Das große Krabbeln ...
... auf dem Salat oder im Kochtopf – Grillen, Würmer und Heuschrecken als neuartige Lebensmittel in der EU
von Wolfgang BubliesKennen Sie den? Der Gast beklagt sich: „Was macht die Fliege in meiner Suppe?“ Und der Ober antwortet: „Sieht aus wie Rückenschwimmen.“ Vielleicht sagt er auch: „Gleich ist die Fliege weg. Sehen Sie die Spinne am Tellerrand?“ Oder er beschwichtigt: „Die Fleischeinlage wird nicht berechnet.“ Von diesem Witz gibt es zig Versionen (siehe z. B. Hahaha.de, Stichwort Fliege, oder Klaus Pommerening: Fliegenwitz der Woche). Eine neue Variante wäre die Kellner-Antwort: „Eine Fliege in der Suppe ist unsere neue Spezialität, schließlich sind jetzt Insekten als Lebensmittel zugelassen.“
Na ja, stimmt so nicht ganz. Fliegen zählen nicht zu den Insekten, die als sogenannte neuartige Lebensmittel in der Europäischen Union erlaubt sind. Genauer: Nach der Novel-Food-Verordnung gelten ganze Insekten, Insektenteile und aus Insekten gewonnene Inhaltsstoffe in der EU als Novel Food. Genehmigt sind demnach hierzulande bereits seit 2021 der Gelbe Mehlwurm und die Europäische Wanderheuschrecke sowie seit 2022 die Hausgrille, auch bekannt als „Heimchen“. Anfang 2023 erfolgte schließlich auch die Zulassung für den Buffalowurm, während für die tropische Hausgrille, die Honigbienen-Drohnenbrut und die Larve der Schwarzen Soldatenfliege – also doch Fliege!? – noch eine Übergangsregel gilt.
Insektenkonsum vor 2018: eine Art Grauzone
Vor 2018, als die EU erstmals Insekten als Lebensmittel zugelassen hat, war dieser Bereich eine Art Grauzone. Das weiß etwa Folke Dammann von Snack-Insects aus der Gemeinde Witzeeze in Schleswig-Holstein, das seit 2013 Insekten anbietet und als Pionier auf dem deutschen Markt gilt. „Als wir 2012 an unsere zuständigen Behörden herantraten, war das Thema noch komplett Neuland in Deutschland“, erinnert sich Firmenchef Dammann. So orientierte man sich bei Snack-Insects an nationalen Regeln der EU-Nachbarn und beachtete Vorgaben aus vergleichbaren Lebensmittelbereichen.
„Mittlerweile gibt es glücklicherweise einheitliche Regelungen, die den gesamten Prozess schon vereinfacht haben“, so Dammann, der getreu seinem Slogan „Genuss auf sechs Beinen“ verspricht. Und er meint: „Etwa zwei Milliarden Menschen – traditionsgemäß vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika – nutzen Insekten schon als Nahrungsmittel, warum sollten wir das nicht hierzulande auch tun? Wir essen Sushi, Muscheln und Garnelen, dann sollte der Weg zum Heuschrecken-Snack doch machbar sein.“
Aufzucht nach europäischen Lebensmittelstandards
Snack-Insects arbeitet, wie es dort heißt, „von Beginn an nur mit speziellen Farmen aus Europa zusammen, die Speise-Insekten speziell für den menschlichen Verzehr züchten. Die Fütterung, Aufzucht und Weiterverarbeitung werden hierbei nach europäischen Lebensmittelstandards durchgeführt und entsprechend kontrolliert.“ So sei die Produktqualität gewährleistet und auch alle Produktionsabläufe transparent. Also alles bestens, oder?
Nach einer wissenschaftlichen Bewertung durch die EFSA, also die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, gilt der Verzehr der bei uns zugelassenen Insekten als gesundheitlich unbedenklich. Das schließt aber nicht aus, dass es bei empfindlichen Personen zu allergischen Reaktionen kommen kann. Schon deshalb müssen strenge Kennzeichnungsvorschriften bei Insekten eingehalten werden, etwa Hinweise auf mögliche Kreuzreaktionen bei Allergien auf Krebs- und Weichtiere oder Hausstaubmilben. Grundsätzlich gilt: Im Zutatenverzeichnis muss das jeweilige Insekt mit dem wissenschaftlichen und dem deutschen Namen, etwa „Acheta domesticus (Hausgrille)“, genannt werden.
Nicht nur im Einzel- und Fachhandel finden sich also (nicht erst seit 2023) die neuartigen EU-Lebensmittel. Auch im Gastgewerbe sind sie erlaubt, natürlich auch nur mit entsprechenden Hinweisen in der Speisekarte. Die Zahl der Restaurants in Deutschland, die heute schon Gerichte mit Insekten anbieten, ist allerdings überschaubar. Größer ist die Auswahl etwa in Belgien und Holland, wo man Insekten längst anbietet. Auch die Schweiz hat mehr zu bieten – dort ist der Verkauf seit 2017 erlaubt.
Deutschland ist hier noch ein Entwicklungsland
Deutschland ist hier also noch ein Entwicklungsland: Nicht ganz so selten finden sich Insekten-Schmankerl allerdings inzwischen bei Food Festivals, also auf Streetfood-Märkten. Aber auch einige Gastronomen haben sich, wenn man so will, speziell auf Wurm- und Grillen-Menüs spezialisiert – etwa Seidels Salatbar im baden-württembergischen Ludwigsburg oder auch MikroKosmos. The Restaurant in Berlin-Kreuzberg (siehe Interview). Im Internet findet man etwa in Bayern „Dr. Bob’s gefährliche Insektenküche“ aus Unterfranken und Australian Bar & Kitchen in Nürnberg oder auch die Espitas-Restaurants in den neuen Bundesländern, die immerhin bei Aktionen Insektenmenüs anbieten.
Salat-Experte Frank Seidel hat, wie er auf Anfrage mitteilt, bereits seit 1. April 2015 (kein Aprilscherz) Insekten als Topping im Angebot seiner Salatbar. Pulver werden nicht verarbeitet, „bei uns kommen Insekten nur ganz auf den Salat. Dabei bieten wir Grillen, Mehl- und Buffalowürmer an“, sagt er. Seine Tochter Sina hatte die Idee dazu, nachdem sie in einer TV-Doku erfahren hatte, dass speziell Veganer auf der Suche nach einer nachhaltigen Proteinquelle sind. Nach kurzer Recherche habe man auch einen Lieferanten gefunden – eben Snack-Insects. Seitdem können die Gäste Insekten überall drauf bekommen – auf den Salat, die Ofenkartoffel oder auch in die Suppe. Die Resonanz falle sehr unterschiedlich aus, berichtet Gastronom Seidel, dessen andere Tochter Jana ebenfalls bisweilen in der Salatbar aushilft. „Wir haben Kunden verloren, aber viel mehr dazugewonnen – querbeet durch alle Altersgruppen.“