Burger, Bier und Bettwäsche
Die Handelsgastronomie ist zu einem ernstzunehmenden Player in der Branche geworden
von Clemens KriegelsteinWo viele Geschäfte sind, ist in der Regel auch die Gastronomie nicht weit. Schließlich macht längeres Herumflanieren, Probieren und Studieren hungrig und durstig. Das weiß ein schwedisches Möbelhaus, dessen Fleischbällchen weltweit längst Kultstatus haben, ebenso wie die Systemgastronomie, die von den USA ausgehend in allen größeren Einkaufszentren in sogenannten Foodcourts Fuß gefasst hat.
Inzwischen ist die Handelsgastronomie längst zum konzeptionellen Bestandteil vieler Einkaufsstätten geworden, der in zunehmendem Maße allerdings nicht nur Shopper mit knurrendem Magen anspricht, sondern ebenso Büroangestellte aus der Umgebung oder auch ganz normale Leute, die einfach schnell etwas essen möchten. Das Konzept funktioniert jedenfalls: Das EHI Retail Institute hat für Deutschland Zahlen veröffentlicht, nach denen der Umsatz in der Handelsgastronomie 2017 bei 9,29 Mrd. Euro lag und in diesem Jahr die 10-Mrd.-Grenze durchbrechen soll.
Weniger Self- mehr Service
Konkrete Zahlen, was die Handelsgastronomie in Österreich betrifft, sind in der Alpenrepublik leider keine aufzutreiben. Als Trend ist aber auch hier zu erkennen, dass die Zahl der Handels-gastronomiebetriebe steigt und dass sich die Betriebe immer mehr weg von Selbstbedienungskonzepten hin zu klassischen Restaurants entwickeln, wodurch die Verweildauer erhöht wird. Ein Trend, der nicht allen schmeckt.
»Leider nehmen sie dadurch klassischen Gastronomiebetrieben Gäste weg. Besonders Möbelketten verwenden ihr Restaurant häufig auch als Marketingtool. Kunden werden mit Schnitzel zu Dumpingpreisen angelockt und sollen den Besuch des Restaurants gleich mit einem Einkauf verbinden. Konventionelle Wirte können mit Preisen, die die Kosten nicht einmal ansatzweise decken, da der Gewinn durch den darauffolgenden Einkauf entstehen soll, nicht mithalten«, stößt diese Entwicklung Andreas Ista vom Fachverband Gastronomie der Wirtschaftskammer Österreich sauer auf.
Schnitzel, Pizza, Burger
Wenig überraschend sind die Angebote in der Handelsgastronomie zwar vielfältig, aber doch meist mit einem gewissen bodenständigen bis Fastfood-Charakter versehen. Hauptsächlich verzehrt wird Altbekanntes wie Burger, belegte Brötchen, Sandwiches oder Wraps, dazu kommen Döner/Pide oder Wurst/Currywurst. Beliebt auch Salate, Kuchen, Pizza, Pasta oder Hähnchen. Und natürlich darf auch das klassische Schnitzel nicht fehlen. Sterneküche wird man dagegen zwischen Schuhläden, Drogeriemärkten und Bekleidungsgeschäften eher selten finden. (Keine Regel allerdings ohne Ausnahme: Man denke an das »Se7en Oceans« in der Hamburger Europa Passage, das tatsächlich mit einem Michelinstern dekoriert ist.)
Wobei: Auch wenn Retailer ihre Brötchen mit den klassischen Snacks verdienen, gehen die Trends der Branche selbst in diesem Bereich in Richtung vegetarisch, vegan, saisonal, regional, frisch und ohne künstliche Zusatzstoffe. »Die Herausforderung und zugleich Chance für ein erfolgreiches Food-Konzept liegt darin, aktuelle Food-Trends wirtschaftlich und zielgruppengerecht umzusetzen, ohne die Klassiker zu vernachlässigen«, so EHI-Experte Olaf Hohmann.
Gesundes Fastfood
So ein neues Konzept hat vor wenigen Wochen im Designer-Outlet Parndorf, einem riesigen Freiluft-Outlet-Shopping-Center 40 Kilometer südöstlich von Wien, eröffnet. Bei »Chili eats Honey« können in der Hauptsache kleine Fleischbällchen aus Rind oder Huhn mit verschiedenen Saucen kombiniert werden. Das Besondere: Die Fleischbällchen werden komplett ohne Fett im Pizzaofen zubereitet. Alle Produkte kommen zudem ohne künstliche Zusatzstoffe wie Geschmacksverstärker, Phosphate etc. aus. Das Geschirr ist aus Holz, die Becher aus Pappe und die Deckel aus Veggieplastik.
Und: Für jede Bestellung – auch wenn es nur ein Espresso für 90 Cent ist – kauft das Unternehmen einen Quadratmeter Regenwald. (Damit das Ganze aber nicht zu bierernst wird und weil die Welt zu retten, auch Spaß machen darf, können mutige Kunden neben den Standardsaucen auch eine spezielle Chilisauce mit über 100.000 Scoville bestellen – allerdings erst, nachdem man eine Erklärung unterschrieben hat, diese Lava auf eigenes Risiko zu konsu-mieren…). Betreiber Thomas Selkmann will mit diesem Konzept mittelfristig auf Franchisebasis nach ganz Europa expandieren. Für die nächsten Outlets in anderen Shopping Malls oder auf großen Bahnhöfen existieren jedenfalls schon konkrete Pläne.
Kunst, Kulinarik und Kultur
Wie innovative Handelsgastronomie aussieht, beweist auch Ellen Wigner, Geschäftsführerin von »erlebe wigner!«, einem 2.500 Quadratmeter großen Department Store in Zirndorf, in der Nähe von Nürnberg. Sie verbindet in ihrem Angebot Kunst, Kulinarik und Kultur. »Wir sind ein Fashion- und Lifestylestore, ein Restaurant, eine Kulturbühne, eine Begegnungsstätte, ein Workshop- und Atelierraum«, erklärt die Unternehmerin.
Das Store-Restaurant »Mahlzeit« (erst vor kurzem von 70 auf 100 Sitzplätze erweitert und umbenannt, davor als »Käts Küche« bekannt) hat den Slogan: »Sich einfach mal Zeit nehmen für gutes Essen.« Wigner: »Wir haben besonderes Gewicht auf ein trendiges Konzept gelegt, das seine Kompetenz vor allem in einer ausgezeichneten Frühstücks- und Mittagskarte zeigt. So haben wir mit Ladenöffnung um 9.30 Uhr zum Großteil Frauen ab circa einem Alter von 20 Jahren im Haus. In der Regel sind die meisten Sitzplätze reserviert, und die komplette Ladenfläche profitiert von der lebhaften Stimmung.«
»Das Essen muss instagramm-able sein«
Für ein funktionierendes Foodkonzept hat Wigner die Erfahrung gemacht, dass dieses zur Gesamtaussage des Hauses passen muss: Im konkreten Fall trendig, fein dekoriert, regionale Lieferanten, ehrliche Küche, die Foodtrends aufgreift, aber für die Kundschaft aus Franken verständlich adaptiert. Außerdem nutzt Wigner ihr Restaurant, um immer wieder Verbindungen und Anreize in Kombination mit ihrem Ladengeschäft zu schaffen.
Essen muss instagrammable sein
»Das Essen muss instagrammable sein. Essensposts befeuern das Restaurant und machen auch Foodblogger darauf aufmerksam. Foodblogger sind, diese Erfahrung haben wir gemacht, unverzichtbar, wenn man auch ein junges, hippes Publikum ansprechen möchte«, weiß Wigner. Wichtig sei jedenfalls, dass die Qualität immer passt. Denn der Griff zum Handy für eine schlechte Bewertung sei schnell gemacht.
Im »erlebe wigner!« hat man das Restaurant bewusst nicht fremd vergeben, sondern sich – soweit wie möglich – in die Gastrobranche eingearbeitet. Wigner: »Uns ist es extrem wichtig, dass unsere Gäste im ganzen Haus den gleichen Spirit erleben können. Die Wohlfühlatmosphäre muss so hoch sein, dass die Gäste es ihrer Community zeigen wollen. Nur so schaffen Sie es, ein ›Place to be‹ zu werden.« Und generell meint Wigner zum Thema Handelsgastronomie: »Der Kunde kommt heute nicht mehr in einen Laden, um etwas zu kaufen, weil er es braucht. Er kommt, wenn es einen Anlass gibt, wenn er sich eine kleine Auszeit nehmen möchte, wenn er sich inspirieren lassen möchte, weil er Freunde treffen, mit ihnen Workshops besuchen, bummeln und gut essen möchte. Der Umsatz in den Bereichen Kunst, Kultur und Kulinarik hat sich bei uns innerhalb von drei Jahren verdoppelt, das ist ein klares Zeichen, in welche Richtung die Entwicklung geht.«
Nach dem Lampenkauf auf ein Jägerschnitzel
Doch auch wenn individuelle Konzepte derzeit in sind, der richtige Rubel rollt in der Handelsgastronomie noch immer bei den üblichen verdächtigen Mitspielern, etwa Möbelhäusern. Vielleicht liegt es daran, dass die Kunden eine Stärkung brauchen, bevor sie Betten, Schreibtische und Teppiche nach Hause tragen. Zu den großen Playern – auch in Deutschland – gehört jedenfalls die XXXLutz-Gruppe. Verantwortlich für die Gastronomie dort – aber auch in allen anderen acht Ländern – ist der gelernte Koch Andreas Haderer. Jeder Standort bietet auch sein eigenes Restaurant, das bedeutet, es sind derzeit deutschlandweit 49, davon 15 auf Self-Service-Basis. Bis Ende 2020 will man etwa fünf weitere Betriebe eröffnen.
Das Angebot in den Restaurants bezeichnet Haderer als »gutbürgerliche Wirtshausküche mit einem gewissen regionalen Touch«, und nicht ganz unerwartet sind Wiener Schnitzel, Jägerschnitzel oder Grillteller deutschlandweit die Renner. Was aber nicht bedeutet, dass nicht auch Speisen wie Sous-vide-gegarte Entenkeulen aus Frankreich ihren Weg auf die XXXLutz-Speisekarten finden würden. Haderer: »Die Qualität der Zutaten ist mir – ich habe ja selbst in der Haubengastronomie gearbeitet – am wichtigsten, dann folgt der Preis. Also das Preis-Leistungs-Verhältnis muss passen.«
Angebot bundesweit gleich
»Das Angebot ist in allen Filialen gleich, lediglich der Tagesteller ist individuell und wird von jedem Küchenchef selbst entschieden«, erklärt Haderer. Die Speisekarte wird dabei einmal im Jahr – meist im Dezember – neu gestaltet, und zusätzlich kommen alle sechs bis acht Wochen saisonale Gerichte als spezielle »Tischsets« ins Angebot – wieder in allen Filialen gleich. Bei den Getränken spielt Alkohol (mit Ausnahme von Bier) – da Tagesgastronomie – eine eher untergeordnete Rolle, wichtig sind dafür Limonaden oder Apfelschorlen.
Kleine Brötchen bäckt der Möbelriese dabei auch im Gastro-Bereich nicht: Die kleinsten Restaurants haben an die 100 Sitzplätze, bei den größten sind es gar 500, der Mitarbeiterstab beträgt je nach Größe zwischen 10 und 60. Zu Gastro-Umsätzen oder Anteilen am XXXLutz-Gesamtumsatz hält sich Haderer bedeckt, legt aber Wert auf die Feststellung, dass die einzelnen Restaurants alle positiv bilanzieren und nicht, wie oft fälschlicherweise angenommen, ein Marketingabsetzposten sind.
1,45 Mio. Schweinebraten
Ein ähnliches Rezept wie die Möbelhaus-Restaurants verfolgen auch die Restaurants in den Supermärkten, etwa bei Interspar in Österreich, das mit 80 Outlets (hpts. Self-Service-Restaurants, aber auch Bistros, Kaffeebars und ein Foodtruck) einer der größten Systemgastronomen der Alpenrepublik ist. »Unsere Verkaufsschlager sind sicherlich die täglich wechselnden Menü-Angebote – hergestellt aus frischen und regionalen Zutaten. Auf die Verwendung von Tiefkühlgemüse wird gänzlich verzichtet«, erklärt Unternehmenssprecherin Nicole Berkmann das Konzept.
»Unsere Verkaufsschlager sind sicherlich die täglich wechselnden Menü-Angebote«
Ein weiterer Gäste-Liebling sei die Bratenstation. Im Jahr 2018 wurden in den Interspar-Gastronomiebetrieben beispielsweise 1,45 Mio. Portionen Schweinebraten verkauft. Der Braten wird täglich ofenfrisch über Nacht gegart. Aber auch das Salatbüfett mit mindestens zwölf verschiedenen frischen Salaten sei sehr beliebt. Vergangenes Jahr wurden 40.000 kg Salat verkauft. Darüber hinaus bieten viele Interspar-Restaurants eigene Pasta-Stationen an – hier wird Pasta aus der italienischen Manufaktur Temporin frisch vor den Augen der Gäste zubereitet.
»Viele der Restaurants verfügen über eine eigene Kaffeebar mit Kuchen und Mehlspeisen aus der Interspar-Bäckerei. Und die Restaurants bieten auch ein reichhaltiges Frühstück. Seit diesem Jahr führen viele Restaurants eine Früchtebar mit Joghurt, frischen Früchten und Bio-Toppings. Abgerundet wird das Speisenangebot mit einer Auswahl an veganen und vegetarischen Gerichten«, so Berkmann. Das Angebot ist dabei regional unterschiedlich und wechselt regelmäßig, wobei die Verkaufsschlager aber permanent im Angebot bleiben.
Unterschiedliche Kundenstruktur
Die Kundenstruktur sei je nach Standort unterschiedlich, es gäbe Restaurants, die etwa von jungen Müttern oder Ruheständlern als regelmäßiger Treffpunkt genützt würden, oder Standorte, die aufgrund der günstigen Preise sehr beliebte Mittagspausen-Destinationen für die Angestellten der näheren Umgebung seien. Aber natürlich gäbe es auch viele Gäste, die den Einkauf mit einem Besuch im Interspar-Restaurant verbinden.
Auch bei Interspar geht man mit konkreten Umsatzzahlen der Restaurants nicht an die Öffentlichkeit, legt aber ebenso Wert auf die Feststellung, dass die Restaurantsparte »selbstverständlich profitabel arbeitet«. Bei Mittagsmenüpreisen von 6,80 Euro bewegt man sich tatsächlich schon in der preislichen Region normaler Gasthäuser. Die Zeiten des 3,90-Euro-Schnitzels dürften jedenfalls auch in der Handelsgastronomie meist vorbei sein.