Ich liebe Toronto
Kanadas neues Foodie-Paradies
von Gabriele GugetzerWunderschön hat sie sich hingebettet am Ufer des Lake Ontario, die viertgrößte Stadt Nordamerikas. Toronto ist zu jeder Jahreszeit reizvoll, wobei Winter die spannendste ist. Schon für die ersten Siedler muss es eine ziemliche Überraschung gewesen sein, dieser Übergang von schwülwarmen Julitemperaturen zu Eis ...
Toronto ist der Finanzplatz des Landes: In den schwindelerregenden Höhen der Glastürme wird das Geld verdient. Aber Toronto hat auch den größten architektonischen Bauschatz viktorianischer Industriekultur: Der Distillery District ist ein gut gelauntes gusseisernes Genusszentrum mit angeschlossener Sake-Brauerei. Und hier zeigt sich, wieso die Stadt mehr ist als ein Finanzzentrum mit Partybudget. Toronto mixt englisches Erbe mit Internationalität. Über die Hälfte der Torontonians sind nicht in Kanada geboren, sondern in Sri Lanka, Trinidad, Griechenland. Häufig verstaut im Einwanderergepäck ist die Länderküche, gerne auch in regionaltypischer Ausprägung. Da sich nach aktuellen Zahlen über 35 Prozent aller kanadischen Einwanderer pro Jahr in Toronto niederlassen, sorgt das automatisch für kulinarische Vielfalt.
Küchen mit Geschichte
#1 Grieche sucht Griechin
Chinatown, check. Little India, check. Koreatown, check. Little Italy, check. Gibt’s alles in Toronto. Greektown? Check! Griechische Weine haben in den letzten Jahren einen enormen Qualitätssprung vollbracht. Und in Toronto kann man die entsprechende Qualität auf dem Teller erleben. Weit weg vom Taverna-Batz haben sich rund um Ossington Avenue und The Danforth moderne, feine Läden angesiedelt, wie Koukla Bar und Mamakas. Im Koukla gibt es rohe Meeresfrüchte und Naturweine, und der Look der Minispeisen sieht so todschick aus, er könnte glatt als Modeproduktionsfood durchgehen. Das Interior des Mamakas ist weiß, aber die klassische Ergänzungsfarbe Blau fehlt; Teller und Gerichte sind dezent bunt gestylt, aber nicht prätentiös.
Die Barkeeper im Koukla mixen mit Metaxa, Whiskey, Verjus, Mastiha. Unter 10 Euro kosten solche Kreationen, die mit Quitte, Bergkräutern, Kapernblatt, Walnuss, Sumach und Blutorange typisch griechisch werden. Man muss nur darauf kommen oder Oma fragen. Retsina gibt’s noch (in 2.0), Ouzo hat zu sehr genervt und endlich Stubenarrest.
#2 Asiens Master Chef
Susur Lee stammt aus Hongkong und kochte ursprünglich kantonesisch. Heute gilt er als interessantester Asienexport in Toronto, hat eine Fernsehkarriere hingelegt und ist mit seinen telegenen Söhnen ständig visuell präsent. Im »Lee« ist die Basis immer asiatisch, dann geht es ab in die verschiedenen Länderküchen zwischen Japan, Indochina und Vietnam, Thailand, wobei der rote Faden die elegante Präsentation im sehr eleganten Gastraum bleibt und die hohe Qualität die Preise rechtfertigt.
#3 Junge indianische Küche
Für gute Küche sind die First Nations, wie die kanadischen Ureinwohner genannt werden, weniger bekannt als für eine Liebe zu Fastfood (und der Begleiterscheinung Adipositas). Doch eine junge Generation ist dabei, das zu ändern. Shane Chartrand stellt das in einem sehr guten Kochbuch (»Tawâw«, nur auf Englisch, erschienen bei Ambrosia, über amazon.de) unter Beweis. Im PowWow Café im Torontoer Alternativviertel Kensington Market zeigt Shawn Adler, der sich als »Jindian«
bezeichnet (Vater Jude, Mutter Anishinaabe), wie man aus Brot was Tolles macht. Das indianische Fry Bread, eine Art Fladenbrot und bei ihm Geheimrezept von Mutti, hat er zu Indian Tacos hochgejazzt und besteht in diesem pingeligen Multikulti-Milieu bestens. Im Fine-Dining-Bereich mixte Joseph Shawana erfolgreich indianische und kanadische Produkte mit französischer Küchentechnik. Jetzt plant er »ein Labor« rund um indigene Produkte, zusätzlich zu einer neuen Restauranteröffnung, auch wieder im gehobenen Segment.
Generell ist die Aromatik mit skandinavischer Küche vergleichbar, vieles kommt aus dem Wald, von Elch bis Zeder (zum Räuchern, als Sirup oder Infusion), Wurzelgemüse sind wie Wildreis gesetzt, Lachs und andere fettreiche Fische oder -produkte auch ein gesundheitliches Muss. Gewürze sind unwichtig; früher wurde für den ganzen Stamm gekocht, vom Kleinkind bis zum Greis, das musste für jeden passen.
Edel auf kanadisch: Grey Gardens
Ja, Toronto ist jung, aber auch die Youngsters essen gerne chic. Flippig und gleichzeitig professionell ist eine Kombination, die das Grey Gardens, Top-Restaurant der Stadt, perfektioniert hat. Der Gastraum, ein denkbar ungünstiger langer Schlauch mit nur einer schmalen Fassade Tageslicht, wurde perfekt umgenutzt zu einer offenen Küche mit riesenlanger Theke, die mit altmodischen Drehstühlen bestückt ist. Vier Sorten Pasta sind hausgemacht (zwei Profinudelmaschinen sind sichtbar), und auch die Kartoffelchips kommen keinesfalls aus der Tüte. Solche Details sorgen vor allen Dingen bei den kleinen Tellern, mit denen sich das Restaurant am liebsten präsentiert, für viel Wucht. Die Weine werden mit undeutscher Handfestigkeit beschrieben. Soll’s eher mineralisch und schlank sein oder eher cremig und vollmundig oder gleich üppig und opulent? Und das war nur der Weißwein. Da werden auch notorische Biertrinker neugierig.
Der St. Lawrence Market
Bereits zehn Jahre nach Stadtgründung wurde 1803 der St. Lawrence Market gegründet. Zwischendurch war hier auch das Rathaus, das weitläufige Untergeschoss – heute Lager und Erweiterung des Markts – wurde als Kittchen genutzt. Heute ist er ein Must-see und wird jedes Jahr wieder zum wahlweise besten oder schönsten oder atmosphärischsten Markt der Welt gewählt. Qualität, Einpreisung und Vielfalt der Produkte sind erstaunlich. Am Stand von St. Lawrence Fish kann man neun verschiedene Austern von West- und Ostküste verkosten. Ahornsirup und Birkensirup von Escuminac sind die besten. Wild aus der ganzen Welt, von Büffel bis zu Kamel, gibt’s bei Whitehouse Meats, Bagels bei St. Urbain, kandierten Lachs bei Caviar Direct ... Besonders atmosphärisch am Samstagmorgen, da öffnen sich die riesigen gusseisernen Tore bereits um fünf Uhr morgens. Die Stände sind seit Generationen in Familienhand, allein das steht für Qualität.
Es kaufen Leute aller Alters- und vieler Einkommensschichten, nicht nur Yuppies oder die tätowierte Gastronomie. Am Samstag ist selbst im tiefsten Winter ein Farmer’s Market angeschlossen, der preislich eine prima Bandbreite aufweist. Hier liegen viele Ideen für die Wiederbelebung deutscher Märkte oder Markthallen, um dem Fressgassen-Stigma zu entkommen.
Wein ist noch ein Erlebnis
Wo 3.000 Tonnen Wasser sekündlich runterdonnern, macht Klaus Reif Wein. In Hörweite der Niagarafälle, etwa zwei Autostunden von Torontos Innenstadt entfernt, hat sich der gebürtige Pfälzer auf Eiswein spezialisiert. Seiner ist in Fernost und in der Lufthansa First Class besonders begehrt. Vorrangig Riesling und Vidal baut Reif an, und die werden erst bei minus 8°C gelesen. Nachts. Das geht in die Knochen, und der Windchill tut sein Bestes, um die wenigen Zentimeter freiliegender Haut abzuziehen. Aber es hat Romantik und sehr viel Unterhaltungswert. Kein Wunder, dass ihm über 300.000 Besucher jährlich durch die Tür fallen. Umgerechnet auf Kanadas Bevölkerungszahl ist das fast jeder 100. Einwohner.
250 Betriebe zählt das Wine Country Ontario heute. Die Trauben selbst sind wenig überraschend, neben Riesling, Chardonnay, Gewürztraminer und Grauburgunder herrschen Gamay noir, Pinot noir und Cabernet franc vor. Sekt wird immer gefragter. Bei Redstone, einem der schönsten Betriebe, macht er schon 20 Prozent der Produktion aus. Hier lockt auch die Speisekarte. Das Restaurant gilt als bestes der Region, Austern, Steaks, Burger und Fish & Chips sind Standards und auf den ersten Blick ja nix Besonderes, aber besonders ist die Produktqualität und der nette französische Einfluss, beispielsweise bei Céleri rémoulade zum Fisch. Im Winter kommen Gäste im 4WD oder auf Schneeschuhen und wärmen sich später in einer kleinen Pension, von denen es jetzt viele gibt, am Kamin auf. Gemütlicher geht’s nicht, erst recht, wenn die Niagarafälle gefroren sind.
Toronto – gut zu wissen
- Sicherheit:
Der britische »Economist« hat Toronto (2,6 Mio. Einwohner) neben Zürich und Melbourne zu einer der sichersten Großstädte der Welt gewählt. - Wetter:
Im Sommer warm bis schwül. Im Winter eiskalt bis schockgefrostet. Obwohl der Ontariosee zu den größten Süßwasserseen der Welt gehört, friert er zu etwa einem Viertel zu. Tagestemperaturen unter minus 15 °C sind über Wochen völlig normal, Mütze, Thermostiefel und -handschuhe, wattierte Mäntel ein Muss. Unter dem CBD, der Innenstadt mit den Büros, liegt ein verzweigtes, perfekt klimatisiertes Shoppingparadies, mit Zugängen zu Büros, Boutiquen, Supermärkten. Karten des PATH hat jedes Hotel. - Kultur:
Das internationale Filmfestival TIFF (September) genießt weltweite Anerkennung. Die Kunstgalerie des Landes, AGO, gehört zu den bedeutendsten Museen Nordamerikas und hat eine große Sammlung an Indianerkunst und der Schule der Group of Seven, die man in Europa kaum sieht. Toller Museumsshop. - Kosten:
Das Teuerste sind die Mieten. Essen und Trinken und öffentlicher Nahverkehr sind mit unseren Preisen vergleichbar, wobei die Mehrwertsteuer (13 Prozent) immer on top kommt. Die Restaurantfestivals Summerlicious (Juli) und Winterlicious (Februar) bieten Prix-fixe-Menüs ab etwa 20 Euro. Um 200 Restaurants präsentieren sich. - Praktisches:
Kanada verlangt eine Einreisegenehmigung (eTA), die sich online fix beantragen lässt. 1 kanadischer Dollar = ca. 0,6 Euro. Wer Straßenbahnen liebt – bitte sehr! 75 Quadratkilometer groß ist das Netz, das zusätzlich zur Subway betrieben wird. - Sprachliches:
Insider nennen Toronto »The Six«. So nennt Rapper Drake seine Heimatstadt. Bei der Aussprache des offiziellen Namens bleibt das zweite »t« übrigens stumm.