Der Süden Hollands
Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?
von Gabriele GugetzerPieter heißt er, 2,2 Kilogramm wiegt er und ist der erste Hummer des Jahres. Vom Provinzgouverneur, der Hummerbotschafterin, dem Hummerfischer und der in- und ausländischen Presse wird er bestaunt. Champagner und süffiger Pinot gris, Letzterer Aushängeschild des örtlichen Winzers, fließen in Strömen. Regionalfürsten, die besonders intelligente Heizungsthermostate entwickelt haben oder feinwürzige Speisesalze, tauschen sich aus mit Attachés und Lokalpolitikern, Austern werden im Rekordtempo geöffnet und geschlürft, der Sternekoch legt noch letzte Hand an ... so weit, so normal. Nur sind wir nicht in Frankreich, sondern in Holland. Genauer gesagt, in Zeeland.
Wasser marsch!
Wo liegt Zeeland? An der Nordsee, am Wasser also. Wobei „am“ eine irreführende Ortsbeschreibung wäre. Aus Inseln, Halbinseln und einem Fitzel Festland bestehend, liegt Zeeland vielmehr im Wasser, unter dem Meeresspiegel. Kein Wunder, dass verheerende Überflutungen mit dem Verlust vieler Menschenleben über Jahrhunderte zum Alltag gehörten und die Landschaft beständig veränderten. Ebenfalls kein Wunder, dass das zeeländische Wappen, das jeder Zweite hier vor seinem schmucken Haus flattern lässt, einen Löwen zeigt, der triumphierend aus wogenden Fluten aufsteigt, als stünde er auf einer Hebebühne. Aufgeben kam nie in die Tüte. Außerdem birgt so viel Wasser auch viel Potenzial. Das sieht man allein am prächtigen Erscheinungsbild von Zeelands hübschen Städtchen.
Knapp 400.000 Einwohner leben in Zeeland. Im Sommer schwillt diese Zahl um ein Vielfaches an. Dann belagern vorwiegend deutsche Urlauber die Zeltplätze und schubsen und schieben sich in den entzückenden Kleinstädten Goes, Zierikzee und Middelburg durch mittelalterliche Gassen, auf der Suche nach Pizza oder Pannekoeken. Im Winter und Frühjahr gehört Zeeland den Einheimischen und zunehmend den Gastrotouristen, die Hummer, Steinbutt, diverse Austernsorten, Wein, Scheidenmuscheln und Fritten aus der Bintjekartoffel, die hier großflächig angebaut wird, zu schätzen wissen. Glauben Sie nicht? Pro Einwohner hat Zeeland die meisten Eintragungen im Guide Michelin Niederlande.
Hummer macht die Region frisch
Das große Geld verdienen die Niederländer natürlich nicht mit solchen Edelerzeugnissen, sondern mit Tomaten, die sie an Spanien (und zwar nicht zu knapp) verkaufen, Zwiebeln, die selbst aus Polen in ein kleines Dorf in Zeeland transportiert und von dort in die Welt exportiert werden, Schweinefleisch, Hering ... Hummer und Co. sind im Vergleich dazu Peanuts. Aber ihre Frische und häufig zertifizierte Qualität sind zunehmend wichtige Argumente bei Gästen, die sie nun auch in der heimischen Gastronomie finden, zwischen besserer Fischbude bis Einsterner. Dieser unaufgeregte und unbekümmerte Einsatz von Qualitätsprodukten erschließt neue Kundenkreise. Und das ist gewollt. Man würde hier zwar nie so weit gehen wie Amsterdam, wo die Stadtoberen unlängst verkündeten, dass sie den ausländischen Sauftourismus so richtig leid seien. Den lukrativen Sommertourismus wird Zeeland nie abschaffen, aber will neue Zielgruppen ansprechen. Die Voraussetzungen dafür sind da.
Zwischen bodenständig und außergewöhnlich
Dinieren in einer Kirche, auf hohem Niveau, umzingelt von Campingplätzen, im Nirgendwo? Geht in Zeeland. De Kleine Toren von Baarland bei Goes öffnet nur an einigen Tagen und offeriert in sehr geschmackvollem Ambiente eine Küche mit französischem Einschlag, regionaler Frische zwischen Hummer, Austern, Rotauge, abgeschmeckt gekonnt exotisch. Passionsfrucht und Ananas, Kardamom und Langpfeffer waren im aktuellen Menü präsent. Schon das Brot und die im Haus gesalzene Butter vom örtlichen Käser machten was her.
Dennis Willem setzt unweit von Middelburg aufs 15-Kilometer-Menü. Auf Kochen mit der Natur. Auf 14 Gänge für 95 Euro. Das gefällt auch dem Guide Michelin. Eher pflanzenbasiert unterwegs – sein Restaurant heißt nicht von ungefähr Morille –, mag er dennoch nachhaltig gefangenen Fisch und natürlich den Europäischen Hummer aus der Oosterschelde. Sollten die Fischer übrigens Weibchen mit Babys erwischen, wandern beide zurück ins Wasser, was erstaunlicherweise nur in der Oosterschelde und nirgendwo sonst in Europa Vorschrift ist.
Im Gault-Millau-Restaurant Buutengaets, modern gestaltet und im hochpreisigen Yachthafen von Sint Annaland gelegen, setzt man auf Wolfsbarsch aus der Oosterschelde und Steinbutt aus Oosterschelder Zucht. Durch die vollverglasten Restaurantfenster fällt der unverstellte Blick auf selbige, die Oosterschelde, einen Meeresarm von 350 Quadratkilometern Ausdehnung. Zu wissen, wo’s herkommt ... kein leeres Gerede.