Come, fly with me
von Sebastian BütowDer Genuss über den Wolken ist eine mehr als komplexe Angelegenheit …
Es ist an der Zeit, eines der größten Rätsel der Menschheit endlich zu lüften: Warum bestellen die Passagiere in Flugzeugen eigentlich so fleißig Tomatensaft, obwohl die Fangemeinde dieses Getränks ansonsten doch recht überschaubar ist? Dafür gibt es tatsächlich Gründe, die über den Nachahmer-Effekt hinausgehen. Tomatensaft schmeckt in der Luft tatsächlich besser als am Boden! Dort riecht er leicht muffig und schmeckt lasch – über den Wolken dagegen frisch und fruchtig.
Ganz andere Bedingungen für unsere Geschmacksnerven
Dieses Phänomen haben Forscher am Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Holzkirchen sogar nachgewiesen. Der Grund: In einem Flugzeug in mehreren Tausend Metern Höhe nehmen unsere Geschmacksnerven wegen des niedrigeren Luftdrucks, der geringeren Luftfeuchtigkeit und auch wegen des Motorenlärms anders wahr, und so entfaltet sich das fruchtige Aroma des Saftes erst so richtig in den Wolken.
Auch Speisen schmecken anders Tausende Meter über dem Boden. Die klimatisierte Kabinenluft trocknet die Schleimhäute aus und dämpft zusammen mit dem veränderten Luftdruck den Geschmackssinn ein, bis zu 30 Prozent. Für unsere Gaumen schmeckt das Essen weniger intensiv, deshalb werden die Bordmenüs wesentlich stärker gewürzt, weil auch Aromen von Kräutern und Gewürzen deutlich abflachen.
Minutiös geplante Logistik
Die klassischen, aluminiumverpackten Flugzeug-Gerichte, im Fachjargon »Hotmeals« genannt, werden in riesigen Küchen in Flughafennähe zubereitet und durchlaufen eine minutiös geplante Logistik, bis der Klapptisch endlich in die Horizontale kippen darf, die Stewardessen die heißen Boxen aus dem Schiebewagen (Trolley) hieven und die knurrenden Mägen der Passagiere erlösen.
Okay, Flugzeugessen genießt nicht den allerbesten Ruf, doch in dieser turbulenten Branche tut sich aktuell einiges in Sachen Qualität. In der Anfangszeit der kommerziellen Luftfahrt wurden die Speisen tatsächlich noch im Flieger zubereitet, in einer echten Küche. Einige Fluggesellschaften setzen jetzt wieder auf mitfliegende Köche, darunter auch Austrian Airlines – doch dazu später.
Der Weg von der Küche auf den Klapptisch
Weltmarktführer der Airline-Caterer ist der milliardenschwere Schweizer Konzern Gategroup, der uns Einblicke gewährt in die verschiedenen Schritte, bis die Menüs schließlich in den Bäuchen der Fluggäste landen. Hier beginnt alles bei Dennis Puchert, dem jüngsten Koch, der jemals in der Schweiz mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde – mit gerade mal 25 Jahren.
Ein Sternekoch entwickelt Menüs für Gate Gourmet
Jetzt kreiert Puchert als »Executive Development Chef« die Menüs für den Branchen-Platzhirsch, der rund 30.000 Mitarbeiter an 130 internationalen Standorten beschäftigt. In Zürich entwickelt er mit seinem Team Food-Angebote für Gate Gourmet, das wichtigste Standbein der Unternehmensgruppe, für Swiss und andere Airlines, die den größten Flughafen der Schweiz anfliegen.
»Der Prozess der Menü-Entwicklung dauert viele Monate«, erklärt Samuel Schneeberger, General Manager von Gate Gourmet. Welche Gerichte es bis ins Flugzeug schaffen, entscheidet sich auf regelmäßig stattfindenden Workshops, mit Experten vom Caterer und vom Auftraggeber, unter der Leitung von Dennis Puchert.
»Special Meals« werden immer häufiger vorbestellt
»In den Workshops geht es darum, neue Menüs für Kurz- oder Langstrecken zu kreieren«, sagt Jan Trachsel, Manager Inflight Culinary Development bei Swiss, »oder um Special Meals, die Religionen, Allergien oder medizinische Notwendigkeiten berücksichtigen.« Die Extragerichte können die Passagiere online vorbestellen und werden immer wichtiger angesichts immer mehr Kundschaft, die auf zum Beispiel Gluten oder Laktose verzichtet. »In den Workshops werden auch mal streckenspezifische Mahlzeiten entwickelt, zum Beispiel für China, Japan oder Indien.«
»Mit den Speisen, die wir anbieten, versuchen wir möglichst viele Leute zu erreichen«, sagt Klaus Englisch von Stelzer, Verkaufsleiter und Unit Manager bei »Air Caterer Munich«, Produzent von täglich rund 8.000 Bordgerichten am Münchner Flughafen. »Eine bayerische Spezialität wie ein zünftiger Presssack würde an Bord nicht funktionieren, weil das Italienern oder Amerikanern vermutlich nicht schmecken würde. Wir haben Kinder und Senioren an Bord, deshalb darf es natürlich nicht zu scharf werden. Mainstream ist immer am besten.«
Frischer Fisch und rohe Eier sind tabu
Logisch, dass es auf Flügen Tabu-Zutaten gibt, etwa Schweinefleisch, weil es kaum Flüge ohne muslimische Passagiere gibt. Rohe Eier werden ebenfalls gemieden, auch unbehandelter frischer Fisch wie Sushi oder Tatar sind an Bord tabu. »Mittlerweile können wir die meisten Gerichte an Bord bringen«, sagt Jan Trachsel von Swiss. Es gibt nur wenige Ausnahmen, etwa Frittiertes wie Pommes frites, was sich an Bord nicht frisch zubereiten lässt und aufgewärmt nicht schmeckt. »Bei solchen Speisen wäre der Spagat zwischen den Erwartungen und dem eigentlichen Geschmack zu groß.«
Ist die Entwicklung der Gate-Gourmet-Menüs abgeschlossen, werden die Gerichte reproduziert in der Züricher Küche, eine der größten der Schweiz. Flugzeug-Speisen werden meist am Tag vor dem Abflug gekocht. Bildvorlagen, angerichtete Musterteller und exakte Mengenangaben helfen den Mitarbeitern beim Portionieren. Jeder Handgriff muss sitzen, die Uhr tickt. Jedes Gericht soll exakt so aussehen wie auf dem Klapptisch nebenan, denn Passagiere vergleichen gern.
»Die ganze Prozesskette muss reibungslos funktionieren«
Direkt nach dem Kochen werden die Menüs wieder heruntergekühlt auf wenige Grad über null, damit Bakterien keine Chance haben. Dann werden sie mit einem Hubwagen zum Flugzeug transportiert, von Mitarbeitern, die streng von den Luftfahrtbehörden auf Zuverlässigkeit überprüft werden, bis sie ihren Job beim lizenzierten Caterer antreten dürfen. Sicherheitsvorschriften und -kontrollen sind allgegenwärtig beim Airline-Catering.
Ungefähr 90 Minuten vor Abflug bringt der Belader die Trolleys ins Flugzeug, an Bord schließlich erhitzen die Flugbegleiter die Menüs in Dampfgarern. Trachsel: »Die ganze Prozesskette muss reibungslos funktionieren, bis die Menüs auf 10.000 Metern Höhe serviert werden.«
Die Billig-Airlines haben Caterern das Leben schwer gemacht
So funktioniert das klassische Prozedere, doch auf dem Markt des Airline-Caterings bewegt sich vieles weg vom Herkömmlichen. Die Branche war und ist im Wandel. »Erst wurden die staatlichen Fluggesellschaften privatisiert, dann haben neue Player auf dem Markt wie Ryanair oder EasyJet die kostenlose Verpflegung an Bord abgeschafft, ein anderes Geschäftsmodell etabliert, indem sie Essen verkaufen. Die neue Konkurrenz der Billigflieger zwang die alteingesessenen Airlines dazu, ebenfalls ihre internen Kosten runterzudrehen«, erklärt Klaus Englisch, »leider auch auf Kosten des Caterings«.
Lufthansa will Catering-Tochter abstoßen
Der Airline-Catering-Markt ist hart umkämpft, nur mit dem Verkauf von Speisen an Bord lässt sich zukünftig noch Geld verdienen, da sind sich die Experten sicher. Aktuell versucht die Lufthansa, ihre Catering-Tochter LSG (Lufthansa Service Gesellschaft, d. Red.) Sky Chefs zu verkaufen, den einstigen Marktgiganten.
Es lässt sich zu wenig Geld verdienen mit Bordverpflegung, glaubt man bei Lufthansa. »Wenn man Milliarden in die Hand nimmt, muss mehr hängenbleiben, und beim Catering bleibt sehr wenig hängen. In Zukunft wird es wohl noch rückläufiger werden. Es kommt immer mehr Verkauf an Bord und keine Freiabgabe mehr, deswegen möchte sich der Vorstandsvorsitzende von seiner Cateringtochter trennen«, erklärt ein Brancheninsider.
Angesichts rund 700 internationaler Airlines und der Vielfalt in der First und Business Class werfen wir auch einen Blick jenseits der »normalen« Bordmenüs, in der knallharte Preiskalkulationen eher keine kulinarischen Zaubereien zulassen.
Der Trend geht zu mehr Qualität
Der Trend zu regionaler Küche ist bei immer mehr Airlines zu beobachten, damit zeigen sie, wo ihre Wurzeln liegen. Es ist auch eine typische Gegenbewegung zur Globalisierung, vor 20 Jahren wollte man lieber noch international und kosmopolitisch daherkommen.
Swiss hat sich offiziell den »Taste of Switzerland« auf die Fahnen geschrieben, arbeitet regelmäßig mit Köchen aus der Schweizer Spitzengastronomie zusammen. Die Lufthansa versucht, ihren Passagieren immer auch einen deutschen Klassiker wie zum Beispiel Kalbs- oder Sauerbraten anzubieten.
»Flying Chefs« bei Austria Airlines
An Bord der Austrian-Airlines-Maschinen kochen »Flying Chefs« auf den Langstrecken für die Gäste der Business Class, fast wie in einem richtigen Restaurant, nur offenes Feuer ist in den Bordküchen selbstverständlich verboten. Bei den »Skytrax World Airline Awards«, deren Auszeichnungen als Maßstab für Qualität im Airline-Catering gelten, landen die Österreicher stets auf den vorderen Plätzen, die Köstlichkeiten liefert der Caterer DO & CO.
»Einige Airlines haben das klassische Tablett in der First und in der Business Class schon abgeschafft«, so Klaus Englisch, »und im November fängt die Fluglinie Delta sogar in der Economy damit an«. US-Riese Delta, die weltweit zweitgrößte Airline, will mehr Restaurant-Style einführen, größere Hotmeals und Salate servieren.
Wer kennt es nicht, all dieses kleine abgepackte Zeug, vom Keks bis zum Besteck ist alles separat verpackt in durchsichtiger Plastikfolie, vereint in einer Wegwerf-Kunststoffbox. Das wird aussterben, weltweit tüfteln die Airlines an Alternativen. Umweltschonende, wiederverwendbare Materialien sollen den Verpackungsirrsinn ablösen.
Auch das Essens prägt das Image der Airlines
Auch bei Lufthansa-Flügen ist es teilweise schon möglich, in der Economy ein besseres Menü auszuwählen. Gegen Extra-Gebühr, versteht sich. Es tut sich also etwas jenseits des silbernen Alu-Essens, auch auf den billigeren Plätzen, weil die Airlines nach Möglichkeiten und Innovationen Ausschau halten, mit denen sie sich von ihren Konkurrenten abheben können. Bei der Bewertung der Airlines durch die Kundschaft spielt die Food-Qualität eine enorm wichtige Rolle – je besser das Essen, desto besser das Image der Airline.
Selbst entscheiden, wann das Essen kommt: Noch ein Trend, das sogenannte »Meal on demand«, erobert die Business Class. Der Passagier entscheidet, wann gegessen wird, nicht das Personal. Wichtiger werden zudem alle Fragen rund um das Thema Transparenz: »Storytelling, das zum Essen quasi dazuserviert wird«, prophezeit Klaus Englisch. Woher kommt der Lachs? Sind die Zutaten bio? Welche Geschichten lassen sich zu den Weinen erzählen? Sind Konservierungsstoffe im Essen? All das wollen die Passagiere zukünftig wohl noch genauer über ihr Flugzeugessen wissen.