Stadt Land Vino Salud Murcia
Fotos: Rudi Ernst via Getty Images

Stadt, Land, Vino: ¡Salud Murcia!

Auf kulinarischer Entdeckungstour im Südosten Spaniens

von Gabriele Gugetzer
Donnerstag, 03.11.2022
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Das ist einerseits bedauerlich, denn die Universitätsstadt Murcia hat sogar sehr viel zu bieten. Andererseits ist es in diesen Zeiten des überbordenden Übertourismus ein wahrer Segen, wenn Foodies, Studenten und ganz normale Menschen mal unter sich bleiben können und nicht unentwegt von Insta-Tölpeln gestört werden. 

Sogar im Herbst und Frühjahr, nach der erstaunlichen Hitze der gefühlt ewig langen Sommermonate, wenn sich die Temperaturen endlich auf ­angenehm eingependelt haben, sind Touristenströme in Murcia unbekannt. Dabei ist die unverschandelte Altstadt ideal zum Ausgehen – morgens ins Café, mittags in eines der rummsvollen Tapas-Restaurants, ­nachts in eine von vielen Bars oder auf den Mercado de Correos, einen mo­dernen Food Court.

Odiseo  Michelinstern Show  Casino Sportsbar Restaurant

Odiseo: Michelinstern + Show + Casino + Sportsbar + Restaurant. Foto: Odiseo

Perfekt für eine City-Break

Viel Grün findet sich in der Stadt, was auch nötig ist, wenn im Sommer die Temperaturen schnell mal auf 40 Grad klettern. Die Architektur ist ein gelungener Mix aus Jugendstil, Barock und maurischen Elementen. Die Straßen sind gepflegt, elegante Plätze mit Palästen umstanden, in denen manch­mal noch die Nachfahren der gründenden Granden leben. 

Plaza de Cardenal Belluga und Plaza Santo Domingo sind besonders fotogen, an der Plaza de las Flores stehen schicke und schlichte Restaurants dicht an dicht. Der Privatclub Social Royal Casino ist erstaunlich in seiner Prachtentfaltung und die Plateria ein atmosphärisches Einkaufsgässchen ohne Ketten, statt­dessen mit viel Geschmack. Die ansprechend gestalteten Ufer zu beiden Seiten des Río Segura sind kühlende Lebens­ader und weitläufiger Fitnesspark zugleich. 

Schön angerichtetes Essen
Foto: Odiseo

Die Markthalle Mercado de Abastos de Veronica kann zwar nicht mit der von Barcelona mithalten – wir befinden uns schließlich in der spanischen Provinz. Aber das Angebot an Fisch, Meeresfrüchten, Fleisch und Käse ist groß, außerdem gilt die Provinz als Gemüsegarten des Landes. Und auch hier stört kein ­Selfie-Stick. Gleich auf der anderen Straßenseite gründete Andrés Gómez mitten in der Coronakrise, die Spanien so richtig zusetzte, ein Weingeschäft, das La Diligente. Der gelernte Sommelier und WSET-Ausbilder (Wine & Spirit Education Trust) hat viele regionale Weine in den Regalen stehen, auch richtig Ausgefallenes und ausnahmsweise auch mal was von neben­an, nämlich Sherries. Er selbst liebt sie und die japanischen Touristen, die in Cartagena von Bord gegangen sind, die würden sie ihm wegkaufen wie nichts. 

Außerdem vermittelt er die Küche der Region und bietet sehr gelungene Käse-Wein-Pairings und Tapas an. Gómez praktiziert die kurzen Wege: Gleich nebenan liegt die Bäckerei, in der er sein Brot für die Tastings ersteht, und linker Hand das Käsegeschäft, in dem er beispielsweise Blauschimmelkäse von der Ziege kauft, der viel besser schmeckt, als das jetzt klingt. Und wenn noch etwas fehlt, ist ja die Markthalle da. Kurze Wege gibt’s auch in der Zusammenarbeit zwischen Gastronomie und Hotellerie, weiß er aus Erfahrung: „In Murcia arbeiten wir Sommeliers eng mit den Hoteliers zusammen – das wiederum bringt auch die Gastronomie ständig nach vorn.“

Weinrebe
In Murcia, der neben Andalusien trockensten und heißesten Region Spaniens, hat man sich auf den Trockenweinbau spezialisiert. Viele Weinbauern wie Angela Castaño oder Familie Pacheco arbeiten ganz natürlich ökologisch. Foto: Bodegas Castaño

Drei Weinstraßen, eine Rebe

Murcia birgt viele Überraschungen, beispielsweise eine Sommelier-Vereinigung, die nicht nur die größte Spaniens, sondern sogar auch eine ihrer ältesten ist. Welche Bedeutung Wein in dieser Region hat, spürt man spätestens eine halbe Autostunde außerhalb der Regionalhauptstadt, wenn sich die superhübsche Weinlandschaft ankündet. Drei Örtchen, Yecla, Jumilla und Bullas, haben ihre gleichnamigen Weinstraßen und eine D.O.-Appellation. 

Tapas
Foto: Bjoern/stock.adobe.com

In der Weitblick-Landschaft wird vorrangig die Monastrellrebe, die hier wuchtige, tanninige Rotweine liefert, angebaut. Die Wurzeln dieser Rebe reichen, breit verzweigt, leicht mal elf Meter oder tiefer in den Boden. Kann man sich gar nicht vor­stellen, denn die Monastrell wird kriechend am Boden erzogen und erinnert im Wuchs an ein knorriges Bonsaibäumchen. Zwischen die weit auseinandergesetzten Reben passt ein Traktor, der das Gestein ordentlich in Form bringt, das einerseits den Unkrautwuchs unterdrückt und andererseits den Boden vor Austrocknung schützt. Die Traubenernte selbst ist vorrangig Handarbeit. 

„Auch wenn sie sich eine Hauptrebe teilen, sind die drei Denominationen durchaus unterschiedlich”, erklärt Gómez, der für Wein- und Foodprofis Touren in sehr gutem Englisch veranstaltet. Die Region Jumilla hat die meisten Betriebe und, wie Yecla, die meiste Sonne. Bullas ist am wenigsten bekannt, doch gilt sie unter Kennern als die interessanteste Region. Dort geht’s hoch hinauf, bis auf 810 Meter. Im Winter, das kann der Manager der Bodegas del Rosario, Francisco Puerta Aguilera, mit Fotos und unverhohlenem Lokalstolz beweisen, liegt dicker Schnee auf den kleinen Bäumchen.

Menschen im Straßencafe
In Murcia arbeiten Gastronomie und Hotellerie zusammen – zugunsten kurzer Wege. Das bringt die Gastronomie ständig nach vorn. Foto: Iakov Filimonov via Getty Images

Hier lebt man Regionalität

Der größte Teil der Weine geht in den Export. Das hat zwei Gründe: In Spanien selbst trinkt man regional, Murciaweine kriegen in der Rioja kei­nen Fuß in die Tür, und andersherum auch nicht. Überdies lassen sich im Export höhere Preise erzielen. Polen ist ein wichtiger Abnehmer geworden, auch Deutschland spielt vorn mit, zudem ist der asiatische Markt stark ansteigend, denn die Weine passen gut zu würzgeprägten Speisen.

Obwohl man uns im Ausland kaum kennt, kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass Murcia für Essen und Trinken zu den besten Städten Spaniens gehört

Andrés Gómez, Sommelier 

In Jumilla und Bullas lohnen die Städtchen selbst einen Rundgang und bieten sich Abstecher an, in die lokalen Weinmuseen oder die Salzgewinnungsanlage Salines de la Rosa, die erstaunlicherweise Streusalz ebenso wie Gewürzsalz produziert. 

Übernachtungsmöglichkeiten gibt es leider kaum, dafür dauert die Fahrt zurück nach Murcia von allen drei Weinstraßen nur eine knappe Stunde. Doch die Weingüter haben nun den Öno-Tourismus entdeckt und bieten eine Gastronomie zwischen der berühmten flüssigen Olive im Ferrán-Adria-Stil bis zum ländlichen Menü. Wer richtig in Traditionen eintauchen will, isst im Restaurant Aurora in Yecla die Gazpacho Yeclano. Das ist eine Spezialität mit sephardischen Wurzeln, ein Eintopf mit Gemüse, Schnecken, Hase und grob zerzupften Tortillas, serviert auf einem Tortillaboden. Letzterer wird von dem Suppensud durchtränkt. Wenn der Eintopf aufgelöffelt ist, wird die nun weiche Tortilla mit Honig beträufelt und mit Sardellen belegt und zur Zigarre gedreht. Und dann natürlich aufgeknabbert.

Dämmerung
Vier Olivensorten, Arbequina, Picual, Cornicabra und Hojiblanca, werden bei der Almazara Deortegas in der Region Yecla angebaut. Zwei riesige Haine kommen ganz ohne Tröpfchenberieselung aus und sämtliche Oliven werden auf traditionelle Weise geerntet. Foto: Almazara Deortegas

Schon seit Generationen aktiv im Trockenfeldanbau

Es existiert viel Wissen darüber, wie man dieser Region, die die trockenste und neben Andalusien die heißeste im Land ist, Lebensmittel abringt. Für die Winzer ist das natürlich ein echtes Problem, denn Wasser kostet, und es fallen manchmal nur 200 Liter Niederschlag im Jahr. Tröpfchenbewässerung hilft, aber wer sich für Trockenfeldanbau interessiert, kann sich hier nicht nur bei Wein, sondern auch bei Oliven und Mandeln viele Anregungen holen. Im Umkehrschluss bedeutet wenig Niederschlag natürlich wenig Unkraut. Viele Betriebe, beispielsweise Bodegas Castaño, Viña Elena, Señorio de Barahonda, die Kooperative del Rosario oder Madrid Romero, arbeiten ganz natürlich ökologisch. 

Auch eine Reihe von Winzern bauen Mandeln und Oliven an, natürlich nicht für den Export, sondern für eine schicke und gut einzupreisende Bestückung ihrer Shops, die es mittlerweile auf vielen Weingütern gibt. Zwei wichtige Olivenölproduzenten sind jedoch schon seit Generationen, länger, als es die Weinstraßen selbst gibt, in der Region verwurzelt. Casa Pareja in Jumilla liefert Demeter-Qualität in deutsche Bioläden und offeriert sogar Öle von wilden Oliven, überdies qua­litätvolle Würzöle zwischen Vanille und schwarzem Knoblauch. 

Bei der Almazara Deortegas in der Region Yecla hat man für die Öle bereits Preise in Japan für das beste Olivenöl des Jahres eingefahren. Designpreise für die schönsten Etiketten sollten eigentlich auch mal dran sein. Eine Verkostung hier ist lohnenswert, nicht nur wegen des wunderbaren Blicks direkt in die Olivenhaine. Vier Sorten, Arbequina, Picual, Cornicabra und Hojiblanca, werden angebaut. Zwei riesige Haine kommen ganz ohne Tröpfchenberieselung aus und sämtliche Oliven werden auf traditionelle Weise geerntet und tragen das regionale sowie das europäische Biosiegel. Überdies drückt sich das Engagement für den Umweltschutz auch in einer Schutzzone für Vögel aus, denn die Region ist Heimat vie­ler Wildvögel.

Paella
Foto: Lauri Patterson via Getty Images

Traditionen mit Neuem verbinden

Besuche beim Winzer ähneln sich ja doch oft, wenn die Stahltanks und Barrique-Kol­lektionen vorgezeigt werden. Bei der Fa­milie Pacheco, die die Bodegas Viña Elena betreibt, ist das anders: Sie sind so eindeutig nach vorn ausgerichtet, dass sie stolz und stilvoll Alt und Neu kombinieren. In vierter Generation sind sie Winzer und bauen überdies Mandeln und Oliven an. Natürlich haben auch sie Stahltanks und Holzfässer, aber den traditionellen Keller mit Betonfässern, wo sich Ältere noch heute ihren Wein vom Fass in den Plastikcontainer abziehen lassen, zeigen sie Gästen mit Stolz. 

Und sie tischen auf, in der umfunktio­nierten und sehr gekonnt modernisierten einstigen guten Stube der Großeltern. Deshalb heißt dieses angeschlossene kleine Restaurant, das man auf den ersten Blick gar nicht findet, auch La Casa de las Abuelas. Es ist nur auf Reservierung geöffnet und serviert keine große Oper, erst recht keinen modernen Stil, sondern einfach nur richtig feine, ländlich-gute Küche, was eine Kunst zu sein scheint, die nicht jeder Betrieb beherrscht. In Murcia ist man stolz aufs 
regionale Schweinefleisch, so gibt es bei den Pachecos selbstverständlich mari­niertes Lomo, den Klassiker aus der Region, säuerlich abgeschmecktes Grillgemüse und Thunfisch aus nachhaltiger regionaler Zucht.

Foto: Bodegas Viña Elena
Foto: Bodegas Viña Elena

Murcia – Gut zu wissen

  • Sprache: Die Exportchefs der Winzer sind firm im Englischen, doch wer auf Nummer Sicher gehen will, hat eine Übersetzungsapp parat. Missverständnisse ergeben sich oft auch wegen der Aussprache.
  • Siesta: Nicht nur im Sommer. Frühestens um 16 Uhr geht das Leben wieder los, dann aber bis in den späten Abend.
  • Essenszeiten: Abendessen um 22 Uhr sind keine Seltenheit, zum Wochenende hin wird’s noch später.
  • Transport: Es gibt Autobusse, aber ein Mietwagen macht Sinn.
  • Temperaturen: Während der Sommermonate bis 45 Grad, im Winter fällt in den höheren Regionen entlang der Weinstraßen Schnee.
  • Hinkommen: Alicante ist der sechstgrößte Flughafen des Landes. Linienflieger und Billig-Airlines landen im Minutentakt aus ganz Europa, auch von deutschen Regionalflughäfen.
  • Natur: Der Nationalpark Sierra EL Carche (Jumilla) eignet sich zum Kraxeln und hat ausgewiesene kürzere oder längere Wanderwege.
  • Feste: Sowohl religiöse Feste als auch Weinfeste werden in den Weindörfern mit Verve und sehr, sehr viel Leidenschaft begangen.
    Tipp: Im November öffnen Olivenbauern, Winzer und Weinläden zu besonderen Zeiten ihre Türen und offerieren Tapas- und Weintouren.

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