Jetzt poppt’s!
Pop-up-Gastronomie für belebende Abwechslung
von Sebastian BütowPop-up? Vor einem halben Jahrzehnt mutete dieser Begriff noch innovativ und progressiv an, mittlerweile verhält es sich mit einem Pop-up-Restaurant ein wenig wie mit einem Sommerhit im Radio. Es begeistert ein paar Wochen oder Monate, und wenn man Glück hat, schwärmen die Leute noch viele Jahre davon, die Nachwirkungen können sich sehr lohnen. Aber so richtig funktioniert beides nur in Echtzeit.
Kaum einer kennt das Pop-up-Geschäft so wie Vincent Fricke
Der Münchner Koch, Autor, Unternehmer und – vielleicht einigen wir uns lieber gleich auf – Tausendsassa Vincent Fricke alias Mister Pop-up hat schon so einige ambitionierte Restaurantprojekte auf- und schnell wieder untertauchen lassen (pop up, engl. = schnell auftauchen). Im Jahr 2016 stellte er zum ersten Mal sein Projekt »Fleischkonsum« auf die Beine.
Seine damalige Mission: »From Nose to Tail« (von der Nase zum Schwanz). Zum einen wollte Fricke mit seinem Pop-up-Restaurant in München auf übertriebenen Fleischverzehr aufmerksam machen. Zu oft verzehrt, schadet Fleisch bekanntermaßen der Gesundheit und der Umwelt, von der Ethik ganz zu schweigen. Ein weiteres Anliegen des Kochs war es, die Vielfalt des Tieres aufzuzeigen, welche Teile davon sich verwerten lassen. »Ich habe das Pop-up-Konzept sehr früh für mich entdeckt«, sagt Fricke. Er lässt seine Pop-ups Revue passieren und erzählt, dass es viele unterschiedliche Beweggründe gab für seine Projekte. Es waren Marketing-Tools und/oder er wollte verschiedene Konzepte einfach mal ausprobieren.
»Auf der monetären Ebene lohnt sich das manchmal null«
Fricke: »Oft lässt sich solch ein Projekt nicht eins zu eins refinanzieren.« Kein Wunder, bei all dem logistischen Aufwand für eine relativ kurze Zeit. Auf der rein monetären Ebene lohne sich das manchmal null. »Aber im Sinne von Marketing-Mehrwert, absolut!« Damit meint er, dass er sich nach dem ersten Projekt einen gewissen Ruf erworben habe.
»Es waren nur drei Wochen, aber marketingtechnisch war das Gold wert«, so Fricke, »es gab dann einen ganz anderen Zugang zur Presse.« 2019 wagte Fricke das Pop-up Beyond Meat, ebenfalls in München. Themen: Wie schaut es in der Zukunft aus auf unserem Teller? Wie sollte der bestenfalls schon heute ausschauen? Die Süddeutsche Zeitung berichtete vor dem Start, die Themen Nachhaltigkeit und Zukunfts-Essen waren sehr einschlagend, so Fricke. »Dieser Artikel hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass wir während dieser drei Wochen immer ausgebucht waren.«
Die Eröffnung ist bedeutend
Neben der Logistik und der Budgetierung betrachtet Fricke die Kommunikation als Instrument für so ziemlich das Wichtigste: Der erste Abend sei besonders bedeutend, wenn dann nur eine Handvoll Gäste kommen ... »Der Start ist für die Außenwirkung am repräsentativsten«, so Fricke, »man bekommt dann keine zweite Chance. Es empfiehlt sich, für Journalisten und ausgewählte Blogger ein Pre-Dinner zu veranstalten.«
Pop-up-Projekte als Karriere-Booster
Das erfolgreiche und hochbeachtete Beyond Meat wiederum brachte Fricke eine Kooperation mit dem Goethe-Institut ein, die Verbindung besteht immer noch. Logisch, dass ein Pop-up-Enthusiast wie Vincent Fricke wieder ein neues Projekt in der Pipeline austüftelte. Aber: »Aktuell kann ich wegen der Pandemie-Situation nicht planen, die Gefahr eines Fiaskos wäre zu groß.«
»Koch des Jahres« Tohru Nakamura begeistert im Penthouse
In diesem Sommer begeistert unter anderem das Pop-up-Projekt des deutsch-japanischen Starkochs Tohru Nakamura. Möglich gemacht hat dies der Unternehmer John Angulo, der für den Salon Rouge im Werksviertel-Mitte seine Penthouse-Wohnung im WERK12 zur Verfügung stellt. Über den Dächern von München, im »besten Bauwerk Deutschlands«, diesen Preis des Deutschen Architekturmuseums gewann es.
Starke Partner sind wichtig
Angulo, Betreiber einer Bar und Inhaber einer Eventagentur, erinnert sich, wie das Pop-up zustande kam: »Ich habe Tohru während des ersten Lockdowns 2020 kennengelernt, als er neben seinen Auszeichnungen im Fine Dining auch mit seinem ersten Streetfood-Konzept einen Riesenerfolg hatte. Seitdem habe ich seine Arbeit verfolgt, war immer begeistert von seiner Kreativität. Als ich mitbekommen habe, dass er möglicherweise eine neue Location sucht, habe ich ihn einfach angeschrieben.«
Nakamura: »Das klang am Anfang nach einem total verrückten Gedanken, aber nachdem mir John das Penthouse zum ersten Mal gezeigt hatte, war ich sofort Feuer und Flamme für die Idee.« Der geborene Münchner, Sohn eines japanischen Vaters und einer deutschen Mutter, sammelt Auszeichnungen wie der FC Bayern Pokale. Gault&Millau krönte ihn 2020 zum Koch des Jahres. »Seit Mitte Juni dürfen wir ein Teil des spannenden Werksviertel-Mitte sein. Über den Dächern Münchens kochen zu dürfen macht uns große Freude.«
»Aus dem Nichts mal eben ein Restaurant auf die Beine stellen«
Sein Bestreben: »Kulinarisch und auch durch unseren Service möchten wir unseren Gästen unvergessliche Abende bereiten, die sie immer in positiver Erinnerung behalten.«
Was ist aus seiner Sicht die größte Herausforderung, wenn man solch ein Projekt auf die Beine stellt? Darauf hat Nakamura eine ganz klare Antwort: »Quasi aus dem Nichts ein Restaurant auf die Beine zu stellen, das erfordert einiges. Ohne unsere starken und verlässlichen Partner wie Lohberger, die uns schnell und unkompliziert im Bereich der Küchentechnik geholfen, oder Frankl24, die uns mit Geschirr, Gläsern und anderen Dingen für den Gastraum unterstützt haben, wäre es nicht gegangen.«
Bis zu 30 Gäste begrüßen der Starkoch und sein Team, sie kochen in einer offenen Küche. Architektonisch ist neben der allumfassenden Glasfassade auch die riesige Dachterrasse ein Highlight, sodass man von jeder Stelle des Restaurants aus einen einzigartigen weiten Blick über München genießt.
Keine Großstadt ohne Steffen Henssler
Der Gastronom und TV-Star Steffen Henssler startete sein GO by Steffen Henssler Restaurant & Premium Sushi Delivery im Dezember 2018 in Hamburg, seither expandierte das Konzept in zahlreiche weitere Städte wie Düsseldorf, Berlin, Stuttgart sowie Frankfurt und München. Neben diesen Pop-up-Locations, in denen die Marke temporär gastiert, sind in München und Frankfurt »richtige« Restaurants geplant. Diese befinden sich noch in der Bauphase, eröffnen voraussichtlich Ende dieses Jahres. Hensslers Spezialitäten: einzigartige Sushi- und Sashimi-Kreationen sowie Japanese-inspired Leckereien.
Hensslers Team wurde von den Gästen im Hamburger Restaurant und auch im Delivery immer wieder gefragt, wann es endlich Filialen in anderen Städten gäbe. Also schlug die Marke den Expansionskurs ein. In den Küchen der anderen Standorte stehen erfahrene Chefs aus Hamburg, die hauseigene Delivery-Smartflotte ist nun in ganz Deutschland verteilt.
Im Rahmen der »Umlandstouren« werden aus den Hauptstandorten heraus mittlerweile über 70 Städte beliefert. Der Erfolg seiner Pop-up-Invasion zeigt, was mit einem guten Konzept alles möglich ist.
Nachhaltiges Pop-up-Restaurant im Schweizer Bad Ragaz
Das Konzept des Pop-up-Restaurants LeftLovers (ein Wortspiel aus „Reste“ und „Liebhaber“) im Kurpark des Grand Resort Bad Ragaz haben sich zwei Studierende der EHL Hotelfachschule Passugg ausgedacht. Mit ihrem ökologisch verantwortungsvollen und ambitionierten Konzept überzeugten die Youngster die Verantwortlichen des 5-Sterne-Resorts. Die Entwicklung mutiger und kreativer Take-away-Gerichte, die sich fast ausschließlich aus Beiprodukten der Gerichte der Hotelküchen zusammensetzen, steht dabei seit Juni im Mittelpunkt der Kreationen, ein halbes Jahr lang. So werden etwa Rettichspitzen, Apfelschalen oder Sellerieblätter zu neuen Köstlichkeiten verzaubert.
»Mit vermeintlichen Nebenprodukten aus unseren Küchen ist noch so viel mehr zu machen, als diese nur zu entsorgen. Die edlen Teile zubereiten, das kann jeder«, findet Küchenchef Silvio Germann. »Aber die Nebenprodukte in interessante Geschmackswelten zu verwandeln, das ist hohe Kunst.« Renato Wüst, Executive Chef des Resorts, bringt den Stellenwert dieses Pop-ups auf den Punkt: »Die Zukunft der nachhaltigen Küche liegt darin, alle Teile so weit als möglich zu verwenden. Ebenso liegt sie in der Hand der Talente, die wir hier gezielt fördern und unterstützen können.«
Latin-Pop-up entfacht Feuer in der Frankfurter City
Noch bis Oktober dreht sich im Frankfurter Latin Summer Garden alles um die Aromen und den Style Südamerikas, Margaritas, lateinamerikanisches Lebensgefühl und Weine jenseits des Mainstreams. Die Genussakademie Frankfurt und der Caterer Enamor stellten das Projekt gemeinsam auf die Beine. »Durchtanzte Nächte in Argentinien, Abenteuer in Peru oder Fiestas in Mexiko – alle diese Gedanken kommen auf bei der köstlichen Auswahl«, so vielversprechend preisen die Macher ihren Latin-Garten an.
Auf der Speisekarte des Pop-ups an der Eschenheimer Anlage verlocken Südamerika-Klassiker wie peruanische Ceviche, mexikanische Tacos oder kolumbianische Empanadas. Das durch und durch sommerliche Angebot macht Laune, auch mit hausgemachter Limonade, Cocktails und einer spannenden Weinkarte.
Extra-Stück: Darauf kommt es besonders an
Meist kooperieren Pop-up-Restaurants mit Firmen und Locations, um ihr Konzept umsetzen zu können. Vermarktungsideen, saisonale Trends oder originelle Ideen können so leichter ausprobiert werden, ohne langfristige Verpflichtungen. Gerade Neulinge in der Gastronomie können sich auf diese Weise versuchen und Erfahrung sammeln.
- Konzession
Eine Gaststättenkonzession ist in der Regel nicht erforderlich, weil diese gestellt wird von einem bestehenden Konzessionsgeber. Deshalb lassen sich Pop-up-Bars/Restaurants meist schnell umsetzen. - Kommunikation
Vincent Fricke: »Diese habe ich jedes Mal immer wieder verbessert. Es ist ein bisschen wie Wahlkampf. Denn man MUSS voll sein bei der Eröffnung. Es gilt auch, eine Art Dramaturgie aufzubauen.« - Logistik
»Die ist sehr entscheidend für den Erfolg«,so Fricke. »Sie hat wesentlich mehr Relevanz als bei ›normalen‹ Restaurant-Konzepten.« - Budget
»Die meisten Restaurants rechnen ja irgendwie gar nicht, man rechnet sich das hin und her und irgendwie schön. Bei einem Pop-up muss man sich ganz konkret mit Budgets auseinandersetzen«, sagt Fricke.