Gutes Essen für alle!
von Wolf DemarKeine Frage, der Begriff Gourmet-Tempel wurde für Pariser Luxusrestaurants erfunden. In ihrer Hauptstadt pilgern die Franzosen zu den großen Küchenchefs des Landes und huldigen ihnen. Fein essen zu gehen, ist ein Statement, mit dem man auch seinen sozialen Status manifestiert. Der hohe Preis gehört dabei zwingend dazu – sonst könnte ja ein jeder kommen. Die meisten Luxusrestaurants befinden sich an noblen Adressen im oder rund um das erste Arrondissement mit entsprechend hohen Mieten. Durch den Speisesaal stolziert zumeist ein Geschwader an (oft allzu) selbstbewussten Kellnern, die Gäste ohne Französischkenntnisse mitunter recht herablassend behandeln. Und doch werden hier Ess- und Tischkultur auf allerhöchstem Niveau zelebriert. In der Hauptstadt des guten Geschmacks gehören luxuriöse Fresstempel einfach dazu.
Esskultur im Wandel
Natürlich können nur die wenigsten Pariser regelmäßig in derart teuren Restaurants speisen. Die kulinarische Heimat für das normale Volk war und ist das Nachbarschafts-Bistro, wo man nicht nur Klassiker wie Zwiebelsuppe und Steak frites in guter Qualität bekommt, sondern auch wechselnde saisonale Spezialitäten, die oft die regionale Herkunft des jeweiligen Wirts widerspiegeln. Doch das klassische Bistro ist in der Krise. Dafür gibt es viele Gründe. Zum einen gibt es auch in Paris Massentourismus, was für die Gastronomie nicht immer
ein Segen ist. Vor allem in stark frequentierten Lagen bekommt man in Bistros oft mittelmäßige Qualität
zu stark überhöhten Preisen. Wenn ein Betrieb mehr von Lauf- als von Stammkundschaft lebt, wird oft auch mit vorproduzierter Convenience-Ware gearbeitet.
Die hohen Lohnnebenkosten für Mitarbeiter und die gesalzenen Mieten machen Restaurantbesuche sehr teuer. Bei einem stagnierenden Einkommensniveau können sich viele Pariser den täglichen Bistro-Besuch einfach nicht mehr leisten. Gleichzeitig hat sich in den letzten 30 Jahren das Fastfood-Angebot ähnlich stark wie im restlichen Europa ausgeweitet. Für viele Pariser ist »Le Burger« eine beliebte Alternative zum Plat du jour geworden. Und als internationale Metropole verfügt Paris auch über zahlreiche asiatische Ethno-Lokale, die sehr günstige Menüs anbieten.
Systemgastronomie à la Paris
Vergleichsweise günstig isst man auch in den vier Pariser »Relais de l’Entrecôte«-Niederlassungen. Das Erfolgsgeheimnis dieser sehr ansprechenden Form von Systemgastronomie liegt in der radikalen Beschränkung des Angebots: Es gibt Entrecôte mit Pommes frites und sonst nichts! Lediglich bei den Desserts darf man wählen. Auch so kann man für relativ wenig Geld relativ gutes Essen anbieten. Auf Gäste aus der Nachbarschaft, die stundenlang bleiben, um lediglich ein paar Gläser Wein zu trinken, wird bewusst verzichtet.
Mit dem richtigen Riecher (oder einem aktuellen Lokalführer) ist es dennoch möglich, ehrliche, bodenständige Bistros der alten Schule zu entdecken. Sogar der elitäre Guide Michelin listet mit seinen Bib-Gourmand-Empfehlungen verlässlich gute Hinweise. Und auch im Gault&Millau sind in der 1-Hauben-Kategorie zahlreiche günstige Bistros gelistet. Wer es etwas trendiger und moderner will, ist mit dem Magazin Le Fooding gut beraten. Alle drei Guides sind kostenlos online verfügbar.
Bistros der alten Schule
Ein echter Geheimtipp für ein klassisches Bistro der alten Schule ist das Le Bon Georges im neunten Arrondissement. Seit fünf Jahren wird es von Benoît Duval-Arnould geführt, der erfreulicherweise alles beim Alten beließ – zumindest was das Ambiente betrifft. Bei Benoîts Küche steht stets die Güte der Produkte im Vordergrund. Das geht so weit, dass er auf seiner Website statt des aktuellen Menüs lieber eine Liste seiner Lieferanten zeigt. Besonders stolz ist er auf das Rindfleisch, das er von seinem Freund Alexandre Polmard bekommt. Dieser lässt sein Blondvieh vier Jahre auf der Weide, bevor er das Fleisch ausgesuchten Köchen wie Benoît anvertraut. Und auch das Weinangebot im Bon Georges ist vorbildlich und spiegelt die Weinleidenschaft des Patrons wider. Hier findet man tatsächlich sehr fair kalkulierte Geheimtipps aus ganz Frankreich, die zumeist von biologisch arbeitenden Winzern stammen.
Selbst im touristisch stark frequentierten Montmartre findet man noch herrlich altmodische Bistros, auch wenn sie – wie im Fall des Miroir – verwirrenderweise die Bezeichnung Restaurant im Namen führen. Hier wird auch klar, dass ein klassisches Bistro nicht nur zur kulinarischen Versorgung der Gäste dient, sondern ein sozialer Treffpunkt für die gesamte Nachbarschaft ist, wie der Besitzer Sébastien Guénard stolz erklärt. Ein echter Klassiker ist auch das Paul Bert in der gleichnamigen Straße im 11. Arrondissement. Hier wird nicht gekünstelt, sondern einfach nur gut gekocht. Besonders empfehlenswert ist das Côte de Bœuf mit doppelt frittierten Pommes frites.
In der Vergangenheit gab es eine klare Trennung zwischen feinen Restaurants und legeren Bistros, doch die Grenzen sind in den letzten 20 Jahren ins Rutschen geraten. Die Eröffnung eines eigenen Restaurants ist auch für sehr talentierte junge Küchenchefs praktisch nicht finanzierbar. Wer nach Jahren als Mitglied einer Kochbrigade in einem Luxusrestaurant den Schritt in die Selbstständigkeit wagen will, muss zunächst kleinere Brötchen backen.
Bistronomique – ein gelungener Brückenschlag
Viele hoch talentierte Köche haben kleine Lokale in weniger attraktiven Lagen übernommen, um dort in bescheidenem Rahmen groß aufzukochen. Das war die Geburtsstunde der sogenannten »Bistronomique«-Szene, die mittlerweile eine Vielzahl von Konzepten umfasst – von einer modern interpretierten klassischen Bistro-Küche mit Twist bis hin zu aufwendig gestalteten vielgängigen Degustationsmenüs. Die gemeinsame Bistronomique-Klammer ist stets, dass das
Essen auf dem Teller wichtiger ist als eine noble Adresse, Tischtücher oder elegant gekleidete Service-Mitarbeiter. Eines der ältesten »Gastronomique-Bistros« ist das »La Régalade«, das bereits 1992 in der bekannten Rue Saint-Honoré eröffnete und viel Geschmack für wenig Geld bietet.
Wesentlich jünger und deutlich kreativer ist das extrem angesagte Septime von Bertrand Grébaut. Das Septime ist mehr Restaurant als Bistro und hat trotz seines extralässigen Images (und einer Dauerpräsenz in der weltweiten 50-Best-Liste) ein absolut kundenfreundliches Preisniveau gehalten. Die Kombinationsgabe von Küchenchef und Besitzer Bertrand Grébaut ist jedes Mal aufs Neue überraschend. Wenn er jungen Spargel mit frischen Austern, Haselnüssen und Sauerrahm kombiniert, wird klar, dass er seine Kreativität stets intelligent einzusetzen weiß. Jedes seiner Gerichte macht sowohl geschmacklich als auch sensorisch Sinn – und schaut darüber hinaus auch immer wunderbar aus. Ein viergängiges Mittagsmenü kostet gerade einmal 42 Euro, und auch das siebengängige Degustationsmenü am Abend ist für 80 Euro ein richtiggehendes Schnäppchen. Grébaut steht auf Naturweine, die auch bei der glasweisen Weinbegleitung dominieren.
Foie gras noch immer ein Muss
Trotz des extracoolen Außenauftritts verbirgt sich hinter der lässigen Fassade ein umweltbewusstes Konzept, für das dieses Lokal schon mehrfach ausgezeichnet wurde. Doch das bedeutet natürlich nicht, dass man hier etwa auf die geliebte Foie gras verzichten würde. Schließlich ist man in Frankreich.
Gleich neben dem Septime hat Grébaut gemeinsam mit seinem Partner Théo Pourriat vor kurzem das angesagte Fischrestaurant Clamato aufgesperrt. Wer hier genießen will, sollte früh kommen, weil man nicht reservieren kann und schon kurz nach sieben Uhr sämtliche Plätze besetzt sind. Ist man nur alleine oder zu zweit, kann man es natürlich auch nach neun Uhr auf gut Glück probieren.
Japarisienne: das Beste zweier Welten
Shinichi Sato vom 2-Sterne-Restaurant Passage 53 schätzt, dass aktuell über 500 japanische Köche in Paris arbeiten, 40 von ihnen führen ihre eigenen Restaurants. Ihre Küchenstile variieren. Katsuaki Okiyama will in seinem Restaurant Abri »französisches Essen für Franzosen« kochen, Sota Atsumi von der angesagten Clown Bar nimmt ebenfalls Bezug auf seine neue Heimat. Dass hier ein Japaner am Herd steht, merkt man eigentlich nur daran, dass alle Gerichte mit einer absoluten Präzision und einem Zen-mäßigen
Purismus zubereitet werden, die für europäische Gaumen ungewöhnlich sind. Manche seiner Gerichte orientieren sich an der französischen Klassik, andere lassen sich stilistisch nur schwer zuordnen.
Ein absolutes Highlight in diesem altmodisch wirkenden Mini-Lokal, das eine Mischung aus Café und Bistro darstellt, ist das blanchierte Kalbshirn, das in seiner puristischen Reinheit für manche optisch abschreckend wirkt. Ein bisschen Schnittlauch und andere Kräuter sorgen für grüne Farbtupfer, die darunter liegende Ponzu-Sauce für aromatische Tiefe: eigenwillig, aber großartig! Kreativität zeigt sich hier nicht durch die Verfremdung der Texturen mit technischen Hilfsmitteln, sondern in der souveränen Kombination außergewöhnlicher Zutaten, die auf den ersten Blick überraschen: weiße Johannisbeeren mit Thunfisch, Himbeeren zum Beef Tartare, Datteln zur Ente. Übrigens: In der Clown Bar werden – so wie in vielen angesagten Bistronomique-Lokalen – hauptsächlich Naturweine ausgeschenkt.
Das französische Magazin Le Fooding listet 28 angesagte Pariser Restaurants, die als »Japarisienne« bezeichnet werden – also in der einen oder anderen Form eine Art Fusions-Küche anbieten. Das Les Enfants Rouges wirkt von außen wie ein klassisches Bistro, doch Küchenchef Daï Shinozuka serviert hier Thunfisch-Tataki, Seeteufel im Tempura-Teig oder Feigenconfit mit Matcha. Im Soma geht es etwas lässiger zur Sache, wirklich teuer wird es auch hier nicht.
Frankreich trifft Fernost
»Japarisienne« ist ein klingendes Wort, doch greift es – wie alle Sammelbegriffe – natürlich zu kurz. Vor allem auch deshalb, weil die japanische Küche selbst alles andere als kreativ ist und sich streng an Traditionen orientiert. Im neuen Umfeld und mit anderen Produkten haben japanische Küchenchefs in Paris mehr Freiheiten, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen, als in der alten Heimat. Praktisch alle dieser Küchenchefs haben nach ihrer Ausbildung in Japan auch bei französischen Küchenchefs gearbeitet, bevor sie sich mit eigenen Restaurants und einer eigenen Küchenlinie selbstständig
gemacht haben.
Natürlich gibt es in Paris auch ganz traditionelle japanische Restaurants und ausgezeichnete Sushi-Lokale wie etwa das Jin oder das Sushi B, die beide mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet sind, doch kreative Küchenleistungen darf man sich in einem Sushi-Lokal natürlich nicht erwarten.
Eine bunte Stadt mit vielen Aromen
Die asiatische Küche mit französischen Produkten und Stilelementen zu kombinieren, ist jedoch kein Vorrecht der Japaner. Im vielfach gefeierten Bistro Le Servan bringen die Levha-Schwestern asiatisch inspirierte Gerichte in einer Qualität zu Tisch, die in wesentlich feineren Restaurants oft nicht erreicht wird. Tatiana Levha lässt sich von der vietnamesischen Küche genauso inspirieren wie von der chi-nesischen und der japanischen. Ihre Schwester Katia kümmert sich mit ebenso großem Engagement um die Gäste.
Eine Folge der nicht immer ruhmreichen Kolonialgeschichte ist die große Anzahl an Ausländern in Paris. Vor allem die Integration der Muslime aus Nordafrika macht auch in der zweiten und dritten Generation noch Probleme. Kulinarisch betrachtet ist der bunte Ethno-Mix von Paris jedoch ein uneingeschränkter Segen. Die Küche des Maghreb spielt sich nicht nur in den Banlieues ab und ist absolut reizvoll, auch wenn es sich vielfach um recht einfache und günstige Lokale handelt. Und wahrscheinlich gibt es nirgendwo sonst auf der Welt derart gute vietnamesische Restaurants wie in Paris. Vor allem im 13. Arrondissement ist die Dichte an vietnamesischen Restaurants sehr hoch. Von einfachsten Lokalen, wo es Nudeln und Suppen (Pho) gibt, bis zu feinen Restaurants (Lao Siam, La Table du Vietnam, …) reicht das verführerische Angebot.
Pizza & Co. dürfen nicht fehlen
Wie auch im restlichen Europa lieben die Pariser »ihren« Italiener. Als kulinarisch neugieriger Besucher wird man zwar nicht unbedingt nach Paris kommen, um hier Pizza zu essen, doch damit hat Giovanni Passerini auch nichts am Hut. In seinem gleichnamigen 2-Hauben-Restaurant gibt es Köstlichkeiten wie Drachenkopf-Carpaccio mit Blutorangen, Kalbskopf und Thunfischwurst oder Beefsteak mit geräucherter Roter Bete.
Während das Passerini im Viertel Quinze-Vingts noch relativ zentral liegt, ist es zum Coretta im neuen Stadtviertel bei der Station Pont Cardinet doch eine kleine Weltreise. Aber sie lohnt sich, denn Béatriz Gonzalez und ihr Team zaubern eine absolut zeitgemäße Kreativ-Küche, die optisch wie auch sensorisch überzeugt. Wahrscheinlich ist dieses 2-Hauben-Restaurant das Lokal mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis von ganz Paris. In Paris – wie eigentlich überall auf der Welt – gilt: Die besten Lokale sind oft nicht ganz leicht zu finden, doch dafür wird man mit außergewöhnlichen kulinarischen Erlebnissen überrascht.