Lernen vom Gamechanger
Die Proteste werden heftiger, die Gesetze schärfer – dennoch ist der Siegeszug von Airbnb kaum aufzuhalten
von Sebastian BütowDas Ketten-Hotel von der Stange hat fertig, es lebe die individuelle Unterkunft – darauf fahren nicht nur die Millennials (um das Jahr 2000 Geborene), Hipster und Individualisten ab, das wissen Trendforscher ganz genau. Zumal die Preise von Unterkünften, die über Airbnb gebucht werden, in Hauptstädten wie Berlin, Madrid, Paris oder Wien deutlich günstiger zu buchen sind, sie liegen bis zu 50 Prozent unter dem Preis vergleichbarer Hotel-Angebote.
Allein das Stöbern nach privaten Räumlichkeiten mit dem gewissen Etwas entwickelte sich zum kurzweiligen Hobby: Gemütlich mit dem Tablet-PC auf dem Sofa stylische Apartments in New York bestaunen, das kann fesseln wie eine Netflix-Serie. Und wer eine echte Perle gebucht hat, teilt seine Freude über das einzigartige selbstgebaute Himmelbett in Malmö oder die Umarmung mit der unfassbar charmanten Gastgeberin in Liverpool bilderreich bei Instagram. Bei einem Hotelzimmer ist das eher nicht üblich.
Fünf Millionen Übernachtungsmöglichkeiten
Zwölf Jahre ist es her, als drei pfiffige junge Menschen im Silicon Valley auf die Idee kamen, »Airbedandbreakfast« zu gründen – Luftmatratze, Bett und Frühstück. Das einst niedliche Startup schreibt als Online-Vermittler für private Unterkünfte Geschichte als eine der größten Erfolgsstorys des noch jungen 21. Jahrhunderts. Mittlerweile findet man hier rund fünf Millionen Übernachtungsmöglichkeiten in mehr als 80.000 Orten auf diesem Planeten.
Insbesondere in den großen Städten suchen Touristen, zunehmend auch Dienstreisende, ausschließlich bei Airbnb nach Unterkünften. Denn: »Hotels sind mir zu steril und zu vorhersehbar. Wenn wir zu viert als Familie in eine Metropole wie Lissabon oder Wien verreisen, sind die Zimmer vergleichsweise eng und teuer. Über Airbnb bekommen wir einfach mehr geboten, vor allem mehr authentisches Flair«, sagt die Münchnerin Katrin Romero stellvertretend für viele Gleichgesinnte, die in Hotels offenbar das vermissen, was sie bei Airbnb finden: ein echtes lokales Erlebnis.
Wie gefährlich ist Airbnb für die Hotellerie?
Lange hat sich der Glaube gehalten, dass Airbnb lediglich ein zusätzliches Segment geschaffen habe mit seinen Sharing-Betten, den Hotels nichts vom Kuchen wegessen würde. Tatsache ist aber, dass der Vermittler den klassischen Hotels als neuer Player auf dem Markt gewaltig auf die Füße gestiegen ist. Die Plattform vermittelt mehr Übernachtungen, als die fünf größten Hotelgruppen der Welt (Marriott, Hilton, Intercontinental, Wyndham, Accor) zusammen Gäste unterbringen können! In manchen Orten beherbergt Airbnb bereits mehr Touristen als die Hotels selbst.
Auch was den Wert des Unternehmens betrifft, spielt das einst niedliche Luftmatratzen-Start-up mittlerweile in einer Liga mit den Hotelketten-Platzhirschen. Der klitzekleine Unterschied ist, dass Airbnb keine Hotelgebäude bauen, kein Hotel-Personal bezahlen muss. Noch wird der Umsatz mit einer Plattform generiert, die Anbieter und Nachfrager zusammenführt. Anbieter zahlen rund drei Prozent, die Übernachtungsgäste circa zehn Prozent Vermittlungsprovision.
»Airbnb plus« bietet günstige Unterkünfte auf Hotelniveau
Bei diesem Ur-Geschäftsmodell wird es aber nicht bleiben, Airbnb-Mitgründer und -CEO Brian Chesky hat ganz unbescheiden eine Milliarde Übernachtungen pro Jahr als Ziel ausgerufen, bis zum Jahr 2028. In den USA errichtet der Online-Vermittler schon eigene, riesige Wohnkomplexe und dringt damit aktiv ins Hotelbusiness vor. Auch das neue Angebot »Airbnb plus« ist definitiv eine Kampfansage. Es verspricht Unterkünfte mit garantierten Standards, die auch
Hotels bieten – aber zum günstigeren Preis.
So ein unfairer Wettbewerb, neigt man zu fluchen als Hotelier mit all den hohen Bewirtschaftungskosten, Airbnb dagegen ist kaum Regulierungen unterworfen. Auf die Frage, was die Hotellerie von der neuen Konkurrenz lernen könne, antwortet Otto Lindner, Chef der familiengeführten Lindner Gruppe, augenzwinkernd: »Eine nicht ganz ernst gemeinte Antwort wäre, dass man lernen könnte, bestehende Gesetze nicht zu beachten, keine Steuern zu bezahlen und damit die Profitabilität des Geschäftsmodells explodieren zu lassen.«
Hotels sollten nicht nur Übernachtungen bieten, sondern auch exzellente persönliche Erlebnisse
Prof. Dr. Claudia Hilker, Geschäftsführerin der Unternehmensberatung Hilker Consulting
»Gast bei Locals sein« ist heutzutage das A & O
Und weil Jammern und Beklagen über Ungerechtigkeiten auch ironisch verpackt nicht zielführend sind, reicht Otto Lindner schnell den ernst gemeinten Teil seiner Antwort nach. Hoteliers könnten sich in der Tat vieles abschauen, etwa beim Marketingversprechen von Airbnb: »Wir sollten unseren Gästen stärker das Gefühl vermitteln, zu Gast bei Locals zu sein, die einem das Reiseziel näherbringen.« In den letzten Jahren haben sich »sehr coole Lifestyle-Konzepte in der Hotellerie entwickelt«, fährt Lindner fort, »und diese boomen gerade am Markt, so wie auch unsere Boutique-Marke ›me and all hotels‹.«
Wir sollten unseren Gästen stärker das Gefühl vermitteln, zu Gast bei Locals zu sein, die einem das Reiseziel näherbringen
Otto Lindner, Lindner Gruppe
Bei deren Entwicklung spielte das
»Local Heroes Konzept« eine große Rolle – »die enge Zusammenarbeit mit lokalen Produzenten, wie etwa den besten Kaffee-Röstern und dem besten Bäcker der jeweiligen Stadt, auch Partnerschaften mit einheimischen Künstlern, Musikern, Fitness-Coaches und sogar Barber-Shops gehören dazu«, erläutert Lindner. Ein echtes Alleinstellungsmerkmal seien die wöchentlichen Events, die für Hotelgäste, aber auch für die Bewohner der Städte angeboten werden.
Neue Hotelketten-Marken mit Local-Style
Auch andere große Hotelketten haben längst innovative Konzepte auf den Markt gespült: Die »25 hours«-Hotels der Accor-Gruppe ziehen junge Gäste mit stylischen Foyers, chilligen Hängematten und Co-Working-Spaces an. All das versprühe »den rauen, unfertigen Charme der Berliner Kreativszene«. Der neue Hilton-Ableger »tru« will die junge Generation mit »erschwinglichen, energiegeladenen und pulsierenden« Unterkünften locken. Die ebenfalls neue Kette »Jaz in the City« von der Deutschen Hospitality will »Locals und Besucher in einem völlig neuen Hotelkonzept zusammenbringen«.
Dem Gast geht es heutzutage nicht nur um den Look und den Komfort einer Unterkunft, sondern auch um das Lebensgefühl, er möchte sich mit seiner Unterkunft identifizieren und bei seiner Reise kein Eindringling in eine fremde Welt sein. Für Digital-Expertin Prof. Dr. Claudia Hilker nutzt Airbnb geschickt die sozialen Effekte im digitalen Zeitalter: »Ich kann mich mit Facebook einloggen und bekomme das Gefühl, Teil einer Community zu sein, deren Meinung ich auch vertrauen kann.«
Airbnb brilliert bei Social Media, die Hotellerie versagt
Wollen sich Hoteliers gegen Airbnb behaupten, dann sollten sie sich auf ihre Kernkompetenzen besinnen, den Gast mit Service und Annehmlichkeiten verwöhnen. »Hotels sollten nicht nur Übernachtungen bieten, sondern auch exzellente persönliche Erlebnisse«, so die Geschäftsführerin der Unternehmensberatung Hilker Consulting. Aus ihrer Sicht lege die Branche zu viel Wert auf operative Effizienz, sprich Kostenkürzungen, statt sich auf die Rolle eines perfekten Gastgebers zu fokussieren.
»Außerdem mangelt es beim strategischen Einsatz von Social Media. Damit könnten Hoteliers die Marke verjüngen, neue Mitarbeiter und Gäste gewinnen. Mit dem Aufbau einer Community und spannenden Storys neue Fans für die Marke gewinnen, die wiederum zu Empfehlern werden.« Die Chancen, die Social Media bietet, werden noch immer nicht genutzt.
»Wenn du sie nicht besiegen kannst, sei wie sie!«
Einige Hoteliers haben sich das Motto »If you can’t beat them, join them!« (Wenn du sie nicht besiegen kannst, sei wie sie) zu Herzen genommen, ihr Angebot modernisiert und an das Airbnb-Zeitalter angepasst. Kleine und unabhängige Hotels sollten Airbnb erst recht nicht ignorieren, weil diese neben Privatunterkünften mittlerweile ebenfalls auf der Plattform angeboten werden.
Das einst rein positive Sharing- und Innovativ-Image von Airbnb ist ambivalenter geworden, immer mehr Städte fahren ihre Krallen aus gegen Unterkunftsvermittler, deren Geschäftsmodell den Wohnraum für Einheimische verknappt und teurer macht. Berlin hat vor zwei Jahren die Regeln für die sogenannte Zweckentfremdung von Wohnraum verschärft. In Amsterdam dürfen Wohnungen seit Neuestem nur noch maximal 30 Tage im Jahr an Touristen vermietet werden. Diese neuen Entwicklungen bieten logischerweise Chancen für die Hotellerie.
»Hotellerie muss weg vom 08/15-Produkt!«
Um wirklich davon profitieren zu können, sollte sich die Branche vom Gamechanger inspirieren lassen und ihr Angebot an den Zeitgeist anpassen, sagt auch Simon Lehmann, CEO des Beratungsunternehmens AJL-Consulting. Er sieht in Airbnb mehr Chance als Bedrohung für das traditionelle Übernachtungsgewerbe. Der Schweizer bemängelt vor allem, dass sich Hotels weigern, Neues auszuprobieren.
»Die Hotellerie muss vom 08/15-Produkt wegkommen. Die Leute wollen nicht immer das Gleiche, es braucht viel mehr Innovation, um den neuen Bedürfnissen der Gäste nachzukommen«, fordert Lehmann, der als weltweit gefragter Experte und Meinungsführer in der Online-Reisebranche gilt.
»Ich kenne ein Hotel in Amsterdam, in dem jedes Zimmer anders gestaltet und möbliert ist, jeder Raum dort hat einen eigenen Namen und bietet den Gästen ein anderes Erlebnis«, schwärmt Lehmann. »Kürzlich habe ich Hoteliers in den USA besucht, die gerade ein abgewracktes Motel in feine Airbnb-Unterkünfte umgestalten.« Hier stehe »die Übernachtung als Experience« im Fokus, das besondere Erlebnis, da habe Airbnb jede Menge Inspiration zu bieten.
Stillstand in der Mittelklasse
In herkömmlichen Hotels sehe er »überall die gleichen Frühstücksbüfetts, obwohl sich im Bereich Ernährung so viel getan hat in den letzten Jahren«, beklagt Lehmann beispielhaft den Stillstand, vor allem in der Mittelklasse. Er staunt immer wieder, »wie oft es heutzutage noch vorkommt, dass ich in einem Hotel einchecke und dann ein Formular ausfüllen soll. Das ist furchtbar. Wenn das von mir verlangt wird, verlasse ich ein Hotel sofort wieder!«
In manchen müsse man noch immer extra zahlen für das Internet oder für eine Flasche Wasser. »Das sind Themen, bei denen am falschen Ende gespart wird«, so Lehmann weiter. Als Berater empfiehlt er seinen Kunden aus der Hotelbranche, sich selbst in Airbnb-Unterkünfte einzumieten, um sich inspirieren zu lassen, vor allem von der Einfachheit beim Ein- und Auschecken.
Ist die klassische Rezeption noch zeitgemäß?
Einige Zöpfe könnten langsam mal abgeschnitten werden, Oldschool-Hotels sollten vermeintlich Selbstverständliches hinterfragen – auch die Rezeption. Ist es noch zeitgemäß, eine Viertelstunde an der Schlange stehen zu müssen, um endlich auschecken zu können? Alle sprechen von Nachhaltigkeit und Umweltschutz, muss ein Hotelbett wirklich jeden Tag frisch bezogen werden?
Neue Technik mache herkömmliche Zimmerschlüssel oder -karten überflüssig, das funktioniert bei vielen schon übers Smartphone, »aber viele Hoteliers sind offenbar zu träge, sich diese neuen Technologien zunutze zu machen«, sagt Simon Lehmann.
Die Gäste dürsten nach authentischen Erlebnissen mit offenen Mitarbeitern und Kontakt zu spannenden Locals
Simon Lehmann, AJL-Consulting
Den Gast hybrid abholen, das ist die Zukunft
Die Branche stellt sich gerade auf, dem Gast neuartige Hybrid-Unterkünfte anzubieten. Heißt: Moderne Gastgeber setzen auf den lokalen Charme und die Gemütlichkeit individueller Unterkünfte, kombiniert mit den Vorzügen, die klassische Hotels bieten – Zuverlässigkeit und perfekten Service. Das angesagte Start-up »Sonder« hat sich auf Miet-Apartments mit Hotel-Attributen spezialisiert, der Marktwert des neuen Players durchbrach schon die Milliarden-Schallmauer.
»Die Falkensteiner Group hat es mit ihren neuen Resorts verstanden, ihre Kunden hybrid abzuholen. Wenn die ein neues Hotel bauen, dann gleich mit großen Wohnungen, und wer sich dort einmietet, kann die Wellness-Möglichkeiten und andere Angebote des Hotels mitbenutzen«, erklärt Lehmann.
»Das können wir auch und sogar besser«
Otto Lindner fasst die Herausforderung seiner Branche im Airbnb-Zeitalter so zusammen: »Die Gäste dürsten nach authentischen Erlebnissen mit offenen Mitarbeitern und Kontakt zu spannenden Locals, kombiniert mit einer garantiert hohen Übernachtungsqualität.« Und all das, davon ist Lindner überzeugt, »können wir auch und sogar besser, da wir ein verlässlich gleichbleibendes Qualitätsniveau garantieren können«
Kennzahlen zu Airbnb weltweit (Stand: Januar 2020)
Anzahl der Städte | 100.000 |
Anzahl der Länder | 220 |
Gästeankünfte gesamt (in Mio.) | 500 |
Anzahl Airbnb-Gäste pro Nacht (in Mio.) | 2 |
Anzahl an Airbnb-Anzeigen (in Mio.) | 7 |
- Davon Tiny Houses | 14.000 |
- Davon Schlösser | 4.900 |
- Davon Baumhäuser | 2.400 |
Quelle: Airbnb, © Statista 2020