Es muss nicht immer Luxus sein
von Clemens KriegelsteinCasimir Platzer
Herr Platzer, die Schweiz hat es im vergangenen Jahr auf rund 35,5 Mio. Gästeübernachtungen gebracht. Das ist zwar im Vergleich zu 2015 ein leichter Rückgang von 0,3 Prozent, allerdings bewegt man sich mit dieser Zahl etwa im Durchschnitt der letzten zehn Jahre. Haben Sie persönlich nach der Abkoppelung des Franken vom Euro Anfang 2015 mit solch geringen Auswirkungen auf den Schweizer Tourismus gerechnet?
Die Auswirkungen des starken Frankens haben die Schweiz hart getroffen und sind nach wie vor spürbar. Doch die Tourismusbranche hat die Herausforderungen angepackt und begegnet den Verschiebungen in der Tourismuslandschaft aktiv und mit großer Innovationskraft.
So konnten die rückläufigen Übernachtungszahlen aus den traditionellen Herkunftsländern, wie zum Beispiel Deutschland, unter anderem auch durch Gäste aus den Fern- und Wachstumsmärkten sowie dem Heimmarkt abgefangen werden. Dabei stellen wir jedoch ein zunehmendes Auseinanderdriften fest zwischen der Entwicklung des Städtetourismus und der Situation im alpinen und ländlichen Raum. Vor allem kleingewerbliche Betriebsstrukturen geraten stark unter Druck, was uns große Sorgen bereitet. Gerade in diesen Bereichen gehören Gruppenbildungen und Kooperationsmodelle immer mehr zur eigentlichen Überlebensstrategie.
Zumindest die Schweizer selbst erliegen nicht dem Ruf des günstigen Euro in den Nachbarländern, sondern urlauben so viel im eigenen Land wie noch nie. Sind Nationalstolz und Heimatverbundenheit der Schweizer so groß?
Es ist in der Tat so, dass der Heimmarkt noch stärker als bisher in den Fokus gerückt ist. Die Schweizer Urlauber bilden das Rückgrat unseres Tourismus. Doch auch wenn sie der Schweiz treu bleiben, so locken dennoch günstige Auslandsreisen! Wettbewerb und Preiskampf sind anhaltend hart. Unsicherheiten und Instabilität in der Weltlage könnten allerdings zusätzliche Gäste aus den Nahmärkten anziehen; gerade für europäische Gäste ist die Schweiz als bisher relativ sicheres Land attraktiv. Zudem läuft die Wirtschaft in Europa wieder besser, was sich grundsätzlich günstig auf das Reiseverhalten auswirkt.
Bei ausländischen Gästen verzeichnete die Schweiz 2016 ein Minus von 1,5 Prozent, aber auch das ist eine Entwicklung, die eigentlich seit 2008 kontinuierlich anhält, also schon lange vor der Aufwertung des Franken begann. Ist die Schweiz für ausländische Gäste nicht attraktiv genug?
Es war exakt im Jahr 2008, als die Abschwächung des Euro gegenüber dem Schweizer Franken einsetzte! Dieses währungsbedingte Umfeld und der Kostendruck fordern die Branche seither sehr stark. Unsere Hotels und Restaurants stehen in einem ausgesprochen harten Wettbewerb mit den Betrieben im internationalen Vergleich. Seit diesem Jahr ist endlich eine leichte Erholung bemerkbar. Dies auch deshalb, weil die umliegenden Länder eine höhere Inflation aufweisen als die Schweiz und sich die Preisdifferenzen dadurch verringern.
Das größte Minus mit knapp vier Prozent gab es 2016 von deutschen Urlaubern. Sind die deutschen Gäste derart preissensibel oder hat das andere Gründe?
Der Tourismus in unserem Land erlebte markante Veränderungen. Gewichtige Märkte gerieten ins Rutschen. Seit Einsetzen der Finanzkrise im Jahr 2008 sind beispielsweise die Übernachtungen der deutschen Gäste um fast 40 Prozent gesunken. Eine Entwicklung, die hauptsächlich dem starken Franken zuzuschreiben ist. Die Abhängigkeit vom Euromarkt ist daher auch ein Thema, mit dem wir uns zusammen mit allen Partnern der Tourismuswirtschaft in der Schweiz auseinandersetzen. Wir beobachten aber genauso neue Märkte, ins-besondere den asiatischen Raum, sehr aktiv und aufmerksam.
St. Moritz, Gstaad, Zermatt – mit der Schweiz assoziieren die meisten einen sehr hochwertigen Luxustourismus. Ist das ein Image, das man bewusst pflegt?
Es ist unbestritten: Diese Destinationen sind Leuchttürme mit Strahlkraft und prägen das Image des Schweizer Tourismus. Es muss jedoch nicht immer Luxus sein, die Schweiz verfügt auch über attraktive preiswerte Angebote, die dem Bedürfnis vieler Gäste nach Naturnähe, Authentizität und Entschleunigung sehr gut entsprechen. Insgesamt steht unser Tourismus für Qualität, Individualität und Vielfalt.
Der Steuersatz auf Übernachtungen wurde kürzlich für weitere zehn Jahre bei 3,8 Prozent fixiert. Ist diese Lösung für Sie in Ordnung?
Die allermeisten EU-Staaten kennen einen Mehrwertsteuer-Sondersatz für die Beherbergung, zum Teil sogar für die Restauration! Der Sondersatz für Beherbergungsleistungen ist auch in der Schweiz ein wirkungsvolles Mittel, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität der Tourismusbranche zu unterstützen. Er trägt dazu bei, die höheren schweizerischen Beschaffungskosten etwas auszugleichen.
Wie problematisch ist die Mitarbeitersituation derzeit für die Gastronomie und Hotellerie in der Schweiz?
In Österreich etwa müsste ohne Arbeitskräfte aus Deutschland oder den ehemaligen Ostblockstaaten zumindest in den Ferienregionen wohl jeder zweite Betrieb schließen. Österreich steht vor ähnlichen Herausforderungen wie wir. Ausländische Mitarbeitende sind wichtig für das Funktionieren der Branche. Wie die Praxis zeigt, ist es auch in der Schweiz schwierig, für gewisse Berufe ausreichend gut qualifizierte und motivierte Mitarbeiter zu finden, obwohl die Löhne im Vergleich zu anderen Ländern bedeutend höher sind. Im Gastgewerbe machen wir die Erfahrung: je höher die gesuchten Qualifikationen, desto deutlicher manifestiert sich ein Fachkräftemangel. Wir unternehmen deshalb große Anstrengungen im Bereich der Aus- und Weiterbildung und im Nachwuchsmarketing mit dem Ziel, dieser teils demografisch bedingten Entwicklung entgegenzuhalten.
2016 wurde von Ihnen gemeinsam mit anderen Partnern die Aktion »Stop der Hochpreisinsel – für faire Preise« lanciert, bei der es darum geht, missbräuchliche Schweiz-Zuschläge durch marktmächtige Unternehmen zu unterbinden und den Einkaufstourismus zu reduzieren. Sind Sie mit dem Erreichten bis dato zufrieden?
Zusammen mit einer breiten Allianz haben wir im September 2016 die Unterschriftensammlung für die sogenannte Fair-Preis-Initiative lanciert. Wir kommen gut voran und sind zuversichtlich, unser Sammelziel bis Herbst zu erreichen. Das Ziel der Volksinitiative ist es, die Schweizer Wirtschaft zu stärken und die Unternehmen international wettbewerbsfähiger zu machen.
Wo sehen Sie in den kommenden Jahren die größten Herausforderungen für das Schweizer Gastgewerbe?
Uns verbinden im gesamten deutschsprachigen Raum ganz ähnliche Problemstellungen. Im Zentrum stehen die Herausforderungen rund um die Sharing Economy und die Digitalisierung, genauso wie der erwähnte, weit verbreitete Fachkräftemangel. Das Gastgewerbe, nicht nur in der Schweiz, steht vor einem Wandel. Dabei bieten sich uns mit neuen Angeboten und Formaten auch Chancen. Als Gegenpol zur Globalisierung und zum Einzug von immer mehr Technologie gewinnen Begriffe wie Heimat, Herkunft und Handwerk an Bedeutung. Das ist eine Chance für unsere Branche.
Der Original-Text aus dem Magazin wurde für die Online-Version evtl. gekürzt bzw. angepasst.
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