BesucherInnen willkommen?
von Clemens KriegelsteinEntsprechend nehmen manche Bemühungen, aber auch niemand anderen zu beleidigen, oft seltsame Formen an. Auch das Gastgewerbe sieht sich zusehends mit den Blüten der neuen »PC«-Welle konfrontiert.
Die Gastronomie ist zu einem Minenfeld geworden, wenn man Wert darauf legt, den Ansprüchen der aktuellen Political Correctness zu genügen. Das traditionelle Dessert »Mohr im Hemd«, ein warmer Schokokuchen mit Schlagsahne, wird immer öfter eben als solcher statt in seiner ursprünglichen Bezeichnung angepriesen. Dem »Zigeunerschnitzel« ging es spätestens 2013 an den Kragen, als ein Verein von Sinti und Roma in Hannover die Umbenennung dieses »rassistischen« Namens verlangte und die Stadt daraufhin in allen städtischen Kantinen aus den Zigeunerschnitzeln Paprika- oder Balkanschnitzel machte. Und wer heute ein Schaumgebäck mit Schokoladenüberzug noch als Negerkuss verkauft, der fürchtet sich vor gar nichts mehr.
Indes ist die politisch korrekte Bezeichnung von Speisen nur der Anfang. Immer mehr Gastronomen, Hoteliers und vor allem Tourismusregionen sprechen auf ihren Webseiten und Aussendungen schon längst von »BesucherInnen«, »SkifahrerInnen« oder »FeinschmeckerInnen«, um bloß nicht den Eindruck zu erwecken, Frauen als Gäste nicht wichtig genug zu nehmen. Was einst an den Universitäten seinen Anfang nahm, ist inzwischen in vielen schriftlichen Texten des Alltags angekommen. Wobei das sogenannte Binnen-I, das bei einem Begriff sowohl die männliche wie auch die weibliche Form signalisieren soll, schon länger nicht mehr der Weisheit letzter Schluss ist. Wer sich heute etwa im Umfeld von Studienrichtungen wie Politikwissenschaft oder Soziologie aufhält, wird zusehends mit Sternchen oder Unterstrichen in Worten konfrontiert. Denn während »KellnerIn« eben nur für männliche und weibliche Kellner steht, soll »Kellner*in« oder »Kellner_in« auch Zwitter, Transgender oder die Conchita Würste dieser Welt mit einschließen.
Bla bla bla
Doch wie weit ist ein politisch unkorrektes Augenzwinkern, sind Stereotype oder das Spielen mit Vorurteilen im Gastgewerbe wirklich zulässig? In einem Wiener Wirtshaus prangt an einer Toilettentüre die Tafel »Bla«, auf der anderen »Bla Bla Bla Bla Bla Bla Bla Bla Bla Bla Bla Bla Bla Bla«. Welche für Herren und welche für Damen ist, darf sich jeder selbst zusammenreimen.
Apropos Toiletten: Immer öfter kommt die Forderung auf, dass es zumindest in öffentlichen Gebäuden eine dritte Toilette geben sollte, da es intersexuellen Personen nicht zuzumuten sei, sich zumindest kurzfristig für ein Geschlecht und damit für eine der beiden üblichen WC-Alternativen zu entscheiden… In Berlin haben sich etwa die Piraten mit Unterstützung von Grünen, SPD und Linken vor einigen Jahren erfolgreich für die Einrichtung solcher dritter Toiletten in manchen öffentlichen Gebäuden stark gemacht. Manch brennende Probleme bedürfen eben einer raschen Lösung…
Natürlich gleiten manche Forderungen ins Skurrile ab, aber man sollte einen Shitstorm auch nicht unterschätzen. So ist ein Lokal in Zell am See (Salzburg) vergangenen Herbst ins Schussfeld der allseits aufgebrachten PC-Community geraten, nachdem ein Gast auf der Herrentoilette einen Aushang mit der Aufschrift »Merkblatt zur richtigen Frauenhaltung« entdeckt und via Facebook verbreitet hat. Auf die Inhalte braucht man nicht weiter einzugehen, sie decken tatsächlich jedes Klischee ab: Eine Frau »sollte nützlich sein (d.h. brav im Haushalt und einigermaßen gut im Bett). Sie sollte herzeigbar sein (d.h. ihr Aussehen sollte zumindest kein Mitleid erregen)« etc. Lustig? Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Dass das Logo des Lokals einen schwarzen, dickbäuchigen Kannibalen zeigt, der mit einem Messer im Mund einem nackten Weißen nachläuft, war dann nur mehr das Tüpfelchen auf dem i. In den sozialen Medien war der Teufel los, Boykott-aufrufe, speziell aus dem linken gesellschaftlichen Umfeld, die fast logische Folge. Die Betreiberfamilie wurde persönlich beschimpft und bedroht, es gab sogar einen Aufruf, das Lokal anzuzünden.
Eine radikale Minderheit macht viel Lärm
Was bei all den Vorwürfen, die von Sexismus über Rassismus bis zu Faschismus nichts ausließen, geflissentlich über-sehen wurde, war, dass es sich bei dem oben genannten Logo um eine jahrzehntealte Karikatur handelte, die einfach nur lustig, aber niemals abwertend gemeint war. Vor allem aber, dass das gleiche »Merkblatt« auch auf der Damentoilette hängt, mit beinahe identischen Inhalten, nur eben als »Merkblatt zur richtigen Männerhaltung«. Eher also kein Fall von Sexismus. »Das war schon eine grenzwertige Erfahrung damals«, erzählt Geschäftsführer Edwin Kreml, der das »Kupferkessel« genannte Lokal seit knapp 40 Jahren führt. »Wir waren aufgrund der Drohungen aus dem linksradikalen Milieu tatsächlich tagelang unter Polizeischutz.«
Geändert hat er dabei bis heute nichts. Die »Merkblätter« hängen nach wie vor auf den Toiletten, und auch das Logo blieb unangetastet. »Neben den negativen Meldungen, die hauptsächlich von Leuten kamen, die noch nie einen Fuß über unsere Türschwelle gesetzt haben, habe ich damals binnen 48 Stunden über 800 positive Rückmeldungen von Leuten bekommen, die mich bestärkt haben, bloß nichts zu ändern nur wegen ein paar Verrückten.« Was bleibt, ist das Erstaunen darüber, welche Eigendynamik solche Vorwürfe heutzutage durch die (un-)sozialen Medien bekommen können.
Respektvoller Umgang mit Gästen ist generell geboten
Allgemeine Handlungsempfehlungen sind indes bei diesem Thema schwer zu geben. »Gastfreundschaft beinhaltet den respektvollen Umgang mit Menschen. Dazu zählt auch insbesondere die passende Wortwahl, die nicht verletzend und diskriminierend sein sollte«, meint etwa Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des DEHOGA Bundesverbandes. »Die Debatten zur zeitgemäßen Verwendung bestimmter Begriffe ziehen sich oft über Jahrzehnte hin. Hysterie ist fehl am Platz. Aus dem Grund geben wir dazu aktuell keine Empfehlung ab. Es sollte die Entscheidung des Unternehmers sein, ob und wann er seine Speisekarte im Lichte gesellschaftlicher Debatten anpasst.«
Schließlich gelte es zu berücksichtigen, dass Produktbezeichnungen wie »Zigeunersauce« oder »Zigeunerschnitzel« eine mehr als hundertjährige Tradition hätten. Sie stünden für eine bekannte würzig-pikante Geschmacksrichtung. Und auch zur Ansprache der Gäste seitens des Betriebes, ob »Besucher«, »Besucher und Besucherinnen«, »BesucherInnen« oder »Besucher*innen«, spricht der DEHOGA Bundesverband keine Empfehlung aus. Statt »Besucher und Besucherinnen« könnte laut Hartges pragmatisch in dem Fall die Anrede einfach »Gäste« lauten.
Wie man einem Shitstorm generell unaufgeregt gegenübertreten kann, zeigt dabei die Vorarlberger Mohrenbrauerei. Benannt nach ihrem Gründer Josef Mohr im 18. Jahrhundert, verwendet sie noch heute das alte Familienwappen: die Silhouette eines Mohren samt Kraushaar und wulstigen Lippen. Aufrufe, diesen »rassistischen« Namen und das Logo zu ändern, gibt es regelmäßig. Indes: Man legt bis heute Wert darauf, diesen vor allem im Ländle gut eingeführten Namen und auch das historische Logo zu behalten, die selbstverständlich nicht den geringsten rassistischen Kontext enthielten. Nur das Logo hat sich über die Jahrhunderte natürlich weiterentwickelt, wie Marketingleiter Bernd Marte erklärt. Aber das Logo an sich und erst recht der Name wurden niemals in Frage gestellt. Auch so lässt sich eine Diskussion beenden!
Kommentar: Bitte locker bleiben!
Eines gleich vorweg: Das Gastgewerbe ist keine Erziehungsanstalt. Gastronomiebetriebe und Hotels sind Freizeiteinrichtungen, in denen sich die Gäste wohlfühlen und entspannen sollen. Das Leben in unserer immer stärker durchreglementierten Gesellschaft ist oft mühsam genug. Speisekarten, Prospekte und andere Texte sollten entsprechend einladend und leicht verständlich sein. Großbuchstaben, Sternchen, Unterstriche und ähnliche Abnormitäten mitten in Worten haben sich daher in den allermeisten Medien zu Recht bis heute nicht durchgesetzt. Das Risiko, dass sich in der Wortwahl eine der etwa bei Facebook zur Wahl stehenden 60 (!) Geschlechteridentitäten nicht angesprochen fühlt, kann man eingehen. Und was die Diskussion um Zigeunerschnitzel und Mohr im Hemd betrifft: Hier wird wohl jeder Gastronom am besten auf seine bevorzugte Kernklientel schauen: In der Kantine des Kegelvereins werden solche Bezeichnungen daher zu weniger Diskussionen führen als in der Uni-Mensa. In jedem Fall ist es ratsam, die moralinsaure Brille auch mal abzunehmen und die Welt mit einem Augenzwinkern zu betrachten.
Der Original-Text aus dem Magazin wurde für die Online-Version evtl. gekürzt bzw. angepasst.