Malta machts mit Michelin
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Malta macht’s mit Michelin

Wie ein Dreiinselstaat zur internationalen Genussdestination avanciert

von Gabriele Gugetzer
Mittwoch, 04.05.2022
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Bekannt ist Malta schon lange als dekorativer Drehort. Hier verewigten sich Hollywood-Regisseure wie Ridley Scott (Gladiator) und Steven Spielberg (Jurassic World) und die »Game of Thrones«-Macher. Elegante mediterrane Cafés, mittelalterliche Gassen, Paläste, bewehrte Anlagen, blauer Himmel, Sonne satt ... da gibt’s für jeden etwas. Die barocke Hauptstadt Valletta, das ummauerte Bergstädtchen Mdina, Cominos blaue Lagune, die Festung Fort Ricasoli sind Orte, die Film- und Serienfans kennen, selbst wenn sie noch nie auf der Insel waren. Lange Zeit war Malta zudem Steueroase, Kreuzfahrtziel, sonnensicherer Alterssitz. Und natürlich Partytown für die Sprachschüler aus aller Welt, die auch sehr viel Fastfood für eine berauschende Substanz halten. Nicht schlecht. Nicht zukunftsweisend.

Als der Guide Michelin im Jahr 2020 erstmals drei Restaurants auf der Insel einen Michelin-Stern verlieh, überraschte das selbst Insider. Und als hätte er bloß darauf gewartet, wach geküsst zu werden, zog dieser Winzling von Staat völlig neue Seiten auf. Malta hat 520.000 Einwohner und ist 316 Quadratkilometer groß. Der Dreiinselstaat ist im Umbruch und im Aufbruch, hier können sich Gastronomen und Hoteliers viel abgucken. Auch die Michelin-Küche ist erschwinglich und der ganze Zauber liegt nur wenige Direktflugstunden entfernt. Lafer war natürlich auch schon da ...

Jede Menge Michelin
Foto: VisitMalta

Jede Menge Michelin

Vier Restaurants hat der Guide Michelin 2022 als Bib Gourmands gelistet, fünf Restaurants tragen einen Stern. Die einstige Europäische Kulturhauptstadt und Hauptstadt Maltas ist Val­letta; hier stehen drei der Sterner, das Noni, das ION The Harbour und das Under Grain. Kombiniert mit dem Charme der blitzsauberen und heiter wirkenden Stadt, vielen Boutique­hotels, einer Markthalle und einem von der UNESCO als Weltkulturerbe ausgezeichneten Umfeld, hat Valletta das Potenzial, zu einer neuen international interessanten Genussdestination zu werden. 

Mdina ist in jeder Hinsicht einen Abstecher wert. Hier dürfte jede zweite Ecke schon abgedreht worden sein. Errichtet auf einem Hügel aus der Bronzezeit, genießt man erstaunliche Ausblicke auf die ganze Region. So richtet der Einsterner The de Mondion im Xara Palace seine produktorientierte klassische Küche den größten Teil des Jahres auch draußen an. Die wenigen Zimmer im Palace, das zur Hotelgruppe Relais & Chateaux gehört, sind reduziert luxuriös und mit einem ansprechenden Augenzwinkern sehr elegant eingerichtet. Aber auf der besternten Terrasse genießen die Gäste die Sterneküche in Gartenmöbeln. Doch Chefkoch Kevin Bonello ist ein alter Hase und kann es ganz gelassen nehmen, dass sein einziger Konkurrent der atemberaubende Blick ist.
 

Präsentation des Essens vom Restaurant Bahia
Foto: www.toniolombardi.com

Das Restaurant Bahia katapultierte der Stern aus dem Bistro-Umfeld im Landesinneren in den ersten Stock des berühmtesten Hotels der Insel. Im Corinthia Palace in Attard werden Staatsgäste untergebracht, wird Afternoon Tea gereicht ... und nun kommt Chefkoch Tyrone Mizzi. Dem gelingt auch hier die Kunst, nicht nur köstlich, sondern interessant und außergewöhnlich zu kochen und zu denken, ohne überkandidelt zu sein. Drei Menüs stehen zur Auswahl: Past, Present und Future. Die Gäste signalisieren mittels eines Zylinders aus Kupfer, Stahl oder Kohlefaser, wofür sie sich entschließen, wobei sie selbstverständlich einen orientierenden Blick in die Karte werfen dürfen. Ein veganes Tasting-Menü bzw. ein À la carte wird ebenso angeboten. Gute Produktqualität ist selbstverständlich, außergewöhnlich ist die Hinwendung beim Past-Menü an maltesische Traditionen aus der tiefsten Vergangenheit wie ein in Wein gegartes Gerstengericht aus der Zeit der Phönizier (712–280 v. Chr.) oder ein Kaninchengericht aus der Zeit des Malteserordens (1530–1789). Die Informationen darüber stammen von den Wissenschaftlern des Marinemuseums, mit denen das Bahia eng zusammenarbeitet.

Taste History oder: Foodies im Museum

Womit wir gleich beim Thema wären. Wenn sich Wissenschaftler für Kulinarik begeistern, denkt man gemeinhin an E-Nummern und Molekularküche. Im Malta Maritime Museum denken die Wissenschaftler an das 5000 Jahre alte Erbe ihrer Heimat. (Wer sich für Geschichte interessiert, ist auf diesen Inseln dementsprechend sehr gut aufgehoben.) Passenderweise war der ­Museumsbau einst Großbäckerei für die Flotte und duftet noch heute ein bisschen nach Backwerk. Heimische Korsaren waren übrigens der Grund dafür, dass es auf Malta bereits im 16. Jahrhundert Kaffee und Schokolade gab. Das war Beutegut, wenn die maltesischen Piraten mal wieder erfolg­reiche Fischzüge gemacht und Handelsschiffe ausgeraubt hatten. Die damals aus der Türkei stammenden Ruderer dürften die ersten hart schuftenden Menschen der Geschichte gewesen sein, die ihre Leistung auch mittels einer täglichen Schokoladenration halten konnten. 

Blaues Fischerboot am Hafen
Foto: VisitMalta

Viele solcher spannenden Anekdoten steuert der promo­vierte Genetiker Josef ­Caruana bei, der sich schon den Magister nicht in Gendersprech, sondern in biomolekularer Archäologie holte. Er ist der Kurator für prähistorische Stätten im Museum, liebt selbst Münsterländer Töttchen und hat mit seinen Kollegen tief in den Katakomben des Museumsarchivs gewühlt. Das Ziel: Unter der Headline »Taste History« werden maltesische Menüs aus Zeiten zubereitet, die für die Geschichte besonders bedeutsam waren. Die Museumsexperten führen selbst durch solche Abende, zeigen Kreuzfahrerküche, das Fastenmenü des Großinquisitors oder den Weinkeller des Großmeisters, immer beneidenswert in ihrer Fähigkeit, gebündeltes Fachwissen unterhaltsam zu vermitteln. Das wäre mal eine Idee für Museen hierzulande! Von Wein und Häppchen zur Vernissage könnte diese Initiative, die die junge Gastronomie bewusst einbindet, nicht weiter entfernt sein. 

Eine regional geprägte und feine Weinbegleitung gehört auch beim prähistorischen Menü dazu, selbst wenn Wein­anbau, sagt Caruana, damals noch nicht durch Sporen oder Blätter oder ähnliche Zeitzeugen der antiken Welt belegt sei. Aber etwa 2000 Jahre hat die Weintradition auf Malta schon vorzuweisen. Und seit einigen Jahren wird sehr auf Qualität geachtet. Für Kreuzfahrer ist ein Besuch beim Winzer schon deshalb auf dem Programm, weil maltesische Weine sehr selten sind. Aber nun ist der Ehrgeiz geweckt. Bei Marsovin, einem der großen Player, hat man sich den ­Kellermeister (Manuele Casillo) von Antinori gemaust. Als Einziger der Insel macht man exzellente Schaumweine in Einzellagen, nicht viel größer als deutsche Handtücher auf Mittelmeerliegen. Oft ist auf Malta noch die Buschform vertreten, auch die Arm-Kniffin-Erziehung, selten wird künstlich bewässert, Handarbeit ist angesagt. Zwei Reben sind indigen, Girgentina für Weißwein, Gellewza für Rotweine und Rosés.

Präsentation auf dem Teller
Interessant und speziell, köstlich, ohne überkandidelt zu sein: So präsentiert sich die Küche von Tyrone Mizzi im Corinthia Palace. Foto: www.toniolombardi.com

»Modebrote« und Pastizzi

Ursprünglich ist die maltesische Küche natürlich nicht zukunftsweisend. Sondern rustikal, sehr regional und, wie in Mittelmeerländern selbstverständlich, immer saisonal. Das beste Beispiel für eine solche Küche sind Pastizzi. Die gefüllten Teigtaschen gibt’s an jeder Straßenecke, die Füllung ist selbst gemachter Ricotta oder Fetakäse, vielleicht noch Erbsen oder Geflügelstückchen, auch der Teig sollte eigentlich selbst gemacht sein. Ein anderer Klassiker der Imbisskultur ist die Ftira. Sie kommt lokal so unterschiedlich daher, dass sie auf Gozo eine kartoffelbelegte Pizza mit großem Sucht- und Franchisepotenzial darstellt, während sie auf Malta die Riesenvariante eines amerikanischen Bagels ist, gefüllt, bis er fast aus den Nähten platzt. Lampuki ist der traditionelle und sehr wohlschmeckende Fisch Maltas. Es ist eigentlich ein Mahi-Mahi, gefangen, bevor er dann riesig wird und in Richtung Weltmeere auf Wanderschaft geht. Er wird verarbeitet zur Torta tal-Lampuki, einer Fischpastete mit viel Gemüse und Kräutern.

Restaurant
Foto: www.toniolombardi.com

»Modebrote« dagegen, fashion breads, bietet das winzige und wirklich außergewöhnliche Modeunternehmen Ron & Charles. Ihr Hauptgeschäft auf der Einkaufsmeile Republic Street in Valletta hat nur Kleidung, im Ableger in Naxxar erstaunt im angeschlossenen Café die sehr interessante Weinkarte (von Greywacke bis zu von Winning), ebenso die eingangs erwähnten Modebrote. Da steht Naan mit Ofengemüse auf der Karte, Focaccia mit Pesto und Geflügel, getrüffelte Pilzschnitten, Bagel mit selbst gebeiztem Rote-Beete-Lachs und ein irgendwie vom Banh Mi beeinflusstes asiatisches Baguette mit Brie und karamellisierten Zwiebeln. Für die Torten und Kuchen ist eine frühere Bauingenieurin zuständig, die nach eigener Aussage deshalb auch so schön hoch backen kann. Die Mode hängt im ersten Stock, es gibt also keine Besorgnis, dass man sich mit Sahnefingern durch die Kleiderständer wühlt.

Restaurant the de Mondion
Im The de Mondion des Xara Palace genießen die Gäste produkt­orientierte klassische Sterneküche von Chefkoch Kevin Bonello. Foto: Xara Palace

Valletta – die Schöne vom Reißbrett

Nur vier Tage lang grübelte Francesco Laparelli, der Baumeister des Papstes, über seinen Entwürfen. Dann stand der Grundriss zu Valletta, entworfen am Reißbrett und damit die erste geplante Stadt Europas. Ihr Bau begann 1570. Sie ist die südlichste Hauptstadt Europas und die kleinste Hauptstadt der EU. Und sie ist sehr, sehr hübsch. Kein Graffito verschandelt die barocken Fassaden, kein Müll liegt auf den blank gewienerten Straßen. In den kleinen Gassen weht ein stetes Lüftchen, was bei sommerlichen Durchschnittstemperaturen um 30 °C sehr willkommen ist. Viele inhabergeführte Geschäfte und zeitgenössische Architekturbüros wie Renzo Piano Building Workshop haben sich sehr gekonnt in die klas­sische Architektur eingefügt. Interessanterweise ist ein Besuch in Valletta für die meisten Malteser noch so, als wären sie Touristen. Man arbeitet hier vielleicht oder erledigt Behördengänge oder den Einkauf, nimmt einen Kaffee oder geht essen und trifft sich mit Freunden. Aber dann am Abend fährt man wieder nach Hause. Dann sind die Touristen unter sich; in Valletta ­leben nur etwa 6.000 Malteser. Das jedoch will Tony Zahra ändern, Boss der Hotel- und Restaurantvereinigung Maltas. (Mehr dazu im nachstehenden Interview.)

Bötchen fahren, Fische fangen

In Marsaxlokk liegen die Luzzos vor Anker, wunderschöne Fischerboote phönizischen Ursprungs, die noch von Hand gebaut werden. Ganz unverkennbar sind die geschnitzten Augen zu beiden Seiten des Bugs. Sie sollen die Fischer sicher nach Hause geleiten. Gefischt wird mit Netz und Langleine, acht bis zwölf Stunden ist ein Fischer dann oft allein auf dem Boot. Noch etwa 1.000 Fischer verdienen auf Malta ihren Lebensunterhalt mit dem Fang von Lampuki, Thunfisch, Goldbrasse, Wolfsbarsch und Dorade. Der Fischfang ist ein saisonales Geschäft, glücklicherweise hängen die Malteser an ihren Fischgerichten, gibt es viel Bedarf an Frischfisch und kommen bei einer solch spektakulären Kulisse viele Medien aus der ganzen Welt und vor allen Dingen aus Italien, einem der wichtigsten Tourismuspartner. Eine Reise wert, ist Malta also auf jeden Fall – besonders für Genießer!

Tipp:

Die Malteser sprechen durchgehend sehr gut Englisch, selten Deutsch. Ihre eigene Sprache, Malti, ist faszinierend. Sie ist vom Ursprung her semitisch und wurde später durch die Araber, die zwischen dem 9. und dem 13. Jahrhundert auf Malta ansässig waren, geprägt. Die antiken Phönizier dürften die ursprünglichen Sprachgeber gewesen sein. 

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