Großes Geschäft oder trügerische Verlockung?
Fotos: iStockphoto

Die neue Liefer-Ära

Großes Geschäft oder trügerische Verlockung?

von Sebastian Bütow
Dienstag, 31.01.2017
Artikel teilen: 

Hallo, Ihr Essen ist da!« Wie eine kleine Revolution kam es einem damals vor, sie begann vor etwas mehr als 30 Jahren in Deutschland. Erstmals konnte man seinen knurrenden Magen erlösen, indem man ganz easy mit dem Wählscheibentelefon eine frisch ­gebackene Pizza direkt an die Haustür ­orderte. Pizza-Boys kannte man zuvor höchstens aus Hollywoodfilmen.

Und heute? Zwar existieren die flachen, viereckigen, im Glücksfall dampfenden und teilweise noch immer erstaunlich simpel designten Pizzakartons noch immer, aber es hat sich viel Neues hinzu­gesellt auf dem komplexen und hart umkämpften Nach-Hause-Liefer-Markt.

Alles ist lieferbar heutzutage

Die Pizza-Services müssen sich heutzutage behaupten gegen so ziemlich alles, was essbar ist: Ob Sushi, Burger oder Döner, regionale Spezialitäten, hippe In-Speisen oder Schmankerl aus der Spitzenklassen-Küche – zumindest in den großen Metropolen gibt es fast nichts, das nicht lieferbar wäre.

Sogar McDonald’s testet das Liefergeschäft

Sogar Fast Food der großen US-Ketten kommt schon mit wenigen Klicks ins Wohnzimmer. Vor Kurzem startete McDonald’s Testläufe in deutschen Großstädten. Dass diese Innovation »McHome« getauft wurde, darauf hätte man wetten können.

Wie in Zeitungen zu lesen war, gibt es neben unterschiedlichen Preisen auch Veränderungen im »McHome«-Angebot – nicht jedes Produkt wird geliefert. Wer beispielsweise Lust auf ein Eis oder einen Milchshake hat, muss sich weiterhin in eine Filiale begeben. Dafür gibt es aber spezielle Menüs, die nur bei Lieferungen angeboten werden, wie etwa die »Burgerparty« (zweimal vier Burger nach Wahl).

McDonald’s selbst verrät noch nicht viel über seine Lieferpläne. »Aktuell testen wir seit Mitte November einen Lieferservice mit jeweils einem unserer Restaurants in Köln und in München. Hierbei kooperieren wir mit den Anbietern Foodora (Köln) und Deliveroo (München). Wir werden die Testergebnisse in Ruhe auswerten und anschließend über weitere Schritte entscheiden«, teilte der Burger-Gigant auf HOGAPAGE-Nachfrage mit.

Liefern, ohne zu kochen: Ubereats startet in Wien

Das Kontrastprogramm zu Big Mac auf Rädern bietet Uber. Der alternative Taxidienst stieg vor Kurzem ebenfalls ins Geschäft der Essenslieferung ein, allerdings ohne selbst zu kochen. Zum Start hat ­Ubereats in Wien mehr als 100 Restaurants als Partner gewonnen. Diese stellen ihre Speisekarten Uber zur Verfügung und erhalten darüber Bestellungen, die von Ubereats-Fahrern ausgeliefert werden.

Österreichs Metropole fungiert als Sprungbrett im deutschsprachigen Raum, in einigen US-Städten sowie in Megacitys wie London oder Paris hat sich dieses ­Geschäftsmodell bereits bewährt.

Die Provisionen der Bestellportale betragen bis zu 30 Prozent

Ubereats tritt in Konkurrenz zu anderen Liefer-Start-uppern, etwa zur deutschen Gründung Foodora oder dem ursprünglich britischen Service Deliveroo. Sie stellen ebenfalls eigene Fahrer zur Verfügung und bewerben die Angebote der Res­taurants auf ihren Plattformen.

Gastronomen zahlen dafür Provisionen, die zwischen 15 und 30 Prozent des Rechnungspreises liegen. Klar, dass es auch Restaurants gibt, die mit den aus ihrer Sicht zu hohen Provisionen der Bestellplattformen hadern.

Weniger Umsatzsteuer bei geliefertem Essen

Wird Essen geliefert, spart der Gastronom allerdings an der Umsatzsteuer – sieben statt 19 Prozent. »Kooperationen mit Lieferdiensten lohnen sich für die Restaurants, sonst würden ja nicht so viele mitmachen und so lange dabeibleiben«, entgegnen die Macher der Portale logischerweise ihren Kritikern.

Beißen Lieferdienste etwa die Hände, die sie füttern? Restaurants, die dank Lieferdiensten hohe Einnahmen erzielen, werden früher oder später ordentlich dafür zahlen, dass sie ganz oben auf den Webseiten der Online-Dienste auftauchen, da sind sich Experten sicher. Je mehr Nachfrage, desto größer die zu zahlende Provision – unvorstellbar klingt auch das nicht.

Die Macht von Lieferando und Co.

Haben Sie schon mal »Pizza bestellen« oder »Sushi nach Hause« gegoogelt? Mit ziemlich großer Sicherheit listet die Suchmaschine Ihnen dann keine Italiener oder Asiaten aus der näheren Umgebung auf, zumindest nicht an oberster Stelle. Lieferando, Lieferheld und Co. heißen die üblichen Lieferdienste, die die Suchmaschinen dann zuerst anbieten. Ersterer grüßt verlockend: »Heute keine Lust zu kochen? Gar kein Problem.«

An den Lieferdienst-Plattformen führt für Restaurants, deren Essen man auch bestellen kann, ­eigentlich kein Weg mehr vorbei. Es sei denn, ihre Kapazitäten sind schon so ausgelastet, dass weitere Bestellungen nur Chaos und enttäuschte Kunden zur Folge hätten. Erst durch die Präsenz auf den Portalen bekommen Restaurants Aufmerksamkeit und somit Bestellungen, die auf normalem Wege nicht zustande kommen würden.

Lieferdienste erhöhen die Bekanntheit der Restaurants
Ein weiterer Vorteil der Zusammenarbeit sind die Kundenbewertungen, die online abgegeben werden können. Klar, wer gute Kritiken einheimst, wird dadurch weitere Bestellungen verbuchen. Und: Wem ein Lokal online oder nach einer Bestellung gefällt, der wird es womöglich auch einmal offline ausprobieren.

Jimmy fresh
Foto: Jimmy fresh

»Jimmy Fresh« spezialisiert sich auf gesundes Essen

Warum gibt es bei diesem riesigen Marktpotenzial eigentlich keine Lieferplattform für das immer beliebter werdende »Health Food«, hat sich Pascal Tran gedacht. Und so gründete der 28-jährige Wirtschafts­ingenieur das Bestell-Start-up »Jimmy Fresh« in München. Auch bei seinem Geschäftsmodell kommen Essen und Lieferanten nicht aus einer Hand.

»Man gibt seine Adresse ein, sieht das Angebot von verschiedenen Restaurants in seiner Nähe, die normalerweise keinen eigenen Lieferdienst haben, wählt das Essen aus, bezahlt online und kriegt es innerhalb von 30 bis 60 Minuten geliefert«, erklärt Tran das Procedere. So weit, so normal.

Das Besondere an »Jimmy Fresh«: Ausschließlich frisches und gesundes Essen wird zur Bestellung angeboten, zu jedem Gericht werden auch die Nährwerte angezeigt und in Kategorien wie z. B. gluten- oder nussfrei gekennzeichnet. Auch ­Manti – gefüllte türkische Teigtaschen in den verschiedensten Variationen aus dem Lokal »Lezizel« – kann man hier bestellen.

Gastronom Ugur Örgün, der mit seinem Bruder Oguz das angesagte Lokal betreibt und zu einer Franchise-Kette ausbauen will, beschreibt die Kooperation mit dem Bestell-Portal als Win-win-Situation: »Als wir vor drei Jahren eröffneten, kamen viele Gäste aktiv auf uns zu und fragten, ob wir auch nach Hause liefern würden. Die Nachfrage war da, aber wir haben uns trotzdem dagegen entschieden – der logistische Aufwand für eine eigene Lieferflotte wäre zu groß gewesen.«

»Wir würden draufzahlen mit eigenen Fahrern«

Denn: »Man muss Autos anschaffen, Versicherungen abschließen, Extra-Mitarbeiter einstellen. Wir haben kalkuliert, hochgerechnet, mit wie viel Bestellungen es sich rentieren würde. Schließlich sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass wir eventuell draufzahlen würden mit eigenen Fahrern.« Örgün fragte sich damals, warum es keine Dienstleister gibt, die Fahrer anbieten. »Und wenig später hat sich ein solcher gemeldet.« »Jimmy Fresh« kam später dazu. Wie viele Restaurants arbeitet auch Örgün mit mehreren Lieferdiensten zusammen.

Nischen-Bestellportale sind in!

»Auf dem Markt sind aus meiner Sicht ganz natürliche Entwicklungen zu beobachten«, fügt Pascal Tran hinzu. »Erst gab es die ›Massen-Plattformen‹ wie Lieferheld oder Lieferando, dann kamen die etwas exklusiveren dazu wie etwa Deliveroo. Nun entwickeln sich Bestellportale für einzelne Nischen heraus – zum Beispiel für gesundes Essen.« Dass aus der Liefernische »Gesundes Essen« noch ein großes Ding wird, davon ist der Jungunternehmer überzeugt. »Und so habe ich beschlossen, eine Lieferplattform zu gründen, die Lokale mit Schwerpunkt Low Carb, Vegan, Clean Eating, Bio oder Organic bündelt, also Health Food.«

»Story-Telling« schafft Vertrauen

Das Bündeln seiner Partner gelingt »Jimmy Fresh« auf innovative und kreative Art. Weil das Portal nicht nur nett abfotografierte Teller mit Speisen zeigt, sondern auch die Macher hinter dem Essen vorstellt. »Wir nennen sie ›Local Heroes‹, erzählen die Storys der Menschen und ihrer Food-Konzepte«, erläutert Tran.

An einer »Jimmy Fresh«-Bestellung verdienen vier Parteien

Auch »Jimmy Fresh« hat übrigens keine eigene Liefermannschaft aufgebaut. »Fahrer von anderen lokalen Lieferdiensten liefern zusätzlich auch für mich aus«, erklärt Tran. »Das ist auch für die von Vorteil, so haben sie mehr Auslastung.« Drei Parteien verdienen mit an einer Bestellung bei »Jimmy Fresh«. So wird aus Win-win sogar ein Triple-Win, und wenn Paypal noch als Zahlungsmittel mit im Spiel ist, bekommt sogar noch einer etwas ab von dem Geldkuchen.

Zahlen – Daten – Fakten

  • Aktuell werden mit Essensbestellungen weltweit jährlich über 28 Milliarden Euro umgesetzt. Laut einer Studie der US-Bank Morgan Stanley wird sich das Markt­volumen bis zum Jahr 2020 auf 90 Mrd. erhöhen.
  • Wo Gewinner sind, sind auch Verlierer: Die Lieferdienste »KommtEssen« und »Kochzauber« scheiterten mit ihrem Konzept, Boxen mit Rezepten und den passenden Zutaten zum Selberkochen zu liefern. Beide stellten 2015 ihren Betrieb ein. Auch »Food Express«, »Take Eat Easy« und andere Liefer-Start-ups gingen pleite.
  • Hinter Lieferando (Takeaway.com) und Lieferheld (­Delivery Hero) stecken international erfolgreiche ­Firmenimperien.

Wer verdient wie viel bei einer Bestellung über »Jimmy Fresh«?


Bestellwert+50,00 €
Liefergebühren Kunde (Anteil,
der auf den Kunden abgewälzt wird)
+2,90 €
Anteil Restaurant (75 % des Bestellwertes)-37,50 €
Gebühren Paypal (1,9 % der Transaktionssumme + 35 Cent)-1,40 €
Anteil Lieferfahrer (Liefergebühren, die JF an den Fahrer pro Fahrt insgesamt entrichten muss)-6,00 €
Anteil Jimmy Fresh-8,00 €

Weitere Artikel aus der Rubrik Branche Inside

Artikel teilen:
Überzeugt? Dann holen Sie sich das HOGAPAGE Magazin nach Hause!