Schön, schöner, Schonen
In der hyggeligen Provinz Südschwedens ist die Gastronomie in Aufbruchstimmung.
von Gabriele GugetzerDas Überraschendste an Schonen, der südlichsten Provinz Schwedens: Als ernsthafte Food-Destination hat sie kaum jemand auf dem Zettel. Dabei sind die Restaurantpreise halb so hoch wie in Stockholm. Die hohe Qualität von Fisch und Meeresfrüchten ist gesetzt, denn Wasser ist nie fern. Im Westen liegt der Öresund, die beeindruckende Brücke verbindet Malmö mit dem ehemaligen Mutterland Dänemark. Im Osten liegt die Ostsee und geht’s gen Baltikum. Zwischendrin sorgen Seen, knallblau hingekleckst und voller Fischreichtum, für Farbtupfer im ländlichen Grün.
In der kuscheligen, oft leicht hügeligen Landschaft finden 13.000 Bauern ihr Auskommen, gedeihen Schafherden und Kühe draußen, sind die Schweineställe auch mal klein und produziert längst nicht jeder Apfelhain gespritzte Plörre für ausländische Getränkegrößen. Die Schweden nennen Schonen ihre Vorratskammer. Nordische Küche ist klar, aber endlich sollen Herz und altmodisches Lecker schmeckbar werden. Und da wir in Schweden sind, klappt die Work-Life-Balance auch im Gastgewerbe.
Malmö – vom Industriewrack zur Genussstadt
Ja, Malmö hat Gettos und bei der Integration knirscht es hörbar. Aber Malmö ist auch jung, genussorientiert, traditionsbewusst, entspannt. Überall in der Stadt wird gebaut oder werden Industriebauten gekonnt umgewidmet. Der Hafen ist ein Versuchslabor für energieeffiziente Architektur, beheimatet die Start-ups und ist neben der Altstadt das beliebteste Ausgehziel.
Hier serviert das Spill, nur mittags, in Kantinenatmosphäre auf hohem Niveau Gerichte, deren Ausgangsprodukte von minderer Qualität sind, aber zu schade zum Wegwerfen. Das ist eine bewusste Entscheidung, die das Nachhaltigkeitsthema bespielt. Chefkoch Erik Andersson kommt aus der Zweisterne-Küche von Daniel Berlin und weiß, dass es bei diesem Konzept nur um eines geht: »Da muss man als Koch schon was verstehen von seinem Job.« Tut er. Und eine Sommelière kann er sich auch leisten.
Kulinarische Exzellenz leuchtet im Kockeriet, mit einer mühelosen, freundlichen Leichtigkeit eingerichtet, die sich auf den Tellern (fürs Restaurant handgemacht von Anna R. Kinman) wiederfindet. Sieben Gerichte und zwei Amuses kosten weniger als 100 Euro und halten den Vergleich mit Stockholm und internationalen Food-Destinationen mühelos aus. Das selbst gemachte Sauerteigbrot wird warm gehalten auf einem lederummantelten Backstein, Buttermilch wird gefroren als Topping verwendet, die Jakobsmuschel wird blackened zubereitet und ist dennoch elegant und butterzart. Der Gefleckte Seewolf bekommt marinierte Holunderbeeren, Apfelsahne und braune Butter, der Langustino marinierten Kohlrabi (schön knackig, wenig kohlig), das Carpaccio vom Rind wurde in Wacholderstaub gerollt und hat Pilz-Umami. Nicht nur die Experimentierfreude ist erstaunlich, sondern auch die Tatsache, dass die Aromatik zurückhaltend ist, fast zart.
Kein Wunder, dass Chefköchin Anna Vistrand mehr als alles andere die »Balance« im Blick hat, wenn sie ein Menü entwirft. Auch die Optik ist nicht überkandidelt, ebenso wenig die alkoholfreie Begleitung, hausgemachte Limonade, Liebstöckel-Gurken-Saft, fermentierter Schlehdornsaft, gereicht in Riedelgläsern. (Zur alkoholfreien Thematik später noch mehr.) Sie liebt ihre offene Küche auch deshalb, weil man sofort mitbekäme, was Gästen schmeckt. Noch etwas liegt ihr am Herzen: »Unser Personal ist unser Kapital. Sie arbeiten hart und voller Leidenschaft, das müssen wir honorieren.«
Fine Dining für jedermann
Alexander Sjögren ist da schon einen Schritt weiter. Der einstige Bocuse d’Or-Gewinner ist der erste Koch in Malmö, der sein Restaurant (Mutantur) am Wochenende schließt, und der erste, der es bereits um 17 Uhr aufsperrt. »Ich will wieder Spaß in der Küche haben und ein Privatleben«, erklärt der frischgebackene Vater. Allen Unkenrufen zum Trotz haben die Gäste die frühen Dinnerzeiten akzeptiert, die auch für Schweden nicht normal sind. Der Laden schnurrt.
»Fine Dining ohne Schwellenangst für Menschen, die gern essen, aber nicht so viel Geld haben«, beschreibt er weniger seinen Kochstil als seine Lebenseinstellung, die sich im gebutterten Toast mit Hummer und Mayonnaise mit schwarzem Knoblauch (für 10 Euro) über gefüllte Pilze mit Cashewnuss, Jalapeño, Koriandergrün, Ponzu und Avocadobutter bis zu einem todschicken Rindertatar mit Liliputpilzen und Eigelbconfitperlen darstellt, beim Nachtisch Käse und Süßes kombiniert und die Falafel zum Signature Dish gemacht hat.
Optisch super, gut gemacht und mit riesigem Franchisepotenzial kommt Scandwich daher. Eine Restaurantfamilie hat sich einen Ableger mit offenen Sandwiches erarbeitet, die hochgetürmt und von bester Qualität sind, alles von Creme über Brot bis zum Pulled Pork wird selbst gemacht. Die dicksten Dinger kosten um 20 Euro, das ist dann schon ein Abendessen.
Ländliche Idylle: von Profis für Profis
20 Minuten von der Innenstadt Malmös entfernt beginnt das ländliche Schonen. Verträumt und lauschig mag es an die schöne alte Zeit erinnern, aber hier ist man auf Zack. Auf Gut Botildenburg mixt Chefin Lena mit dem schönen Nachnamen Friblick nachhaltigen Lebensmittelanbau mit dem Thema Integration. Im Gegensatz zu Deutschland dürfen beziehungsweise sollen Flüchtlinge in Schweden arbeiten und Geld verdienen.
In der Küche von Botildenburg zeigen Neuankömmlinge, wie Falafel und Couscous bei ihnen zu Hause zubereitet werden, in Kochkursen wird dieses Wissen weitergegeben. Friblick sitzt nicht nur auf einem Berg Schulden, wie sie sagt, sondern glücklicherweise auch auf einem Hektar Erde »sehr guter Qualität«, Studenten reißen sich um die Mitarbeit, denn diese Form des Market Gardening ist ethisch wünschenswert, aber auch profitabel. Man kann sich 1.500 Quadratmeter mieten und von Profis den Anbau lernen, nicht für die persönliche Kartoffel, sondern fürs Unternehmen. Auch die Großkantine von IKEA in Malmö ist Kunde.
Fine Dining ohne Schwellenangst, auch für Gäste, die nicht so viel Geld haben
Vor über 20 Jahren wurde Krinova gegründet, ein sogenannter Inkubator für Genuss, angesiedelt in Kristianstad, das kennen Sie nicht, kennen auch viele Schweden nicht. Aber hier pflegt man Beziehungen in die ganze Welt. Krinova beschäftigt 25 foodaffine Experten, vom Sommelier über den Wissenschaftler bis zum Equity Manager, die Start-ups in den Sattel helfen.
Konnte das Profiteam überzeugt werden von der Tragfähigkeit einer Idee, kostet dieser Service das Start-up nix, außer einem dicken Fell, wenn ihnen ihre Visionen um die Ohren gehauen werden. Das nötige Geld kommt von der Region und der Universität Kristianstad, die einen Master-Studiengang in Food and Meal Science anbietet. Jedes Jahr muss Krinova vor denen die Hosen runterlassen und beantworten, wie viele neue Jobs geschaffen wurden und wie die Steuereinnahmen gestiegen sind. Nur dann ist die Finanzierung gesichert.
Innovation auf höchstem Qualitätsniveau
Schonen mag mit einer Million Einwohnern ein Liliput-Player sein, aber von hier stammt der Global Player Tetra Pak und hoffen die Hafermänner und -frauen von Oatly nach ihrem Börsengang auf einen ähnlichen Erfolg. Bondens Skafferi ist ein aktuelles Vorzeigeprojekt. Die Idee: Chefköche kaufen Lebensmittel für Profis und Endverbraucher und zahlen den Erzeugern einen gleichbleibenden Preis, unabhängig von der Saison, der Verfügbarkeit, der internationalen Lage. Der Bauer kann somit kalkulieren und bleibt treu.
Deshalb liefert er trotzdem Qualität, findet auch Kunde René Redzepi. Jede Woche bekommen Profis eine offen einsehbare Preisliste und bestellen. Drei regionale Läden sind für Endverbraucher gedacht. 200 Restaurants und Cafés werden regelmäßig beliefert, 200 Erzeuger stehen auf der Payroll. Zwischen Lamm, Kartoffeln und hervorragendem Käse, teilweise vom Einmannbetrieb, ist alles lieferbar. Wow!
500 solcher Unternehmen hat Krinova bislang geholfen, der jährliche Tüftelworkshop Food Hack steht Interessenten aus der ganzen Welt offen. Der CEO ist Personaler, denn dass bei Start-ups die Mitarbeiterführung gern hinten runterfällt und so was selten gut geht, weiß man. Mit deutschen Quatschbuden à la Business Angels und Höhle der Löwen hat das nichts zu tun. »Schweden ist das Land der kleinen und mittelgroßen Unternehmen. Wir können nur mit Qualität punkten«, umreißt CEO Kristian (ja, nachnamenloses Schweden) die Aufgabe.
Biologische Diversität, Tierwohl, alte Rassen, pflanzenbasierte Ernährung sind gesetzt, ebenso Wirtschaftlichkeit. Anders formuliert: Haltung ist nur interessant, wenn sie rentabel ist. Kein Wunder, dass im kleinen Kristianstad auch ein nettes Genusslokal floriert. Im Smaca mariniert Oskar Nilsson frischen Wolfsbarsch zu zweierlei Beeten und mixt Espresso Martinis mit selbst gemachtem Sanddorn-Soda.
Schnaps ist Schnaps? Nej tak!
Absolut kauft die Getreideernte Schonens fast komplett auf, das mag schon stimmen. Aber Schnaps ist nicht mehr so angesagt, scheint es. Heimischer Wein ist im Kommen, denn auch in Schweden verändert sich das Klima. PIWI-Sorten wie Cabernet Cortis, Frühburgunder und Solaris sind die wichtigsten Rebsorten. Ende 2021 fand unter dem Stichwort Skanska Drycker erstmals ein Pop-up im passend benannten Spritmuseum in Stockholm statt, geführt von Sommelière Carina Gavelin, die auch weinorientierte Touren durch Schonen anbietet. An Selbstvertrauen mangelt es nicht, Mikael Mölstad, einer der bekanntesten Weinautoren des Landes, verwies im Interview auf den englischen Weinbau, dem man vor 20 Jahren auch nicht die heutigen Qualitäten zugetraut hätte.
Bereits flächendeckend populär sind nichtalkoholische Essensbegleitungen. Komasaufen ist unter hippen jungen Schweden nicht angesagt, auch wegen der allgegenwärtigen Handys, die Verfehlungen für den Chef aufzeichnen. Gerade bei fermentierten Getränken passt das auch zur Skandi-Aromatik. Kombucha ist ein großes Thema geworden. Neben Malmös Roots sind es auch kleinere Brauer, beispielsweise der ausgebildete Barmann Kristoffer Elofsson, der sich bei Östergard auf regionale Sorten beschränkt. Neueste Erfindung: ein Beerbucha.
Österlen – jetzt wird’s niedlich
Einmal auftanken im Südosten Schonens, in süßen Dörfern wie Simrishamn oder Brösarp, in einem geschmackvoll umgenutzten B&B wie Farmors Lycka oder in schwedisch-chicen Herbergen wie dem Allé, deren Betreiberin jahrelang erste Frau in der Bareiss-Küche war und später im Nassauer Hof kochte. Hier leben zwar auch Lebenskünstler, aber vorrangig sind Profis am Werk, wir sind eben in Schweden. Hier braut Mads seinen Most, sind einige der berühmtesten Pferdezüchter des Landes angesiedelt, schmeckt jeder Apfelkuchen und braucht man kein Olivenöl, solange das kaltgepresste Rapsöl von Farmors Lycka nicht schon wieder ausverkauft ist. Afternoon Tea, der Fika, ist inmitten von altem Mobiliar und mit Blick auf die Ostsee ebenfalls zauberhaft.
Gut zu wissen:
- Mit Flugzeug oder Zug nach Kopenhagen, mit der Bahn (Anschluss direkt unterm Flughafen) ist man 30 Minuten später am Hauptbahnhof von Malmö. Nach Stockholm hingegen sind es fast vier Stunden.
- Freitag und Samstag ist Malmö Partytown. Sonntags sind nur Hotelrestaurants geöffnet, besonders empfehlenswert (auch als Hotel): MJs in der Altstadt. Auch sie beziehen ihr Gemüse aus Botildenburg.
- Mit dem Zug ist Schonen von Westen nach Osten in etwa anderthalb Stunden durchquert, die Züge halten an jeder Milchkanne. Jedes Dorf hat einen Taxiservice. Gezahlt wird elektronisch, selbst Bustickets kann man nur noch so erwerben.
- Champagner bis zu Philipponnat kosten nur unwesentlich mehr als das handelsübliche mittelmäßige Glas Weißwein.
- Foodtouren sind in Malmö gesetzt. Linda Dahl bietet mit Matkaravan eine „Food-Karawane“ an, die sich in der kulturell diversen Szene tummelt.
- Die Saluhall in Malmö kann nicht mit der von Stockholm mithalten, die zu den weltbesten gehört. Aber sie ist ausgesprochen nett, mit guten Produkten und leckeren Stehimbissen. Auch hier gelang die Renovierung, vor einigen Jahren war es eine Ruine, jetzt sieht’s ziemlich super aus. Sonntagvormittags geöffnet.