sicher wieder vorhanden sein.
Après-Ski als wichtiger Umsatzbringer
Tirols Landeschef Günther Platter begrüßte indes die strengen Regeln und meinte, Après-Ski mache nur 3 Prozent der Wertschöpfung im Wintertourismus seines Bundeslands aus, 97 Prozent stamme etwa aus Skifahren und der Kulinarik. »Es kann nicht sein, dass drei Prozent den Rest gefährden«, sagte er. Dem widerspricht ein Tiroler Hotelier, der parallel auch eine große (Après-)Skihütte betreibt, massiv: »Diese drei Prozent sind eine riesengroße Lüge, keine Ahnung, wo diese Zahl herkommt, das ist deutlich mehr«, so der Hotelier, der gebeten hat, anonym bleiben zu können. »Wir selber haben damals die beste Saison aller Zeiten freiwillig, mehrere Tage vor dem Lockdown, beendet. Wir haben uns nichts zuschulden kommen lassen.«
Der erfolgreiche Unternehmer ist dabei auf Politik und Medien schlecht zu sprechen: »Ständig wird so getan, als wenn Après-Ski für die ganze Epidemie verantwortlich sei. Seit März gibt es kein Après-Ski mehr, trotzdem steigen jetzt überall die Zahlen wieder brutal an. Was soll das? Hier bekommt eine ganze Industrie den Schwarzen Peter in die Schuhe geschoben. Die Politiker wissen heute noch nicht das, was wir schon im März hätten wissen sollen. Der Tiroler Landessanitätsdirektor hat damals noch schriftlich festgehalten, dass in Bars keine Ansteckungsgefahr bestehe, aber die Après-Ski-Wirte sind jetzt die Bösen. Wie krank ist das bitte?«
Politik lässt Unternehmer im Stich
Er selbst steht jetzt vor dem Problem, dass er Anfang Oktober noch nicht wusste, ob und unter welchen Bedingungen er seine Hütte im Winter wird aufsperren können. »Das ist alles ein Wahnsinn«, klagt er im Gespräch mit HOGAPAGE. »Einen Betrieb dieser Größe kann man ja nicht von heute auf morgen aufsperren, das braucht eine Vorlaufzeit, da gibt es Mitarbeiter, die teilweise seit vielen Jahren bei mir sind und die genauso in der Luft hängen. Da geht es um viele Existenzen.« Er bekäme ständig Anfragen von Gästen oder Reisebüros, die er nicht beantworten könne. Aber derzeit sei die Angst groß, dass es zu einem Coronafall beim Personal kommen könnte, dann würden alle Mitarbeiter in Quarantäne geschickt werden. Mitarbeiter, die man ab einer gewissen Anzahl gesetzlich nicht so schnell kündigen könne, die man voll weiterzahlen müsste ohne irgendwelche Einkünfte. »Dann geht’s ans Eingemachte! Wir überlegen daher gerade, ob wir dieses Risiko eingehen können.« Dazu kämen ständig neue Vorschriften von Seiten des Bundes oder des Landes Tirol, etwaige Reisewarnungen etc. »Für uns als Unternehmer ist das alles unberechenbar, aber wir werden von der Politik komplett im Regen stehen gelassen«, klagt er.
Zuversichtlich ist er hingegen für sein Hotel, dieses sei erstens nicht so groß, zweitens gäbe es sehr viele Stammgäste, die ihre Reservierung derzeit aufrecht halten und einfach abwarten wollen, wie sich alles entwickelt. »Wenn man dann weiß, wie es wirklich aussieht, dann kommen die oder im schlimmsten Fall eben auch nicht, aber das geht dann ›auf dem kleinen Dienstweg‹, da werden dann auch Stornogebühren kein Thema sein.«
Kein »Business as usual«
Man sollte das Thema Après-Ski nicht überbewerten, meint auch der Tourismusdirektor von Obertauern (Salzburg), Mario Siedler. Lokale wie eine Lürzer Alm oder ein Hasnstall hätten ja auch einen ganz normalen Restaurantbetrieb, wo die Gäste dann eben ohne Musik, DJ und Party an ihren Tischen etwas essen und trinken könnten. »Business as usual wird es aber ganz sicher nicht sein, Halligalli wird es in der gewohnten Form nicht geben«, so Siedler. Es sei aktuell (das Gespräch mit Mario Siedler hat Anfang Oktober stattgefunden, Anm. d. Red.) auch schwer abschätzbar, welche weiteren gesetzlichen Regelungen zu Beginn der Wintersaison gültig sein werden, etwa eine Sperrstunde von 22 Uhr für alle oder mit Ausnahmen für Hotels oder eine Registrierungspflicht für alle Gäste. Siedler: »Wenn wir aus der bisherigen Pandemie etwas gelernt haben, dann dass alles, was heute gilt, morgen nicht mehr relevant oder wieder ganz anders ist. Auf all diese Maßnahmen wird man sich dann einstellen und mit ihnen leben müssen, wenn es so weit ist.«
Wie sich das Thema Après-Ski in den nächsten Jahren generell entwickeln wird? Siedler lacht: »Wenn ich das wüsste, würde ich mich dafür fürstlich entlohnen lassen. Allerdings gehe ich schon davon aus, dass es eine gewisse Veränderung geben wird.« Das Bewusstsein der Menschen werde sich voraussichtlich verändern, und manch einer wird sich wohl die Frage stellen, ob das Trinken bis zum Umfallen wirklich der Weisheit letzter Schluss ist. Wobei Siedler Wert darauf legt, dass diese Form des Après-Skis ja nur ein kleiner Teil sei. Bei den meisten Gästen würde ja Après-Ski nicht Komatrinken bedeuten, wie es jetzt leider in vielen Medien dargestellt würde, sondern dass man nach dem Skifahren mit Freunden gemütlich das eine oder andere Glas Bier oder Wein trinkt, dann vielleicht noch im Wellness-Bereich des Hotels relaxt und dann zum Abendessen geht. Das müsse man schon in Relation setzen.
Branche hängt in der Luft
Generell bereitet sich Siedler »auf das Schlimmste vor und hofft auf das Beste«. Kurzfristigkeit bei den Buchungen werde sicher extrem zunehmen, die meisten Stammgäste würden aber an ihren Buchungen festhalten, allerdings eben mit einer gewissen abwartenden Haltung, abhängig von Reisewarnungen etc. »Unsere gesamte Branche hängt da leider in der Luft!«
Nachgefragt: Michael Gerber
»Die Après-Ski-Diskussion trifft uns nur marginal«
Nicht nur in Österreich, auch in Deutschland wird Ski gefahren. Auch wenn sich die Orte dort etwas anders positionieren als die großen Wintersportregionen in Österreich. HOGAPAGE sprach daher mit Michael Gerber, dem Geschäftsführer der GaPa Tourismus GmbH, über seine Erwartungen an den Winter 2020/2021.
Après-Ski ist stark ins Gerede gekommen. Wie weit tangiert Garmisch-Partenkirchen diese Diskussion?
Garmisch-Partenkirchen ist kein klassischer Après-Ski-Ort. Wir positionieren und profilieren uns als familienfreundliche Urlaubsdestination mit den dazugehörigen Angeboten unserer Leistungspartner, die besondere Erlebnisse für Eltern und Kinder auch abseits der Skipisten ermöglichen. Nachhaltigkeit, Natur, gesundes Leben einschließlich Kulinarik stehen dabei im Mittelpunkt. Diese Angebote wurden bereits in der Vergangenheit sehr gut angenommen. Insofern trifft uns die Diskussion um das Für und Wider des Après-Skis in Zeiten von Corona nur marginal.
Erwarten Sie von der Politik auch eine dezidierte Après-Ski-Absage, ähnlich wie in Österreich?
In erster Linie erwarten wir politische Entscheidungen, die die Sicherheit sowie die Gesundheit unserer Gäste und Einheimischen in den Mittelpunkt stellen.
Frühe Sperrstunden, Gästeregistrierung, Maskenpflicht etc. – wie sehr wird die Gastronomie darunter leiden?
Die vergangene Sommersaison hat gezeigt, dass unsere Hotellerie- und Gastronomie-Partner bestmögliche Hygienekonzepte umgesetzt haben, die teilweise über die gesetzlichen Vorgaben hinausgingen. Dass dies auch von unseren Gästen honoriert wurde, zeigen die touristischen Zahlen, die im Juli und August bei den Übernachtungen noch über den Zahlen des Vorjahres lagen. Pauschal gesagt werden auch in der kommenden Wintersaison diejenigen Leistungspartner profitieren, die auf die neuen Bedürfnisse der Gäste nach Sicherheit, Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Gesundheit eingehen und verstanden haben, dass es in der Tourismusbranche eine Rückkehr zum Alltag, wie wir ihn vor der Krise hatten, nicht geben wird und kann.
Was erwarten Sie generell vom kommenden Winter? Hoffen Sie auf zusätzliche Gäste aus Deutschland, die sich nicht nach Tirol trauen oder aufgrund von Reisewarnungen nicht nach Österreich dürfen?
In diesen unverändert noch fragilen Post-Corona-Zeiten, die nach wie vor durch Beschränkungen bzw. Einschränkungen für die touristischen Gäste (aber auch Einheimischen) geprägt sind, fällt es schwer, konkrete Erwartungen für die kommende Skisaison 2020/2021 bezüglich der Anzahl der Gäste und des Umsatzes zu formulieren. Die Buchungszahlen für die kommenden Monate geben die begründete Hoffnung – wenn kein Covid-19-bedingter Rückschritt passiert –, dass wir uns in Richtung des Vorjahresniveaus bewegen können. Im Übrigen freuen wir uns, wenn viele Menschen unseren Ort und seine Natur so attraktiv finden, dass sie gerne zu uns kommen wollen.