Schottland in der Poleposition
Edinburgh, Glasgow und die Highlands sind auch kulinarische Traumziele
von Gabriele GugetzerDas weiß jeder: Dudelsackmusik ist die schönste der Welt, die Highlands der verzaubertste Ort der Welt, schottische Dialekte die verführerischsten der Welt. Das weiß nicht jeder: Schottland ist Genuss-Destination. Es ist ein karges, zerklüftetes, dünn besiedeltes Land, das etwa halb so groß wie England ist und eine Klappe hat doppelt so laut wie Texas.
Und hier finden sich neun Einsterner, ein Zweisterner, Hotellerie für Romantiker, gemütlichste Pubs und höchste Produktqualität. Whisky. Aberdeen Angus stromern frei durch die Täler und liefern eine erstaunliche und gleichbleibende Fleischqualität. Lämmer gucken beim Grasen auf den Firth of Forth den Großen Tümmlern beim Rumtümmeln zu. Wild und Wildgeflügel sind gesetzt.
Dank der Tradition der gemauerten Gärten gedeihen Erdbeeren, Gemüse, Kräuter, ein bisschen später halt. Fisch und Meeresfrüchte werden frühmorgens aus der See gezogen und landen umgehend im Sterner oder in der Küche des Pub um die Ecke.
Das war natürlich nicht immer so. Bis in die frühen 2000er-Jahre, erinnert sich Tom Kitchin vom Einsterner »Kitchin« in Edinburgh, »standen wir mit langen Gesichtern an der Straße, während die Lkws mit handgetauchten Jakobsmuscheln, Langusten und Lamm an uns vorbei in Richtung Londoner Nobelhotels und weiter nach Rungis donnerten.«
Die Edinburgher selbst, glaubt er, waren anfangs der Grund dafür, dass sich das änderte. »Hier besteht ein Riesenbedarf an Lokalitäten für gutes Essen und Trinken.« Dann entdeckten Touristen das Land neu, jenseits von Loch Ness und seinem Monster.
Edinburgh – die Schöne
Edinburgh ist Sitz des schottischen Parlaments und erste Anlaufstelle für den internationalen Tourismus. Hier war es schon elegant, geschmackvoll, prachtvoll und prunkvoll, als Glasgow noch ordentlich an sich herumputzen musste. Geprägt von der Sterneküche, häufig mit französischem Hintergrund, ist viel Genussgeld im Umlauf. Beim Einsterner Martin Wishart stehen zum Lunch beispielsweise Taschenkrebs von Loch Fyne, Lende vom schottischen Reh und Arme Ritter mit Blutorange und Eiscreme auf Basis von geröstetem Toast auf der Karte. Bei Tom Kitchin – wie Wishart preist er drei Gänge ohne Getränke bei knapp 50 Pfund ein – sind es eine Mangalitza-Terrine mit gebräunter Butter, eine confierte Meerforelle aus dem Loch Etive mit Grünkern und Sauce hollandaise und zum Abschluss Frischkäsesorbet zur Treacle Tart – wir sind immerhin im Harry-Potter-Land.
Wenig überraschend wird Edinburgh regelmäßig als beste Foodie-Destination jenseits von London ausgerufen, das sieht man an den gehobenen Preisen und der Bandbreite an Restaurants. Tom Kitchin (siehe Interview) eröffnet gerade ein neues Restaurant, das KORA. »Ein lokales Lokal im besten Sinne«, beschreibt er den Ansatz. Es liegt im flauschig-begrünten Wohnviertel Bruntsfield, im Gegensatz zu seinen anderen Lokalitäten, die in Szenevierteln liegen. »Sonntagmittag mit der Familie, nach Feierabend auf einen Vino mit Häppchen oder ein Mehrgängemenü«, beschreibt er das Konzept.
Glasgow – Ya dancer!
Ya dancer! ist Slang und heißt super. Glasgow, das die längste Zeit aussah, als sei es in ein Tintenfass gefallen, wie der schottische Komiker Billy Connolly unter garantiertem Gelächter gern behauptete, ist super. Heute jedenfalls. Bis in die 1980er-Jahre war die einstige Weltmetropole für Industrie und Handel heruntergewirtschaftet, die wunderschöne Architektur verrußt, die Slums unübersehbar. Hier wurde der Film »Trainspotting« gedreht. Armut, Drogen, Arbeitslosigkeit, so lautete der gruselige Dreiklang; der Glasgow Kiss war ein berüchtigtes und keinesfalls seltenes Pub-Souvenir.
Dann wurden die Stadt und ihre architektonischen Perlen restauriert. Designtechnisch und musikalisch war Glasgow schon immer weit vorn, hier steht die berühmte Glasgow School of Arts, von hier kommen Simple Minds, Franz Ferdinand und jedes Jahr ein neues Füllhorn an Indie-Bands mit witzigen Namen. Die Pubs sind supergemütlich und voller Locals, denn im Gegensatz zu Edinburgh ist Glasgow nicht vom Overtourismus geplagt. Langusten, Jakobsmuscheln, Kabeljaubäckchen, selbst gebackenes Brot: Das ist eigentlich die Norm in guten Lokalitäten wie »Ox and Finch«, »The Finnieston«, »Ubiquitous Chip«, alles noch weit unterhalb der Sterneküche. Ob öffentlicher Nahverkehr, charmante Hotels oder richtig gutes Essen – Glasgow verkörpert Preisleistung.
Was’n das? Kleine Bestellkunde für traditionelle Gerichte
- Arbroath Smokies: Schellfischspezialität aus Arbroath. Die Fische werden im Ganzen über Hartholz geräuchert.
- Bannocks: Haferteilchen, die in der Form und Textur an Scones erinnern. Zu herzhaften Gerichten.
- clootie: Gedämpfter süßer Knödel mit Trockenfrüchten, zu Vanillesauce und Whisky.
- Cock-a-leekie: Hühnersuppe mit Lauch und Trockenpflaumen, angedickt mit Reis oder Rollgerste.
- Cranachan: Sahniges Schichtdessert mit Himbeeren und Haferflocken.
- Crowdie Tart: Quiche mit Lauch
- Cullen Skink: Kartoffeleintopf mit geräuchertem Schellfisch, Milch und Petersilie.
- Forfar bridie: Fleischpastete mit dickem Teigrand.
- Haggis: Herzhafter Pudding aus Innereien, Zwiebeln, viel Haferflocken und erstaunlich viel Cayennepfeffer.
- Neeps & Tatties: Steckrübe und Kartoffel als traditionelle Beilage zu Haggis.
- Scotch Pie: Teigummantelte Fleischpastete, mit Lammhackfüllung oder Rindfleisch. Das Besondere ist der krümelige Teigmantel.
- Scottish Tablet: Erinnert geschmacklich an Fudge, aber mit krümeliger Konsistenz.
- Stovies: Klassischer Eintopf mit Kartoffeln und Zwiebeln und den Resten vom Sonntagsbraten.
Afternoon Tea
Kaum ein Hotel, das hierzulande keinen Afternoon Tea anbietet. Häufig sieht man förmlich beim Personal die Erwartung, dass mit der Order gleich die Gelddruckmaschine losrattern wird ... bei 50 Euro oder mehr pro Person. Aber lieblose Stullen und trockene Scones (skons, nicht skooohns) gehen nur einmal. Wie’s richtig ist, zeigen »Prestonfield House« in Edinburgh und »Mackintosh on the Willow« in Glasgow. Letzterer wurde vor einigen Jahren nach Originalentwürfen des weltberühmten Designers und Architekten Charles Rennie Mackintosh und dessen Frau Margaret wieder aufgebaut und ist allein vom Design her der schönste Tearoom des Landes. Die Küche ist lecker, sie haben sogar ein ordentliches Kochbuch. Der japanisch inspirierte Afternoon Tea mit Räucherlachs-Wasabi-Sandwiches, Misobrühe und Yuzutörtchen beweist, dass zu gutem Tee relativ viel passt. Es schmeckt nicht nach Zeitgeist, sondern gut. Ein Glas Champagner dazu kostet nur 6 Pfund mehr – Schotten sind auch daheim dafür bekannt, genau auf die Preise zu schauen.
Prestonfield House in Edinburgh ruft das Doppelte für den Afternoon Tea auf, allerdings zahlt man hier auch das Herrenhaus, die schmucken Herren im schwarzen Kilt und die durchgeknallten Pfaue im Garten. (In der »Winston Churchill Suite« zu übernachten schlägt mit 525 Pfund zu Buche, inklusive Frühstück, wie gesagt, für Preisleistung ist Glasgow bekannt, nicht Edinburgh.) Aber wie im Tearoom in Glasgow sind die Tees Spezialmischungen, serviert wird vor dem frisch befeuerten Kamin, die Sandwiches sind klassisch mit schickem Touch, Pulled Shoulder vom Honigschinken, Eiersalat vom Entenei, Croquettes mit Haggis gefüllt – und wer den nicht mag, hat einfach noch keinen guten Haggis gegessen. Die süßen Nummern sind französisch beeinflusst, elegant und fein. Schotten sind verschleckert.
Auf dem Land
Eine knappe Stunde mit dem Zug ab Glasgow gen Norden, und die sagenumwobenen Highlands kündigen sich an. Da erheben sich Burgruinen aus dem Nebel, man erspäht ein Inselchen, es flattern Fasane auf, ein verzauberter Wasserfall perlt, der Whisky fließt. Und noch etwas ist mittlerweile prägend für schottisches Land: kleine Herrensitze, deren gute Küche das zentrale Buchungskriterium ist. So leitet einer der ganz Großen im Königreich, der Londoner Zweisterner Michel Roux aus der gleichnamigen Dynastie, die Küche in der Puppenstube »Inverlochy Castle«, das Queen Victoria bereits als Stammgast hatte.
»Knockinaam Lodge« trägt einen Stern, das »Isle of Eriska« fokussiert auf Fisch und Blick auf die Whiskyzentrale Oban. Diesen Stil kriegen eigentlich nur die Franzosen hin. Da ist viel abzugucken für heimische Breitengrade. Erst vor einer Generation, darf man nicht vergessen, war außer »Gleneagles« in Schottland nicht wirklich was los.
Der Käse
Schottischer Käse bietet eine überraschende geschmackliche Bandbreite zwischen klassischem Cheddar (Tipp: Isle of Mull), Blauschimmel (Tipp: Lanark Blue), Frischkäse (Crowdie), Brie (z.B. Highland Brie), Schafskäse (z.B. Cairnsmore). I J Mellis hat sich auf Produkte aus kleinen Käsereien spezialisiert, die hervorragende Qualität bieten, und ist in beiden Städten mit sehr ansprechenden Geschäften vertreten. Für den Flieger gibt’s frisch eingeschweißte Portionen. In der gehobenen Gastronomie sind Käsegänge zum Abschluss gesetzt und werden nicht unter 15 Pfund ausgeteilt.
Reisetipps:
Reisezeit: Im August finden in Edinburgh die zwei Großveranstaltungen »Fringe Festival« und »Tattoo« statt. Es ist noch voller als sonst. »Hogmanay« (Silvester) geht nicht ohne Kampftrink-Konzept. Ab Anfang November ist es weihnachtlich-atmosphärisch. In Glasgow macht der häufige Sprühregen alles grün; die beste Reisezeit ist ab Frühjahr bis Spätsommer.
Tipp: Wer den Sommer wählt und Sonnensicherheit erwartet, wird in beiden Städten enttäuscht. Man weiß wirklich nie, wie das Wetter wird, es gibt den lauwarmen November ebenso wie den verkühlten August.
Anreise: Edinburgh oft Direktflieger, Glasgow über gut getaktete Umsteiger.
Hoteltipp: »Boutique 50«, Minihotel mit 10 Zimmern im angesagten Glasgower Stadtteil Kelvinhaugh. Jedes Zimmer sieht anders aus, in allen steht ein Plattenspieler. Ab 75 Pfund pro DZ inklusive Frühstück.
Im Gespräch mit Tom Kitchin, Inhaber des Restaurants KORA in Edingburgh
Anfang der 2000er-Jahre war er die »Zugmieze« für die neue Restaurantkultur Edinburghs. Vorher hatte sich Tom Kitchin nach einer klassischen Kochausbildung bei Alain Ducasse den letzten Schliff geholt. Der heute 44-Jährige setzte von Beginn an auf regionale Produkte und gute Kontakte mit seinen Zulieferern. Sechs Monate nach Eröffnung des ersten Restaurants, »Kitchin«, holte er einen Stern, den er bis heute hält.
Herr Kitchin, Sie gucken Videos bei der Arbeit?
Ich schaue mir gerade Videos meiner Lieferanten an, deren Schaf- und Schweineherden ganz natürlich draußen leben. Im »Kitchin« servieren wir gern Gerichte auf Basis von seltenen Lamm- und Schweinerassen. So kann ich sichergehen, dass nicht nur Geschmack und Qualität top sind, sondern auch die Herkunft lückenlos rückverfolgbar ist.
Im Jahr 2006 waren Sie einer der Ersten, die so dachten.
Ich war irre nervös, das, was wir vorhatten, war damals ganz neu und ungewohnt. Zu der Zeit standen Lachs, Risotto, Steak und Hähnchen auf jeder Speisekarte der Stadt, das erwarteten die Gäste. Oft kamen die Produkte sogar vom selben Zulieferer. Aber ich wollte das beste Produkt aus Schottland auf die Karte setzen.
Deshalb auch die Kombination von Landkarten mit Speisekarten?
Ja, jedes Produkt, das wir verarbeiten, und jeder Zulieferer sind kartografiert. Je nach Menü nutzen wir die entsprechenden Landkarten, damit die Gäste sich orientieren können, wo ihre Erdbeeren, Jakobsmuscheln oder der Bärenklau herkommen.
Bärenklau?
Wir arbeiten schon lange mit Sammlern zusammen, die sich auf Algen, Pilze, Bärlauch oder Brombeeren spezialisiert haben oder eben auf das Wildgemüse Bärenklau.
Herkömmliches Gemüse?
Auf einem Bauernhof außerhalb von Edinburgh werden nur für uns diverse Gemüse angebaut. Leider haben wir nicht das ganze Jahr über Sonnenschein, also sind mediterrane Obst und Gemüse manchmal schwieriger in guter Qualität zu bekommen.
Wie geht es weiter nach der Pandemie?
Produktqualität bleibt ein Thema. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, zu verstehen, wie Koch und Produzent ticken, nämlich anders. Ich habe viel Zeit und Energie investiert, um mich und mein Team weiterzubilden und den Produzentenalltag zu verstehen, wie engagiert sie denken, wie arbeitsintensiv ihr Job ist. Deshalb laden wir sie auch in unsere Restaurants ein, damit sie wiederum unseren Küchenalltag besser verstehen und die Ansprüche und Wünsche unserer Gäste.